Verjährung eines Anspruchs aus Betriebshaftpflichtversicherung
Wird dem Versicherungsnehmer einer Betriebshaftpflichtversicherung im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens gegen einen Dritten der Streit verkündet, so bemisst es sich nach den Umständen des Einzelfalles, ob hierin bereits die ernsthafte Geltendmachung eines Anspruchs liegt, die den Lauf der Verjährungsfrist auslöst.
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OLG Dresden, 20.12.2022, 4 U 492/22
Sachverhalt:
Die Klägerin, ein Bauunternehmen, begehrt Deckungsschutz und Ersatz von Rechtsverfolgungskosten aus einer Betriebshaftpflichtversicherung. Sie hat zum 15.09.2005 bei der Beklagten unter Einbeziehung der damals geltenden Versicherungsbedingungen eine Betriebshaftpflichtversicherung abgeschlossen, wobei eine Versicherungssumme von 5.000.000,00 Euro vereinbart war. Der Versicherungsvertrag bestand zumindest bis zum 01.06.2011. Das V.-Center in C. wurde in den Jahren 1997 bis 1999 durch die I. GmbH als Generalunternehmerin errichtet. Letztere verschmolz in der Folgezeit mit der Firma S. AG. Im Jahr 2003 traten bauliche Mängel auf, die streitig waren. Zur Beilegung der Streitigkeiten verpflichtete sich die S. AG mit notariellem Vertrag vom 03.05.2007 Mängelbeseitigungsarbeiten an den Parkdecks des Centers als Generalunternehmerin durchzuführen. Die S. AG beauftragte die Klägerin mit Vertrag vom 10.08.2005 mit der Ausführung von Abdichtungsarbeiten am Bauvorhaben V.-Center C. Parkhaus. Die Klägerin führte die Arbeiten bis Anfang 2006 durch. Am 27.12.2010 stellte die Eigentümerin des Grundstücks des Centers gegen die S. AG einen Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens vor dem LG München I. Sie rügte im Wesentlichen Feuchtigkeitsschäden, wie z. B. Farbabplatzungen. Die S. AG ihrerseits verkündete gegenüber der Klägerin mit Schriftsatz vom 28.02.2011 den Streit. Der Sachverständige im selbständigen Beweisverfahren Prof. Dipl.-Ing. S. stellte in seinem Gutachten vom 03.06.2015 umfangreiche Mängel fest (feuchtebedingte Farbabplatzungen, Ablaufspuren, in die Betonkonstruktion eindringende Feuchtigkeit und Korrosion der dort befindlichen Bewehrung). Mit anwaltlichem Schreiben vom 06.10.2015 zeigte die Klägerin den Schadensfall bei der Beklagten an. Die Beklagte lehnte ihre Eintrittspflicht mit Schreiben vom 21.10.2015 unter anderem wegen Verjährung ab. Das LG hat der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.
Entscheidungsanalyse:
Der 4. Zivilsenat des OLG Dresden hat geurteilt, dass der Klägerin gegen die beklagte Versicherungsgesellschaft kein Anspruch auf Deckungsschutz aus der Betriebshaftpflichtversicherung vom 15.09.2005 zusteht, da der Anspruch verjährt ist. Nach Auffassung des Senats ist zwar nach dem Wortlaut der Versicherungsbedingungen der Versicherungsfall mit dem Schadensereignis eingetreten. Hierbei komme es nicht darauf an, wann sich erstmals Mängel an der von der Klägerin erbrachten Abdichtungsarbeiten am Parkhaus gezeigt hätten. Maßgeblich sei vielmehr, dass die Schadensentwicklung zum Zeitpunkt ihrer Inanspruchnahme fortbestanden habe. Der Senat erläutert, dass das Schadensereignis bei einer fortgesetzten Schädigung nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt beschränkt ist, sondern einen längeren Zeitraum umfasst. Bei fortdauernder Schädigung könne der Versicherungsnehmer daher berechtigterweise darauf vertrauen, dass ein Schadenseintritt im Sinne der Versicherungsbedingungen solange vorliege, wie die Schädigung fortdauere. Nach Auffassung des OLG wird der Versicherungsnehmer vor seiner Inanspruchnahme keine Veranlassung haben, an die Versicherung heranzutreten. Auch dies spreche dafür, bei einem sich immer weiter fortsetzenden Schaden für die Frage, wann ein Schadensereignis vorliegt und welches intertemporale Recht anwendbar ist, auf den Zeitpunkt der Inanspruchnahme durch einen Dritten abzustellen. Nach Überzeugung des Senats ist der Anspruch der Klägerin allerdings verjährt, da sie durch die Streitverkündung vom 28.02.2011 im selbständigen Beweisverfahren vor dem LG München I ernsthaft in Anspruch genommen worden ist. Die Verjährungsfrist habe am 01.01.2012 zu laufen begonnen und am 31.12.2014 geendet. Im Zeitpunkt der Schadensmeldung der Klägerin im Jahr 2015 sei Verjährung daher bereits eingetreten gewesen. Aus Sicht des Senats ist nämlich bei der Haftpflichtversicherung für den Beginn der Verjährungsfrist entscheidend, wann der Versicherungsnehmer ernsthaft in Anspruch genommen wird und nicht, wann der Verstoß bei Ausübung der Versichertentätigkeit begangen wurde. Das ernsthafte Geltendmachen des Anspruches könne hierbei auch in einer Streitverkündung erfolgen. Bezogen auf den konkreten Fall stellt der Senat klar, dass die Streitverkündung im Februar 2011 im selbständigen Beweisverfahren gegenüber der Klägerin eine solche ernsthafte Inanspruchnahme darstellt. Nach Worten des OLG hängt es außerdem von dem Umständen des Einzelfalls ab, ob bereits in der Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens das ernsthafte Geltendmachen eines Haftpflichtanspruches gegen den Versicherungsnehmer gesehen werden kann, das die Fälligkeit des Deckungsanspruches in der Haftpflichtversicherung begründet. Dies ist hier nach Ansicht des Senats der Fall, da sich die Eigentümerin mit der Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens nicht erst Klarheit darüber verschaffen wollte, wer für die Schäden verantwortlich ist. Das OLG ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die Berufung der Beklagten Erfolg hat.
Praxishinweis:
Nach der hier vom OLG Dresden vertretenen Auffassung kann die Frage, ob auch das selbständige Beweisverfahren eine gerichtliche Geltendmachung in diesem Sinne darstellt, nicht generell beantwortet werden. Besteht kein Zweifel daran, dass der Geschädigte allein den Versicherungsnehmer für einen eingetretenen Schaden verantwortlich machen will, und dient das selbständige Beweisverfahren nur dem Zweck, die Schadenshöhe festzustellen, so kann und muss der Versicherungsnehmer die Einleitung des Verfahrens als ernstliche Geltendmachung der Schadensersatzansprüche gegen ihn verstehen (so BGH, Urteil vom 09.06.2004 – IV ZR 115/03). Anders liegt der Fall aber nach Auffassung des OLG dann, wenn mehrere Schädiger in Betracht kommen, das Schadensbild unklar ist und der Geschädigte sich mit den selbständigen Beweisverfahren Klarheit darüber schaffen will, welche Schäden eingetreten sind, was zur Schadensentstehung geführt hat und wer jeweils die Verantwortung dafür trägt (so BGH a.a.O.).
Wenn Sie Fragen zur Verjährung eines Anspruchs aus einer Betriebshaftpflichtversicherung haben, dann nehmen Sie bitte Kontakt mit mir auf.