Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit kann Kündigung rechtfertigen
Das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit kann verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen
Entscheidungsanalyse zu LAG Köln, 12.12.2024 – 8 Sa 409/23
Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung können gerechtfertigt sein, wenn sich mehrere zu einem Personalgespräch geladene Arbeitnehmer gleichzeitig krankmelden. Gelingt es der arbeitgebenden Partei, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, so tritt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage der Bescheinigung bestand. Der Nachweis dafür, dass ein unentschuldigtes Fehlen vorlag, also die behauptete Krankheit nicht vorliegt, obliegt der kündigenden Partei. Aufgrund der ihr obliegenden Beweislast hat die arbeitgebende Partei den konkreten Sachvortrag des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin zu entkräften.
Sachverhalt:
Die Parteien streiten in 2. Instanz über die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung. Im Mai 2022 hat die Beklagte dem Kläger einen Aufhebungsvertrag angeboten, den dieser ablehnte. Am 11.07.2022 wurde der Kläger neben weiteren sieben Mitarbeitern zu einem Personalgespräch im Rahmen einer von der Beklagten geplanten Restrukturierungsmaßnahme eingeladen. Für diesen Tag meldeten sich sämtliche der acht eingeladenen Mitarbeiter, einschließlich des Klägers, arbeitsunfähig krank. Der Kläger hat am 12.07.2022 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt, mit welcher ihm vom 11.07.2022 bis 15.07.2022 Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wurde. Am 28.07.2022 hat der Kläger eine ordentliche Kündigung vom 27.07.2022 mit Wirkung zum 30.11.2022 erhalten. Die Beklagte hat die Kündigung auf dringende betriebsbedingte Gründe wegen Wegfall des Arbeitsplatzes (hierüber streiten die Parteien in der 2. Instanz nicht mehr) sowie auf verhaltensbedingte Gründe in Form des Vortäuschens von Arbeitsunfähigkeit gestützt. Die Beklagte ist der Ansicht, der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei erschüttert, weil sich am gleichen Tag kollektiv acht Mitarbeiter krankgemeldet haben und weil diese durch den behandelnden Arzt zurückdatiert worden sei. Die Krankmeldung beruhe nicht auf einer tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit, sondern sei durch den Kläger und die sieben anderen Mitarbeiter lediglich als Ausdruck einer organisierten Protestaktion vorgeschoben. Damit habe der Kläger die Erkrankung vorgetäuscht. Das ArbG hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
Entscheidungsanalyse:
Das Arbeitsverhältnis ist auch nicht durch die verhaltensbedingte Kündigung beendet worden. Das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit kann zwar eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen. Der Nachweis dafür, dass ein unentschuldigtes Fehlen vorlag, also die behauptete Krankheit nicht vorliegt, obliegt aber der kündigenden Partei. Vorliegend ist der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zwar erschüttert, die Beklagte hat aber nicht unter Beweis gestellt, dass der Kläger nicht arbeitsunfähig war und die Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht hat. So wie der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dadurch erschüttert sein kann, dass Arbeitnehmer unmittelbar in Zusammenhang mit der Kündigung oder nach der Ablehnung eines Urlaubsantrags erkranken und nach den Gesamtumständen des zu würdigenden Einzelfalls Indizien vorliegen, die Zweifel am Bestehen der Arbeitsunfähigkeit begründen (BAG, Urteil vom 13.12.2023 – 5 AZR 137/23), kann ein solcher Zweifel auch begründet sein, wenn die Arbeitsunfähigkeit in Zusammenhang mit einem anderen arbeitgeberseitigen Verhalten wie einem Personalgespräch auftritt, bei dem die Befürchtung besteht, hierbei könnte die Beendigung des Arbeitsverhältnisses angesprochen werden. So liegt der Fall hier. Solche Zweifel sind insbesondere dann gerechtfertigt, wenn auch die weiteren zu dem Personalgespräch Geladenen sich ebenfalls krankmelden. Dies begründet den berechtigten Verdacht, dass die Mitarbeitenden sich abgesprochen haben, um eine konfliktträchtigen Gesprächssituation aus dem Weg zu gehen. Diese Annahme liegt jedenfalls näher als die, dass bei acht Mitarbeitenden gleichzeitig eine Arbeitsunfähigkeit eingetreten ist. Gelingt es der arbeitgebenden Partei, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, so tritt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage der Bescheinigung bestand. Der Nachweis dafür, dass ein unentschuldigtes Fehlen vorlag, also die behauptete Krankheit nicht vorliegt, obliegt der kündigenden Partei. Aufgrund der ihr obliegenden Beweislast hat die arbeitgebende Partei den konkreten Sachvortrag des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin zu entkräften. Diesen Beweis hat die Beklagte nicht zu führen vermocht.
Praxishinweis:
Das LAG Köln hat die behandelnde Ärztin als Zeugin gehört. Diese konnte nachvollziehbar darlegen, dass sie bei dem Kläger Erkältungssymptome mit einem Verdacht auf eine Corona-Infektion festgestellt hat. Da zum Zeitpunkt 12.07.2022 der Corona-Virus verbreitet war, ist eine Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit auch nachvollziehbar. Insbesondere vor dem anstehenden Personalgespräch mit mehreren Beteiligten und der damit verbundenen Ansteckungsgefahr mit dem Corona-Virus ist die Krankschreibung auch nicht deshalb zweifelhaft, weil die Zeugin nach eigener Aussage keine Kenntnis von der konkreten Tätigkeit des Klägers hatte. Diese spielt vor dem Hintergrund einer möglichen Corona-Infektion für die Zeugin nachvollziehbar keine Rolle.
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