Haftung des Versicherungsvermittlers bei Verletzung von Beratungspflicht
Haftung des Versicherungsvermittlers bei Verletzung von Beratungspflicht
Bei einer Verletzung von Beratungspflichten aus Anlass eines Versichererwechsels kann ein Versicherungsvermittler dem Versicherungsnehmer gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet sein. Der Versicherungsnehmer muss sich jedoch im Wege der Vorteilsausgleichung einen erhaltenen Rückkaufswert anrechnen lassen. Dies kann dazu führen, dass im Ergebnis kein ersatzfähiger Schaden verbleibt.
Originalentscheidung auf Wolters Kluwer Online aufrufen:
OLG Saarbrücken, 24.11.2021, 5 U 20/19
Sachverhalt:
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadenersatz wegen fehlerhafter Beratung im Zusammenhang mit der Kündigung eines alten und dem Abschluss eines neuen Versicherungsvertrages in Anspruch. Der im Juli 1970 geborene Kläger hat eine Ausbildung zum Dachdeckergesellen abgeschlossen und war in diesem Beruf seit dem 01.04.2014 – nachdem er zuvor zeitweise in anderen Berufen gearbeitet hatte – im Angestelltenverhältnis tätig. Im Jahr 2010 hatte er bei der Württembergischen Lebensversicherung AG (Württembergische) eine Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung abgeschlossen (Versicherungsschein vom 31.03.2010). Mit Schreiben vom 25.09.2014, das den Kläger als Absender und Unterzeichner ausweist, wurde der Vertrag „mit sofortiger Wirkung“ gekündigt, und der Kläger erhielt, nachdem die Beklagte die Kündigung zum 01.10.2014 bestätigt hatte, den Rückkaufswert in Höhe von 1414,09 Euro ausgezahlt. Auf einen Antrag vom 26.11.2014 wurde für den Kläger mit Versicherungsschein vom 23.12.2014 eine „Existenzschutzversicherung“ bei der X. Versicherung AG mit einer Monatsprämie von 39,50 Euro policiert, die auf Vermittlung des Beklagten, der seinerzeit als Ausschließlichkeitsvertreter für die X. tätig gewesen ist, zustande gekommen war. Mit seiner im November 2017 erhobenen Klage hat der Kläger vom Beklagten Schadenersatz in Höhe von 27.422,00 Euro – errechnet aus der entgangenen „Berufsunfähigkeitsrente“ von Oktober 2015 bis November 2017 bei der X. Versicherung und der für diese Versicherung gezahlten Prämien – und laufende monatliche Zahlungen ab Dezember 2017 in Höhe von 1000 Euro bis längstens zum November 2035, hilfsweise – insoweit begründet mit der entgangenen Berufsunfähigkeitsrente bei der Württembergischen – 23.310 Euro zuzüglich monatlicher Zahlungen ab Dezember 2017 bis November 2035 in Höhe von 841,85 Euro begehrt. Der Kläger hat vorgetragen, er habe den Beklagten darauf hingewiesen, dass er sich in ärztlicher Behandlung befunden habe, nachdem er Augenzeuge eines Tötungsdeliktes geworden sei und gefragt, ob dies nicht zu Problemen beim Versichererwechsel führen werde. Der Beklagte habe mittels gefälschter Unterschriften die alte Berufsunfähigkeitsversicherung gekündigt und eine „Existenzschutzversicherung“ bei der X. abgeschlossen. Er sei seit dem 15.10.2015 wegen eines Karpaltunnelsyndroms, eines Zervikalsyndroms und wegen einer Bandscheibenprotrusion als Dachdeckergeselle berufsunfähig. Das LG Saarbrücken hat die Klage abgewiesen, weil der Kläger nach seinem eigenen Vortrag keinen Vertrag bei der X. Versicherung geschlossen habe, die „Existenzschutzversicherung“ auch nicht gewollt und den früheren Vertrag bei der Württembergischen nicht gekündigt habe. Von diesem Vorbringen ausgehend bestehe der Vertrag bei der Württembergischen fort, und ein Schaden des Klägers sei nicht ersichtlich. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlichen Ansprüche in vollem Umfang weiterverfolgt.
