Abbau von Zeitguthaben durch Freistellung bei Arbeitsunfähigkeit
Abbau von Zeitguthaben durch Freistellung auch bei nachträglicher Arbeitsunfähigkeit
LAG Köln, 10.04.2025 – 3 SLa 629/24
Der auf Grund eines Guthabens in einem Langzeitkonto bestehende Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers wird auch dann durch seine Freistellung erfüllt, wenn der Arbeitnehmer nachträglich im Freistellungzeitraum arbeitsunfähig erkrankt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Tarifvertrag mit dem Freizeitausgleich die Verschaffung einer zu Erholungszwecken nutzbaren arbeitsfreien Zeit sicherstellen soll und dazu dem Arbeitgeber bei einer zuvor erfolgten Festlegung der freien Arbeitstage das Risiko dieser Nutzungsmöglichkeit zuweist.
Sachverhalt:
Die Parteien streiten über Ansprüche des Klägers aus einem Langzeitkonto. Der Kläger war seit 1984 bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie NRW in der jeweils gültigen Fassung Anwendung. Nach § 7 b) des Tarifvertrags über Langzeitkonten vom 15.12.2005 (TV LZK) erfolgt eine Auszahlung von Langzeitguthaben nach Anwendung der steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften ausnahmsweise bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn das Guthaben aus persönlichen oder betrieblichen Gründen nicht abgebaut werden konnte. Am 20.06.2023 schlossen die Parteien einen Aufhebungsvertrag zum 30.09.2023. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestand im Langzeitkonto des Klägers ein Guthaben von 31 Tagen. Zum Ausgleich dieses Guthabens sollte der Kläger im Zeitraum vom 18.08.2023 bis 29.09.2023 freigestellt werden; dementsprechend wurden am 26.06.2023 für den vereinbarten Zeitraum 31 Freistellungstage für den Kläger in das Zeiterfassungssystem der Beklagten eingepflegt. Die Genehmigung dieser Freistellung, die der Kläger am 03.07.2025 beantragte, wurde noch am selben Tag durch seinen Vorgesetzten genehmigt. Vom 04.08.2023 bis über das Ende des Arbeitsverhältnisses am 30.09.2023 hinaus war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Der Kläger begehrte daraufhin die Auszahlung der 31 Tage aus dem Langzeitkonto. Der Kläger war der Ansicht, er habe wegen seiner Erkrankung aus persönlichen Gründen die in seinem Langzeitkonto eingestellten Stunden nicht abbauen können. Aus diesem Grund stehe ihm aus § 7 b) TV LZK ein Auszahlungsanspruch zu. Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Auch die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Entscheidungsanalyse:
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von 8.933,89 Euro brutto als Abgeltung für 31 Tage aus dem Langzeitarbeitskonto, da bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses in dem Langzeitkonto des Klägers kein Guthaben mehr vorhanden war. Das im Langzeitkonto des Klägers nach Abschluss des Aufhebungsvertrags vom 20.06.2023 unstreitig noch bestehende Guthaben des Klägers ist durch die vereinbarungsgemäß am 03.07.2023 für den Zeitraum vom 18.08.2023 bis 29.09.2023 erfolgte Freistellung des Klägers abgebaut und sein Freistellungsanspruch erfüllt worden. Die ab dem 04.08.2023 eingetretene und bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30.09.2023 andauernde Arbeitsunfähigkeit des Klägers führt zu keiner rückwirkenden Beseitigung der eingetretenen Erfüllungswirkung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird ein Anspruch auf Arbeitszeitausgleich bereits durch die Freistellung von der Arbeitspflicht erfüllt. Der Arbeitnehmer ist in diesem Falle nicht mehr verpflichtet, im Freistellungszeitraum die nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Er kann über diesen Zeitraum frei verfügen, ohne dass die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung der entsprechenden Vergütung entfällt. Eine nachträglich eintretende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit im Freistellungszeitraum macht die Erfüllung des Ausgleichsanspruchs nicht hinfällig. Demnach trägt grundsätzlich der Arbeitnehmer das Risiko, die durch Arbeitsbefreiung als Arbeitszeitausgleich gewonnene Freizeit auch tatsächlich nach seinen Vorstellungen nutzen zu können (BAG, Urteil vom 11.09.2003 – 6 AZR 374/02). Etwas anderes gilt im Falle eines tarifvertraglich geregelten Arbeitszeitausgleichs nur dann, wenn der Tarifvertrag mit dem Freizeitausgleich die Verschaffung einer zu Erholungszwecken nutzbaren arbeitsfreien Zeit sicherstellen und dazu dem Arbeitgeber bei einer zuvor erfolgten Festlegung der freien Arbeitstage das Risiko dieser Nutzungsmöglichkeit zuweist. Ein dementsprechender Wille der Tarifvertragsparteien ist dem TV LZK nach Auffassung des LAG Köln nicht zu entnehmen. Er ergibt sich weder aus dem Wortlaut des Tarifvertrags selbst, noch aus dem Gesamtzusammenhang oder dem Sinn und Zweck der tariflichen Regelungen. Die tarifvertraglichen Regelungen nennen die Erholung des Arbeitnehmers nicht als maßgeblichen Zweck der freien Zeit. Vielmehr dienen die genannten Zwecke primär den individuellen Vorstellungen und Zielen des Arbeitnehmers, ohne dass der Arbeitgeber das Risiko einer gelungenen Nutzung dieser privaten Zeit tragen müsste.
Praxishinweis:
Die Ausgestaltung des Langzeitkontos als insolvenzgesichertes Wertguthaben und die Möglichkeit, es mit Geld anstatt nur mit Zeit zu befüllen, ist nach Auffassung des LAG Köln für die entscheidende Frage der Erfüllungswirkung irrelevant. Ob ein Anspruch auf Freizeitausgleich durch bezahlte Arbeitsbefreiung erfüllt wird, hängt nicht davon ab, wie das Konto zuvor befüllt wurde oder ob es insolvenzgesichert ist. Die wesentliche Frage sei vielmehr, ob eine Regelung besteht, die einen finanziellen Ausgleich vorsieht für den Fall, dass der Arbeitnehmer die freie Zeit nicht wie beabsichtigt nutzen kann. Eine solche Regelung fand sich hier nicht.
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