Rechtsmissbrauchseinwand bei Entschädigungsanspruch in AGG
Rechtsmissbrauchseinwand bei Entschädigungsanspruch nach dem AGG
An den Einwand des Rechtsmissbrauchs gegen einen Entschädigungsanspruch aus § 15 Abs. 2 AGG sind hohe Anforderungen zu stellen. Hinreichende Indizien können aber eine wenig aussagekräftige Bewerbung ohne Unterlagen sein, eine weite Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstelle sowie eine Vielzahl von Entschädigungsklagen (im Streitfall etwa 20 Verfahren) vor dem gleichen Hintergrund.
LAG Hamm, 23.03.2023, 18 Sa 888/22
Sachverhalt:
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger ein Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach dem AGG zusteht. Im Januar 2022 veröffentlichte die Beklagte eine Stellenausschreibung auf dem Portal „Ebay-Kleinanzeigen“ für eine Sekretärin mit Berufserfahrung. Alle Beschäftigten der Beklagten sind muslimischen Glaubens. Insbesondere eine Kollegin, mit der die gesuchte Mitarbeiterin eng zusammenarbeiten soll, bat darum, eine weibliche Bürokraft einzustellen, da ihr Glaube und ihr Ehemann es nicht zuließen, dass sie mit einem Mann in einem Büroraum arbeite. Der Kläger, der ca. 170 km vom Sitz der Beklagten entfernt wohnt, bewarb sich hierauf über die Chatfunktion bei Ebay-Kleinanzeigen am 18.01.2022 mit folgender Nachricht: „Hallo, ich habe gerade auf Ebay Kleinanzeigen ihre Stellenausschreibung gefunden, womit Sie eine Sekretärin suchen. Ich suche derzeit eine neue Wohnung im Umkreis und habe Interesse an Ihrer Stelle. Ich habe Berufserfahrung im Büro und kenne mich mit Word und Excel und Gesetzen gut aus. Lieferscheine und Rechnungen kann ich auch schreiben und sonst typische Arbeiten einer Sekretärin. Ich bewerbe mich hiermit auf ihrer Stelle. Suchen Sie nur ausschließlich eine Sekretärin, also eine Frau? …“ Die Beklagte antwortete hierauf, dass sie tatsächlich eine Frau suchen. Weitere Unterlagen wie einen Lebenslauf übersandte der Kläger nicht. Der Kläger wurde von der Beklagten nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Der Kläger forderte daraufhin eine Entschädigung in Höhe von 7.800,00 Euro, da er wegen des Geschlechts diskriminiert worden sei. In welchem Umfang der Kläger sich bei anderen Unternehmen bewarb, die über das Portal Ebay-Kleinanzeigen eine „Sekretärin“ suchten, ist zwischen den Parteien streitig. Das ArbG hat der anschließenden Klage in Höhe von 5.400,00 Euro stattgeben. Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
Entscheidungsanalyse:
Dem Kläger steht kein Anspruch auf die begehrte Entschädigungszahlung aus § 15 Abs. 2 S. 1 AGG zu. Dem Anspruch steht der Rechtsmissbrauchseinwand entgegen. Das LAG Hamm kommt hier zu dem Ergebnis, dass sich der Kläger nicht bewarb, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten. Vielmehr ging es ihm allein darum, den formalen Status eines Bewerbers im Sinne des § 6 Abs. 1 S. 2 AGG zu erlangen, um einen Entschädigungsanspruch einfordern zu können. Die Beklagte hat hinreichende Indizien vorgetragen, die auf ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen des Klägers hindeuten und den Schluss auf das Vorliegen des objektiven sowie des subjektiven Elements für eine missbräuchliche Praxis erlauben. Der Kläger ist dem nicht hinreichend konkret entgegengetreten. Der Kläger erwähnte seine Qualifikation und Berufserfahrung nur sehr pauschal. Er machte keine konkreten Angaben zu seinem beruflichen Werdegang und der zuvor von ihm ausgeübten Tätigkeit. Unterlagen, wie etwa Zeugnisse oder einen Lebenslauf, übersandte der Kläger weder mit seiner Chat-Nachricht noch in einem ergänzenden schriftlichen Bewerbungsanschreiben. Darüber hinaus ist angesichts der erheblichen Entfernung zwischen dem Wohnort des Klägers und dem Betriebssitz der Beklagten nicht ersichtlich, wie der Kläger hätte sicherstellen wollen, täglich die Arbeit antreten zu können. Nach allgemeiner Lebenserfahrung kann nicht ernsthaft angenommen werden, dass ein Arbeitnehmer, um einer unterdurchschnittlich bezahlte Bürotätigkeit nachgehen zu können, den Zeitaufwand und die Kosten für die Überbrückung der (einfachen) Entfernung von 172 Kilometern täglich aufzuwenden bereit ist. Der Kläger hat zwar vorgebracht, „pendeln“ zu wollen, er hat aber nicht näher aufzeigen können, wie er dies bewerkstelligt hätte. Der Kläger hat sich auch darauf berufen, bereit gewesen zu sein, in die Nähe des Firmensitzes der Beklagten zu ziehen und bereits „Anfragen“ wegen eines Umzuges gestellt zu haben. Nachdem die Beklagte in Abrede gestellt hat, dass der Kläger tatsächlich einen Umzug beabsichtigte, hat der Kläger allerdings keine näheren Angaben zu etwaigen Umzugsplänen und „Anfragen“ gemacht. Darüber hinaus führte der Kläger eine Vielzahl von Verfahren nach dem gleichen „Muster“ mit dem Ziel, eine Entschädigungszahlung gerichtlich zu erstreiten. Angesichts der Vielzahl von Verfahren in einem relativ kleinen Zeitraum und angesichts des standardisierten methodischen Vorgehens des Klägers muss davon ausgegangen werden, dass er es darauf anlegte, sich an den eingeforderten Entschädigungszahlungen zu bereichern.
Praxishinweis:
Mit Urteil vom 21.06.2022 hat das LAG Schleswig-Holstein – 2 Sa 21/22 – dem Kläger, nachdem er sich auf eine Stellenausschreibung für eine „Sekretärin“ erfolglos bewarb, eine Entschädigungszahlung zugesprochen. Das LAG Hamm stellt in seiner Entscheidung aber klar, dass hier keine Divergenz i.S.d. § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG vorliegt. Die erkennende Kammer ist nicht aufgrund eines abweichenden Rechtssatzes zu einem anderen Ergebnis gekommen, sondern weil der hier unterbreitete Sachverhalt sich im Hinblick auf seine anderen Bewerbungen und die von ihm angestrengten gerichtlichen Verfahren von dem Sachverhalt unterscheidet, den das LAG Schleswig-Holstein zu beurteilen hatte.
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