Arbeitszeiterfassung bei freigestellten Betriebsratsmitgliedern
Arbeitszeiterfassung bei freigestellten Betriebsratsmitgliedern
Entscheidungsanalyse zu LAG Düsseldorf, 27.03.2025 – 11 SLa 594/24
Ein freigestelltes Betriebsratsmitglied hat Anspruch auf Teilnahme an dem in einer Betriebsvereinbarung geregelten Arbeitszeiterfassungssystem. Die Zeiten der Betriebsratstätigkeit sind so zu dokumentieren, dass auch nachträglich eine Feststellung und Überprüfung möglich ist. Unter eine Regelung zu „Kappungsgrenzen“ fallen Betriebsratsmitglieder allerdings nicht, da Betriebsratsmitglieder in Bezug auf ihre Betriebsratstätigkeit keinen Weisungen des Arbeitgebers unterliegen.
Sachverhalt:
Die Parteien streiten zweitinstanzlich insbesondere darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, in dem bei ihr eingerichteten Zeiterfassungssystem die von der Klägerin geleisteten Zeiten vollumfänglich zu dokumentieren. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der MTV Chemie Anwendung. Im Betrieb der Beklagten erfolgt eine digitale Zeiterfassung auf der Grundlage der „Betriebsvereinbarung zur Regelung flexibler Arbeitszeit im Gleitzeitbereich“. Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte sei aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ihre tatsächlich geleistete Arbeitszeit zu erfassen und keine davon abweichenden fiktiven Zeiten abzubilden. Das Arbeitsgericht hat einen entsprechenden Antrag der Klägerin abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hat Erfolg.
Entscheidungsanalyse:
Die Klägerin fällt als Arbeitnehmerin der Beklagten in den Anwendungsbereich der im Betrieb der Beklagten geltenden „Betriebsvereinbarung zur Regelung flexibler Arbeitszeit im Gleitzeitbereich“, die eine digitale Erfassung der Arbeitszeit vorsieht. Dass die Klägerin freigestelltes Betriebsratsmitglied ist und in dieser Funktion Betriebsratstätigkeit ausübt, führt dazu, dass sie keine Arbeit leistet und insofern keinen Arbeitszeitvorgaben der Beklagten unterliegt. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die von ihr geleisteten Stunden in dem bei der Beklagten bestehenden System der digitalen Zeiterfassung zu erfassen sind. Nach § 37 Abs. 1 BetrVG führen die Mitglieder des Betriebsrats ihr Amt als Ehrenamt. Für die Dauer der Freistellung besteht keine Verpflichtung zur Arbeitsleistung. An die Stelle der Arbeitspflicht tritt die Verpflichtung des Betriebsratsmitglieds, während seiner arbeitsvertraglichen Arbeitszeit im Betrieb am Sitz des Betriebsrats, dem er angehört, anwesend zu sein und sich dort für anfallende Betriebsratsarbeit bereitzuhalten. Das ist die gesetzliche Rechtsfolge der Freistellung. Gleichwohl haben freigestellte Betriebsratsmitglieder ein schutzwürdiges Interesse daran, ihre Anwesenheit im Betrieb erfassen zu lassen. Zweck einer Betriebsvereinbarung über eine Arbeitszeiterfassung, An- und Abwesenheitsdaten festzustellen und diese nach einschlägigen Regeln u.a. zum Zweck der Vergütungsabrechnung an das Abrechnungssystem zu übergeben, trifft auch auf freigestellte Betriebsratsmitglieder zu (BAG, Urteil vom 10.07.2013 . 7 ABR 22/12). Denn wenn eine solche Dokumentation fehlt, kann es zu Abzügen vom Arbeitsentgelt führen, wenn ein Betriebsratsmitglied nicht im Umfang seiner Arbeitszeit Betriebsratstätigkeit erbringt. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der Arbeitgeber daher verpflichtet, auch den freigestellten Betriebsratsmitgliedern die Teilnahme an dem in einer Betriebsvereinbarung geregelten Arbeitszeiterfassungssystem zu ermöglichen. Die Beklagte hat ausnahmslos alle Zeiten der Betriebsratstätigkeit zu dokumentieren. Betriebliche Regelungen, nach denen bestimmte Zeiten „gekappt“ werden mit der Folge, dass sie im Zeiterfassungssystem nicht (mehr) dokumentiert sind, sind auf die Klägerin als freigestelltes Betriebsratsmitglied nicht anwendbar. Da Betriebsratsmitglieder in Bezug auf ihre Betriebsratstätigkeit keinen Weisungen des Arbeitgebers unterliegen, sondern sie ihr neben dem Arbeitsverhältnis bestehendes Betriebsratsamt selbständig und unabhängig wahrnehmen, richten sich Vorgaben, mit denen die Ableistung zu bestimmten Arbeitszeiten unterbunden werden soll, schon denklogisch nicht an diese. Ebenso wenig können die daran anknüpfenden Regelungen über die Vergütung von außerhalb der Kappungsgrenzen geleisteter Arbeit für freigestellte Betriebsratsmitglieder Relevanz haben. Denn diese leisten keine vergütungspflichtige Arbeit. Der Ausgleich für außerhalb der Arbeitszeit durchgeführte Betriebsratstätigkeit richtet sich ausschließlich nach § 37 Abs. 3 BetrVG. Diese Vorschrift ist zwingend und kann weder durch Tarifvertrag noch durch Betriebsvereinbarung abgeändert werden.
Praxishinweis:
Die „Kappung“ von über eine Obergrenze hinausgehenden Guthabenstunden eines Arbeitszeitkontos regelt individuelle Folgen einer Überschreitung der maximalen Sollarbeitszeit. Der Kappungsmechanismus wirkt dann als „erzieherische Maßnahme“ und dient letztlich dazu, grenzenlose Arbeitszeiten zu verhindern. Unter welchen Voraussetzungen derartige Kappungsregelungen zulässig sind, ob und – wenn ja – welche vergütungsrechtlichen Folgen sie zur Folge haben, hat das LAG Düsseldorf hier offen gelassen.
Wenn Sie Fragen zum Thema Arbeitszeiterfassung bei freigestellten Betriebsratsmitgliedern haben, dann nehmen Sie bitte Kontakt mit mir auf.

