Anforderungen an die Vollständigkeit einer Verbraucherinformation
Anforderungen an die Vollständigkeit einer Verbraucherinformation
Wird einem Versicherungsnehmer in einer Verbraucherinformation ausdrücklich mitgeteilt, dass in einer nachfolgenden Übersicht aufgeführte Rückkaufswerte auf der Basis der zur Zeit der Ausstellung des Versicherungsscheins maßgeblichen Berechnungsgrundlagen ermittelt wurden und nicht garantiert werden können, so ist er darüber informiert, dass Rückkaufswerte „überhaupt nicht“, auch nicht teilweise garantiert werden.
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BGH, 08.07.2020, IV ZR 211/19
Sachverhalt:
Der Kläger fordert von der Beklagten aus ungerechtfertigter Bereicherung Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge und Herausgabe von Nutzungen. Die Parteien schlossen im Jahr 2003 einen Vertrag über eine Rentenversicherung mit Kapitalwahlrecht im Erlebensfall, Beitragsrückzahlung bei Tod vor Rentenbeginn, Todesfallleistung ab Rentenbeginn (fünffacher Jahresbetrag der garantierten Rente abzüglich bereits gezahlter, ab Rentenbeginn garantierter Renten) sowie Berufsunfähigkeitsvorsorge (Beitragsbefreiung und Berufsunfähigkeitsrente bei Berufsunfähigkeit vor und bis längstens zum Rentenbeginn) nach dem sogenannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (§ 5a VVG a.F.) ab. Der Kläger kündigte den Versicherungsvertrag zum 01.08.2007 und erhielt einen Rückkaufswert in Höhe von 10.033,90 Euro. Unter dem 01.02.2018 erklärte er den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. Mit der Klage verlangt er Rückzahlung seiner auf den Vertrag geleisteten Beiträge sowie Herausgabe von Nutzungen abzüglich des Rückkaufswertes, insgesamt 22.375,98 Euro, ferner Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten und Zahlung von Verzugszinsen. Der Kläger meint, die Widerspruchsfrist nach § 5a VVG a.F. sei wegen formaler und inhaltlicher Mängel der Widerspruchsbelehrung sowie wegen Unvollständigkeit der Verbraucherinformation nicht in Gang gesetzt worden. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ihr unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung des Klägers in Höhe von 5.294,02 Euro nebst Zinsen stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsanalyse:
Nach Überzeugung des 4. Zivilsenats des BGH konnte der ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrte Kläger den Widerspruch nicht wegen Unvollständigkeit der Verbraucherinformation noch im Jahr 2018 wirksam erklären. ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrte Kläger den Widerspruch nicht wegen Unvollständigkeit der Verbraucherinformation noch im Jahr 2018 wirksam erklären. Der Beginn der in § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. bestimmten 14-tägigen Widerspruchsfrist gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. setzt unter anderem voraus, dass dem Versicherungsnehmer die Unterlagen nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F., darunter auch die Verbraucherinformation nach § 10a VAG a.F., vollständig vorliegen. Im konkreten Fall war die Kläger überlassene Verbraucherinformation aus Sicht des BGH nicht deshalb unvollständig, weil eine Angabe dazu fehlte, ob und in welchem Umfang Rückkaufswerte überhaupt garantiert wurden. Zu der notwendigen Verbraucherinformation nach § 10a Abs. 1 VAG a.F. gehörten bei Lebensversicherungen und Unfallversicherungen mit Prämienrückgewähr gemäß Abschnitt I Nr. 2 Buchst. b) der Anlage Teil D zum VAG a.F. die Angabe der Rückkaufswerte und nach Buchst. d) dieser Bestimmung Angaben über das Ausmaß, in dem Rückkaufswerte garantiert sind. Nach Ansicht des Senats fehlt es es hier jedoch an garantierten Rückkaufswerten im Sinne von Abschnitt I Nr. 2 Buchst. b) und d) der Anlage Teil D zum VAG a.F. Denn die Beklagte habe dem Kläger keine Rückkaufswerte in bestimmter Höhe vertraglich zugesagt. Darüber habe die Beklagte in der im Versicherungsschein enthaltenen Verbraucherinformation ausreichend informiert. Wenn einem Versicherungsnehmer – wie hier – ausdrücklich mitgeteilt wird, dass in einer nachfolgenden Übersicht aufgeführte Rückkaufswerte auf der Basis der zur Zeit der Ausstellung des Versicherungsscheins maßgeblichen Berechnungsgrundlagen ermittelt wurden und nicht garantiert werden können, so ist er nach Worten des Senats darüber informiert, dass Rückkaufswerte „überhaupt nicht“, auch nicht teilweise garantiert werden. Soweit § 10a Abs. 2 Satz 2 VAG a.F. eine eindeutige Formulierung, übersichtliche Gliederung und verständliche Abfassung verlange, ergebe sich daraus nicht die Pflicht zur Erteilung der Information in einer gesonderten Urkunde oder einem zusammenhängenden Text. Der BGH ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die Revision Erfolg hat.
Praxishinweis:
Nach Auffassung des BGH verpflichtet § 10a Abs. 1 Satz 1 VAG a.F. in Verbindung mit Abschnitt I Nr. 2 Buchst. b) und d) der Anlage Teil D zum VAG a.F. den Versicherer nicht anzugeben, dass es im Hinblick auf den abgeschlossenen Vertrag an einer Garantie von Rückkaufswerten fehlt (vgl. BGH, Urteil vom 11.12.2019 – IV ZR 8/19). Aus Sicht des BGH war im konkreten Fall außerdem die Frage, ob das Policenmodell mit den Lebensversicherungsrichtlinien der Europäischen Union unvereinbar ist, nicht entscheidungserheblich. Auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells ist es dem ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrten und informierten Kläger nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages über mehr als vier Jahre auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten (vgl. BGH, Urteil vom 16.07.2014 – IV ZR 73/13).
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