Anspruch eines Unfallversicherers auf Rückzahlung einer Invaliditätsleistung
Anspruch eines Unfallversicherers auf Rückzahlung einer Invaliditätsleistung
Wenn sich aufgrund eines allein vom Versicherungsnehmer einer Unfallversicherung initiierten Neubemessungsverlangens eine Verbesserung des Gesundheitszustands gegenüber dem der Erstbemessung zugrunde gelegten Zustand ergibt, so ist der Versicherer nicht deshalb an einer (teilweisen) Rückforderung der Invaliditätsleistung gehindert, weil er sich bei der Erstbemessung nicht gemäß Ziff. 9.4 AUB 2008 die Neubemessung vorbehalten hatte.
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BGH, 02.11.2022, IV ZR 257/21
Hinweis: Im Einzelfall kann eine Veröffentlichung einige Tage später erfolgen, da die Entscheidung zunächst amtlich veröffentlicht und entsprechend aufbereitet werden muss.
Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf teilweise Rückzahlung einer Invaliditätsleistung in Anspruch. Zwischen den Parteien besteht ein Vertrag über eine private Unfallversicherung. Diesem liegen die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen der Klägerin (AUB 2008) zugrunde. Am 17.08.2014 stürzte der Beklagte von seinem Fahrrad und zog sich Verletzungen zu. Die Klägerin ging nach Leistungsprüfung von einer Invalidität von 3/10 Beinwert aus. Auf dieser Grundlage erbrachte sie an den Beklagten eine Invaliditätsleistung von 13.356 Euro. In der Folge beantragte der Beklagte die Neubemessung der Invalidität. Die Klägerin kam auf der Basis eines in ihrem Auftrag erstellten Gutachtens vom 21.09.2017 zu dem Ergebnis, dass lediglich eine Invalidität von 1/20 Großzehenwert verblieben sei. Mit Schreiben vom Oktober 2017 rechnete sie auf dieser Grundlage eine Invaliditätsleistung von 159 Euro ab und forderte den überzahlten Betrag zurück. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Rückzahlung von 13.197 Euro nebst Zinsen. Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG den Beklagten zur Rückzahlung von 8.904 Euro nebst Zinsen unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, nachdem es ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte, demzufolge zum 17.08.2017 eine Invalidität von 1/10 Beinwert bestand. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte das Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter.
Entscheidungsanalyse:
Der IV. Zivilsenat des BGH hat geurteilt, dass der klagenden Versicherungsgesellschaft gegen den beklagten Versicherungsnehmer ein Anspruch auf teilweise Rückzahlung der Invaliditätsleistung zusteht, der durch Ziff. 9.4 AUB 2008 nicht ausgeschlossen ist. Nach Auffassung des Senats ergibt sich dieser Anspruch jedoch nicht aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB, sondern aus § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB. Wenn die Neubemessung einen geringeren Invaliditätsgrad als die Erstbemessung ergibt, so fehlte es hinsichtlich des überzahlten Betrags nach Worten des BGH nicht bereits ursprünglich an einem Rechtsgrund für die Auszahlung der Invaliditätsleistung. Der Rechtsgrund falle erst nachträglich weg, daher folge der Rückzahlungsanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB. Nach Überzeugung des Senats war hier außerdem die Neubemessung der Invalidität zu Lasten des Beklagten mit der Folge eines Rückforderungsanspruchs der Klägerin nicht deshalb ausgeschlossen, weil sich diese im Schreiben vom 07.09.2016 nicht selbst die Neubemessung vorbehalten hatte. Der Senat erläutert, dass der Versicherer in Konstellationen wie der Vorliegenden durch eine Ziff. 9.4 AUB 2008 entsprechende Regelung nicht an der anteiligen Rückforderung der Invaliditätsleistung gehindert ist. Dies ergebe die Auslegung von Ziff. 9.4 AUB 2008. Danach seien sowohl der Versicherungsnehmer als auch der Versicherer berechtigt, innerhalb dort genannter Fristen den Grad der Invalidität „erneut ärztlich bemessen zu lassen“. Aus Sicht des BGH wird für den Versicherungsnehmer aus dem für ihn erkennbaren Zweck und Sinnzusammenhang der Klausel deutlich, dass für die Bemessung seiner Invaliditätsleistung die zuletzt innerhalb des Dreijahreszeitraums durchgeführte Neubemessung maßgeblich ist, und zwar unabhängig davon, wer diese beantragt hat. Nach Auffassung des Senats hält die Klausel darüber hinaus auch der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB stand. Der BGH stellt zudem klar, dass der Beklagte hier nicht nach § 820 Abs. 1 S. 2 BGB verschärft haftet. Denn der Wegfall des Rechtsgrundes habe sich für ihn nur als eine entfernt liegende Möglichkeit dargestellt. Nach Ansicht des Senats begründet die Kenntnis des Versicherungsnehmers von der Möglichkeit einer Neubemessung noch nicht die Kenntnis vom mangelnden rechtlichen Grund, sodass hier auch keine verschärfte Haftung aus § 819 Abs. 1 BGB in Betracht kommt. Der BGH hat daher das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Praxishinweis:
Der BGH hat in diesem Urteil zu der umstrittenen Frage Stellung genommen, ob der Unfallversicherer bei einer Klauselfassung wie in Ziff. 9.4 AUB 2008 an einer Rückforderung der Invaliditätsleistung gehindert ist, wenn dieser sich bei der Erstbemessung selbst nicht die Neubemessung vorbehalten hat und sich erst aufgrund eines vom Versicherungsnehmer initiierten Neubemessungsverfahrens ergibt, dass sich dessen Gesundheitszustand im Vergleich zur Erstbemessung verbessert hat. Nach Auffassung des BGH hat der Versicherer im konkreten Fall außerdem nicht durch das Abrechnungsschreiben den Eindruck erweckt, die Höhe der vertraglich geschuldeten Leistung endgültig klären zu wollen. Daher sei die Rückforderung der Versicherungsleistung auch nicht unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung gemäß § 242 BGB ausgeschlossen.
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