Auslegung einer Dienstunfähigkeitsklausel eines Versicherers
Auslegung einer Dienstunfähigkeitsklausel eines Versicherers
Bei einer Dienstunfähigkeitsklausel eines Versicherers, nach der es für bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausreicht, wenn die versicherte Person als Beamter infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche ihrer körperlichen oder geistigen Kräfte zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig ist und dazu wegen allgemeiner Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt oder entlassen worden ist, begründet nicht schon der Umstand, dass der Beamte wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt wurde, eine unwiderlegbare Vermutung seiner vollständigen Berufsunfähigkeit.
Originalentscheidung auf Wolters Kluwer Online aufrufen:
BGH, 31.05.2023, IV ZR 58/22
Sachverhalt:
Der Kläger macht Leistungsansprüche aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung geltend, die er im Jahr 2013 bei der Beklagten abgeschlossen hat. Dem Versicherungsvertrag liegen „Allgemeine Bedingungen für die Selbstständige Berufsunfähigkeitsversicherung“, „Tarifbedingungen für Tarif B (50 %-Klausel)“ sowie eine „Zusätzliche Vereinbarung – Dienstunfähigkeitsklausel“ zugrunde. Die Dienstunfähigkeitsklausel lautet auszugsweise: „Ergänzend zu § 2 der Allgemeinen Bedingungen für die Berufsunfähigkeitsversicherung gilt als vereinbart: Alternativ zu der Voraussetzung für bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit, dass die versicherte Person ihrem zuletzt ausgeübten Beruf nicht mehr nachgehen kann, reicht es bereits aus, wenn die versicherte Person als Beamtin/Beamter … infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche ihrer körperlichen oder geistigen Kräfte zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig ist und dazu wegen allgemeiner Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt oder entlassen worden ist.“ Der Kläger war seit Mai 2013 Bürgermeister einer Verbandsgemeinde, ehe er durch Bescheid vom 14.05.2019 mit Ablauf des Monats Mai 2019 aufgrund psychischer Beeinträchtigungen in den Ruhestand versetzt wurde. Die daraufhin beantragten Versicherungsleistungen verweigert die Beklagte mit der Begründung, sie habe die erforderliche Prüfung ihrer Leistungspflicht nicht beenden können, da der Kläger nicht bereit sei, sich einer fachärztlichen Untersuchung zur Feststellung der dauernden Dienstunfähigkeit zu unterziehen. Der Kläger sieht sich zu einer solchen Untersuchung nicht gehalten. Er ist der Auffassung, die Vorlage des Bescheides zur Versetzung in den Ruhestand begründe eine unwiderlegbare Vermutung seiner Berufsunfähigkeit. Das LG hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das OLG mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als derzeit unbegründet abgewiesen wird. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision.
Entscheidungsanalyse:
Der IV. Zivilsenat des BGH hat geurteilt, dass der Leistungsanspruch des klagenden Versicherungsnehmers noch nicht fällig im Sinne von § § 14 Abs. 1 VVG ist, weil die beklagte Versicherungsgesellschaft notwendige Erhebungen zur Feststellung des Versicherungsfalles aufgrund unzureichender Mitwirkung des Klägers nicht hat abschließen können. Nach Überzeugung des Senats genügt nach der Dienstunfähigkeitsklausel die Versetzung des Klägers in den Ruhestand wegen allgemeiner Dienstunfähigkeit nicht, um die Leistungspflicht des Versicherers auszulösen. Dies ergebe die Auslegung der Klausel. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer werde sich zunächst am Wortlaut der Klausel orientieren. Er erkennt nach Worten des BGH, dass die Klausel für den versicherten Beamten einen zusätzlichen Tatbestand der „Berufsunfähigkeit“ enthält, der neben die übrigen Leistungsversprechen in § 2 der Allgemeinen Bedingungen tritt und mit der Versetzung des Beamten in den Ruhestand oder seiner Entlassung jedenfalls ein erkennbares Handeln des Dienstherrn voraussetzt. Dem Versicherungsnehmer werde auffallen, dass die Klausel eine Zurruhesetzungs- oder Entlassungsverfügung „wegen allgemeiner Dienstunfähigkeit“ verlangt. Aus Sicht des Senats wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer aus dem Umstand, dass der Versicherer bei der Dienstunfähigkeitsklausel anders als in den übrigen Fällen der Berufsunfähigkeit nicht deren ärztlichen Nachweis verlangt, nicht schließen, er habe die gesundheitsbedingte Dienstunfähigkeit nicht nachzuweisen, sofern er ihretwegen in den Ruhestand versetzt wird. Er wird nach Ansicht des BGH vielmehr davon ausgehen, dass der zusätzlich zu den in den Tarifbedingungen aufgestellten Mitwirkungsobliegenheiten geforderte Nachweis im Falle der Zurruhesetzung oder Entlassung aufgrund allgemeiner Dienstunfähigkeit entbehrlich ist, weil dieser eine ärztliche Begutachtung des Beamten vorausgegangen ist, deren Ergebnis den Dienstherrn zu der Überzeugung gebracht haben muss, der Beamte sei aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr dienstfähig. Die Dienstunfähigkeitsklausel sei auch nicht unklar im Sinne von § 305c Abs. 2 BGB. Der BGH ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die Revision des Klägers keinen Erfolg hat.
Praxishinweis:
Der BGH macht in diesem Urteil auch deutlich, dass auch der Zweck und der Sinnzusammenhang der Klausel nicht für ein abweichendes Verständnis sprechen. Der Versicherungsnehmer werde nicht annehmen, der Versicherer wolle entgegen dem eindeutigen Wortlaut der Klausel auf eine eigene Prüfung der Dienstunfähigkeit verzichten und sich der Beurteilung der allgemeinen Dienstunfähigkeit durch den Dienstherrn unterwerfen. Die Klausel gebe dem Versicherer auch nicht die Möglichkeit, den Versicherten auf eine andere von ihm ausgeübte Tätigkeit – auch im Wege der Nachprüfung – zu verweisen.
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