Anspruch auf Wiedereingliederung einer schwerbehinderten Person
Anspruch auf Wiedereingliederung einer schwerbehinderten Person
Ein Arbeitgeber kann gegenüber einer schwerbehinderten Person verpflichtet sein, an einer Maßnahme der stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben mitzuwirken und den Beschäftigten entsprechend dem ärztlichen Wiedereingliederungsplan zu beschäftigen. Dieser Anspruch kann auch im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens geltend gemacht werden. Die notwendige Eilbedürftigkeit folgt aus dem Beschäftigungsinteresse der schwerbehinderten Person, welches aufgrund ihres Anspruchs auf Teilhabe am Erwerbsleben grundsätzlich überwiegt.
ArbG Aachen, 12.03.2024, 2 Ga 6/24
Sachverhalt:
Die Parteien streiten im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens über die stufenweise Wiedereingliederung des schwerbehinderten Klägers. Der Verfügungskläger ist seit 1988 bei der Verfügungsbeklagten beschäftigt, zuletzt als Verkaufs- und Vertriebsleiter. Arbeitsvertraglich ist geregelt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien am 31.10.2024 mit Erreichen der Regelaltersgrenze des Verfügungsklägers endet. Der Verfügungskläger litt seit April 2023 an einem Hirntumor. Die Erkrankung des Klägers wurde bis Ende Januar 2024 erfolgreich therapiert. Aufgrund der Krebserkrankung beim Verfügungskläger ein Grad der Behinderung von 90 anerkannt worden. Die behandelnde Hausärztin stellte am 07.02.2024 einen ersten Wiedereingliederungsplan auf. Die Verfügungsbeklagte lehnte die Maßnahme mit Schreiben vom 22.02.2024 ab. Daraufhin stellte die Hausärztin am 01.03.2024 einen neuen Wiedereingliederungsplan, beginnend ab dem 15.03.2024, aus. Der Verfügungskläger ist bis zum 10.04.2024 noch fahruntüchtig. Ab dem 08.06.2024 wird er nach seinen Angaben wieder voraussichtlich vollschichtig in seiner vertraglich vereinbarten Tätigkeit einsatzfähig sein. Der Verfügungskläger verlangt ab dem 04.03.2024 die Beschäftigung nach dem Wiedereingliederungsplan als Verkaufsleiter. Die Verfügungsklage hat Erfolg.
Entscheidungsanalyse:
Es besteht sowohl ein Verfügungsanspruch als auch ein Verfügungsgrund. Der Anspruch des Verfügungsklägers auf Beschäftigung im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung ergibt sich aus § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB IX. Nach der Rechtsprechung des BAG besteht zwar grundsätzlich kein Anspruch auf Mitwirkung des Arbeitgebers an einer stufenweisen Wiedereingliederung des Arbeitnehmers in das Erwerbsleben. Vielmehr ist das Wiedereingliederungsverhältnis ein Vertragsverhältnis eigener Art (sui generis), zu dessen Begründung es einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bedarf, wobei für beide Seiten das Prinzip der Freiwilligkeit gilt (BAG, Urteil vom 16.05.2019 – 8 AZR 530/17). Etwas anderes gilt jedoch, wenn es um die stufenweise Wiedereingliederung eines schwerbehinderten Beschäftigten in das Erwerbsleben geht. In einem solchen Fall kann der Arbeitgeber nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB IX verpflichtet sein, an einer Maßnahme der stufenweisen Wiedereingliederung mitzuwirken und eine schwerbehinderte Person entsprechend den Angaben im ärztlichen Wiedereingliederungsplan zu beschäftigen. Ein solcher Anspruch setzt allerdings voraus, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine ärztliche Bescheinigung seines behandelnden Arztes vorlegt, aus der sich Art und Weise der empfohlenen Beschäftigung, Beschäftigungsbeschränkung, Umfang der täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit sowie die Dauer der Maßnahme ergeben. Der Verfügungskläger hat einen solchen Wiedereingliederungsplan vorgelegt. Der Wiedereingliederung steht nicht entgegen, dass der Verfügungskläger bis zum 10.04.2024 nicht fahrtüchtig ist. Die Verfügungsbeklagte hat nicht hinreichend vorgetragen, dass im Rahmen der Wiedereingliederung bis zum 10.04.2024 nicht auch Arbeiten im Büro anfallen, die der Verfügungskläger sinnvollerweise erledigen könnte. Es besteht auch ein Verfügungsgrund. Es besteht grundsätzlich ein besonderes Beschäftigungsinteresse eines schwerbehinderten Arbeitnehmers im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung. Die Wiedereingliederung im Rahmen von § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB IX wird regelmäßig nur im Wege des Eilrechtsschutzes zu erlangen sein. Der Verfügungskläger ist zur Durchsetzung seines besonderen Beschäftigungsanspruchs als schwerbehinderter Arbeitnehmer aus § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB IX zwingend darauf angewiesen, dass diese zeitnah erfolgt. Ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens würde sein Recht unmöglich machen oder jedenfalls erheblich erschweren. Demgegenüber sind auf Seiten der Verfügungsbeklagten keine Schäden aus der sofortigen vorläufigen Erfüllung ersichtlich, die außer Verhältnis zu dem Schaden des Verfügungsklägers stehen, wenn sein Anspruch auf Beschäftigung im Wege des stufenweise Wiedereingliederung nicht bereits jetzt erfüllt würde.
Praxishinweis:
Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind, weil die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers andauert, während des Wiedereingliederungsverhältnisses weiterhin von den Hauptleistungspflichten des Arbeitsverhältnisses befreit. Es bedarf daher der substantiierten Darlegung und ggf. Glaubhaftmachung von Gründen, die der Beschäftigung des schwerbehinderten Arbeitnehmers entgegenstehen. Dabei genügt nicht der (pauschale) Vortrag die Beschäftigung des schwerbehinderten Arbeitnehmers sei nicht wirtschaftlich. Dies muss und kann sie auch nicht sein. Der Arbeitgeber schuldet keine Vergütung für die Zeit der stufenweisen Wiedereingliederung.
Wenn Sie Fragen zum Thema Anspruch auf Wiedereingliederung einer schwerbehinderten Person haben, dann nehmen Sie bitte Kontakt mit mir auf.