Entscheidungsanalyse:
Der 5. Zivilsenat des OLG Saarbrücken hat geurteilt, dass der beklagte Versicherungsvermittler dem Kläger dem Grunde nach auf Ersatz der Schäden haftet, die dem Kläger durch die Kündigung des Vertrages über eine Berufsunfähigkeitsversicherung mit der Württembergischen entstanden sind oder entstehen (werden). Diese Kündigung beruhte nach Auffassung des Senats auf einer fehlerhaften Beratung durch den Beklagten, was diesen gemäß § 61, § 63 VVG zum Schadenersatz verpflichtet. Aus Sicht des Senats hat der Beklagte den Kläger bereits dadurch falsch beraten, indem er ihm erklärte, die bestehende Versicherung bei der Württembergischen sei für ihn wegen seines Berufswechsels wertlos. Nach Auffassung des OLG wird eine Falschberatung des Klägers durch den Beklagten hier auch deshalb vermutet, weil eine Beratungsdokumentation nicht existiert. Nach Ansicht des Senats hat der Beklagte den Kläger darüber hinaus pflichtwidrig nicht darauf hingewiesen, dass er aufgrund seiner Krankengeschichte – über sechs Monate dauernde Behandlung wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung im zweiten Halbjahr 2013, also weniger als ein Jahr vor Antragstellung bei der … – neuen Versicherungsschutz nicht in wirksamer Weise erreichen konnte und schon deswegen seinen früheren Versicherungsvertrag hätte weiterführen müssen. Ein zur Anspruchskürzung führendes Mitverschulden des Klägers gemäß § 254 Abs. 1 BGB komme hier nicht in Betracht. Der Senat stellt außerdem klar, dass dem Kläger durch die Kündigung des Vertrages mit der Württembergischen Versicherung AG jedoch keine Berufsunfähigkeitsrente entgangen ist, da nicht feststeht, dass der Kläger seit Oktober 2015 in seinem damals ausgeübten Beruf als Dachdecker zu mindestens 50 % berufsunfähig (gewesen) ist. Nach Überzeugung des OLG lag hier eine Berufsunfähigkeit von mindestens 50 % in dem seinerzeit ausgeübten Beruf als Dachdecker weder wegen Schwindelanfällen, noch wegen eines Karpaltunnelsyndroms noch wegen sonstiger orthopädischer Beschwerden vor. Der Senat betont zudem, dass ein Schadenersatzanspruch des Klägers zwar im Hinblick auf die Versicherungsprämien besteht, die er für den Vertrag aufgewendet hat. Er müsse sich jedoch im Wege der Vorteilsausgleichung den von der Württembergischen erhaltenen Rückkaufswert anrechnen lassen, sodass im Ergebnis kein Schaden verbleibe. Der Geschädigte solle an dem Schadensfall nicht „verdienen“. Das OLG ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die Berufung keinen Erfolg hat.
Praxishinweis:
Nach der hier vom OLG Saarbrücken vertretenen Auffassung sind die die an den Vermittler gestellten Anforderungen an eine sachgerechte Aufklärung und Beratung bei einem beabsichtigten Versichererwechsel und der Kündigung des Vertrags beim bisherigen Mitbewerber in einem existenziell bedeutsamen Bereich, in dem Versicherungsschutz insbesondere wegen des Erfordernisses einer Gesundheitsprüfung nicht ohne weiteres erlangt werden kann, besonders hoch. Er hat nach Ansicht des OLG zu beachten, dass der Versicherungsnehmer in der Regel weder eine Deckungslücke noch eine Verschlechterung des Versicherungsschutzes in Kauf nehmen will (OLG Saarbrücken, Urteil vom 26.04.2017 – 5 U 36/16).
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