Annahmeverzugslohn bei einrichtungsbezogener Impfpflicht
Annahmeverzugslohn bei einrichtungsbezogener Impfpflicht aus § 20 a IfSG
Sind die tatsächlichen Tätigkeitsvoraussetzungen gemäß § 20a Abs. 1 IfSG objektiv nicht gegeben und keine Abwägungsgesichtspunkte ersichtlich, die im Rahmen der Ermessensausübung gemäß § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG zu Gunsten der Arbeitnehmerin streiten, ist der Arbeitgeberin die tatsächliche Beschäftigung der Arbeitnehmerin – hier einer Alltaghelferin in einem Seniorenzentrum – aus den übergeordneten Gründen des Schutzes der vulnerablen Personen in der Einrichtung der Beklagten unzumutbar und der Vergütungsanspruch entfällt.
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LAG Düsseldorf, 19.04.2023, 12 Sa 621/22
Sachverhalt:
Die Parteien streiten anlässlich der einrichtungsbezogenen Impfpflicht aus § 20 a IfSG im Wesentlichen über Vergütungsansprüche aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs. Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 01.01.2009 als Alltagsbegleiterin in einem Seniorenzentrum beschäftigt. Dort übernahm sie betreuerische Aufgaben, wie das Angebot gemeinsamer Spiele und gemeinsames Singen, sowie hauswirtschaftliche Tätigkeiten, z.B. die Bereitstellung von Mahlzeiten. Die Klägerin war nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV2 geimpft. Dies meldete die Beklagte dem zuständigen Gesundheitsamt nach Maßgabe von § 20 a Abs. 2 Satz 2 IfSG. Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 31.03.2022 mit, dass sie wegen ihres Impfstatus mit Wirkung ab dem 01.04.2022 unwiderruflich und ohne Zahlung der Vergütung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt werde. Seit dem 01.04.2022 beschäftigte die Beklagte die Klägerin nicht und zahlte auch keine Vergütung. Mit Wirkung zum 01.09.2022 sprach das Gesundheitsamt mittels Ordnungsverfügung gegenüber der Klägerin ein bis zum 31.12.2022 befristetes Tätigkeitsverbot aus. Die Klägerin macht Annahmeverzugslohn für die Zeit vom 01.04.2022 bis zum 31.08.2022 geltend. Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Auch die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Es wurde aber die Revision zugelassen.
Entscheidungsanalyse:
Der Klägerin stehen die von ihr geltend gemachten Zahlungsansprüche nicht zu. Der Beklagten war die Annahme der Arbeitsleistung der Klägerin ab dem 01.04.2022 bis zum 31.08.2022 gemäß § 242 BGB i.V.m. § 20a Abs. 1 IfSG unzumutbar. Daran ändert der Umstand, dass das Gesundheitsamt gegenüber der Klägerin erst ab dem 01.09.2022 ein Tätigkeitsverbot aussprach, nichts. Es ist umstritten, ob sich aus § 20a Abs. 1 IfSG für den dort genannten Personenkreis ein gesetzliches Tätigkeitsverbot oder eine gesetzliche Tätigkeitsvoraussetzung ergibt. Dies wird mit der Folge der berechtigten Freistellung ohne Vergütung teils bejaht und teils verneint. Hinsichtlich Sinn und Zweck und der Gesetzessystematik von § 20a IfSG wird angenommen, dass ausweislich § 20a Abs. 3 Satz 4 IfSG lediglich für ab dem 16.03.2022 neu eingestellte Beschäftigte in Einrichtungen gemäß § 20a Abs. 1 IfSG ein Beschäftigungsverbot besteht. Für sog. Bestandsmitarbeiter, die bereits vor dem 16.03.2022 in den benannten Einrichtungen beschäftigt waren, bleibe es dem Gesundheitsamt gemäß § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG vorbehalten, ein Betretungs- oder Beschäftigungsverbot zu verhängen. Der einzelne Arbeitgeber sei hierzu nicht befugt (z.B. LAG Hamm, Urteil vom 12.01.2023, 18 Sa 886/22). Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, ob es dem einzelnen Arbeitgeber ggfs. unzumutbar ist, eine Person zu beschäftigen, welche die Voraussetzungen des § 20a Abs. 1 IfSG nicht erfüllt. Dies hat das LAG Düsseldorf hier bejaht. Wenn – wie vorliegend – für die Klägerin als Bestandsmitarbeiterin offenkundig die gesetzliche Tätigkeitsvoraussetzung des § 20a Abs. 1 IfSG fehlt und auch keine Aspekte ersichtlich sind, die im Rahmen einer Ermessensentscheidung des Gesundheitsamtes zu ihren Gunsten streiten, ist der Beklagten die Annahme der Arbeitsleistung durch die Klägerin bereits vor einer Entscheidung durch das Gesundheitsamt, hier ab dem 01.04.2022, unzumutbar. Folgerichtig entfällt ein etwaiger Vergütungsanspruch aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs. Die Unzumutbarkeit der Annahme der Arbeitsleistung der Klägerin ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Auch wenn das Ergebnis erheblich in die verfassungsmäßig geschützten Rechte der Klägerin auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und Ausübung des Berufs (Art. 12 Abs. 1 GG) eingreift, überwiegen bei einer Abwägung der widerstreitenden Interessen hier die durch die in § 20a Abs. 1 IfSG aufgestellten Tätigkeitsvoraussetzungen geschützten Rechtsgüter des Schutzes der vulnerablen Personen.
Praxishinweis:
Der Gesetzgeber war auch nicht gehalten, den Beschäftigten in den in § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG genannten Einrichtungen statt der Pflicht zur Vorlage eines Immunitätsnachweises eine Pflicht, sich vor Betreten einer Einrichtung oder eines Unternehmens – und damit vor einem möglichen Kontakt mit einer vulnerablen Person – mit einem Schnelltest auf eine SARS-CoV-2-Infektion zu testen, aufzuerlegen. Die Einschätzung des Gesetzgebers, hierbei handele es sich schon um kein gleich geeignetes Mittel, weil diese Tests fehleranfällig seien, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt nach wie vor. Auch sonstige Verhaltensregeln, wie etwa das Abstandhalten, das Tragen einer (medizinischen) Schutzmaske, die Einhaltung von Hygieneregeln, regelmäßiges Lüften oder das Einsetzen eines Luftfilters, sind nicht gleich wirksam (OVG Münster, Urteil vom 23.12.2022 – 13 B 1256/22).
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