Klausel in Risikolebensversicherung
Auslegung einer Klausel in Allgemeinen Versicherungsbedingungen einer Risikolebensversicherung
BGH, 07.02.2018, IV ZR 53/17
Eine Klausel in Allgemeinen Versicherungsbedingungen einer Risikolebensversicherung, nach der ein Bezugsberechtigter nach dem Ableben des Versicherungsnehmers als bevollmächtigt zur Entgegennahme von Rücktritts- oder Anfechtungserklärungen gilt, kann nicht so ausgelegt werden, dass im Falle einer Sicherungszession Bezugsberechtigter nur noch der Sicherungszessionar ist. Der Versicherungsnehmer wird die Mitteilung einer Sicherungsabtretung an den Versicherer jedenfalls nicht so verstehen, dass er damit den Zessionar zugleich als alleinigen oder vorrangigen Empfangsbevollmächtigen für Rücktritts- oder Anfechtungserklärungen benennt.
Originalentscheidung in JURION aufrufen:
BGH, 07.02.2018, IV ZR 53/17
Sachverhalt:
Die klagende Sparkasse verlangt aus abgetretenem Recht von dem beklagten Versicherer Auszahlung der Todesfallleistung aus einer Risikolebensversicherung. Diese schloss die Versicherungsnehmerin bei der Beklagten im Dezember 2007 mit einer Versicherungssumme von 500.000 Euro ab, die sich aufgrund der vereinbarten Dynamisierung auf 524.023 Euro erhöhte. Als bezugsberechtigte Person im Todesfall benannte die Versicherungsnehmerin ihren Ehemann. Am 13.02.2008 trat die Versicherungsnehmerin „die gegenwärtigen und zukünftigen Rechte und Ansprüche aus dem … Lebensversicherungsvertrag für den Todesfall in voller Höhe“ zur Sicherung „aller bestehenden und künftigen, auch bedingten oder befristeten Forderungen des Kreditinstituts …“ aus der bankmäßigen Geschäftsverbindung an die Klägerin ab und übergab dieser den Originalversicherungsschein. Die Klägerin übersandte der Beklagten die Abtretungserklärung sowie eine Abtretungsanzeige. Am 19.10.2013 verstarb die Versicherungsnehmerin durch Suizid. Nachdem die Klägerin davon Kenntnis erlangt hatte, bat sie die Beklagte um Auszahlung der Versicherungsleistung. Mit Schreiben vom 05.02.2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie habe gegenüber dem Ehemann der Versicherungsnehmerin wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht die Anfechtung erklärt. Mit Schreiben vom 07.02.2014 focht die Beklagte gegenüber dem Ehemann der Versicherungsnehmerin ihre Vertragserklärung an. Hintergrund der Anfechtung war, dass die Beklagte im Rahmen der Leistungsprüfung festgestellt hatte, dass die Versicherungsnehmerin nach einem Suizidversuch Anfang August 2001 einen Monat in einer Fachklinik für Psychiatrie behandelt worden war, nach Aufnahme in die geschlossene Station einen weiteren Suizidversuch begangen hatte. Die Klägerin ist der Ansicht, die Anfechtung gegenüber dem Ehemann der Versicherungsnehmerin greife schon deshalb nicht durch, weil dieser nicht der richtige Anfechtungsgegner gewesen sei. Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, an die Klägerin 524.023 Euro sowie außergerichtliche Anwaltskosten jeweils nebst Zinsen zu zahlen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision.
Entscheidungsanalyse:
Der 4. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat geurteilt, dass die Beklagte die Anfechtungserklärung trotz der Sicherungsabtretung an den Ehemann der Versicherungsnehmerin richten konnte. Nach Auffassung des Senats war dieser auch zur Entgegennahme der Anfechtungserklärung als Bezugsberechtigter gemäß § 7 Abs. 8 Satz 1 AVB empfangsbevollmächtigt. Nach dieser Bestimmung gilt, sofern der Versicherungsnehmer der Beklagten keine andere Person als Bevollmächtigten benannt hat, nach seinem Ableben ein Bezugsberechtigter als bevollmächtigt, eine Rücktritts- oder Anfechtungserklärung entgegenzunehmen. Der Senat erläutert, dass die Klägerin durch die Sicherungsabtretung nicht alleinige oder vorrangige Empfangsbevollmächtigte im Sinne von § 7 Abs. 8 Satz 1 AVB geworden ist. Die Klausel kann aus Sicht des BGH nach den maßgeblichen Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs nicht so ausgelegt werden, dass im Fall einer Sicherungszession Bezugsberechtigter nur noch der Sicherungszessionar ist. Der Versicherungsnehmer werde die Mitteilung einer Sicherungsabtretung an den Versicherer jedenfalls nicht so verstehen, dass er damit den Zessionar zugleich als alleinigen oder vorrangigen Empfangsbevollmächtigen für Rücktritts- oder Anfechtungserklärungen benenne. Nach Ansicht des Senat hält § 7 Abs. 8 Satz 1 AVB darüber hinaus der Inhaltskontrolle stand. Der Senat erläutert, dass Klauseln in einer Lebensversicherung, die den Versicherer berechtigen, nach dem Tod des Versicherungsnehmers davon auszugehen, dass dieser bestimmte Personen zur Entgegennahme von Willenserklärungen des Versicherers nach Eintritt des Versicherungsfalles bevollmächtigt hat, grundsätzlich rechtlich unbedenklich sind. Durch eine solche Bestimmung werde der Versicherungsnehmer nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB unangemessen benachteiligt. Die Erteilung einer Empfangsvollmacht für den Bezugsberechtigten oder den Inhaber des Versicherungsscheins entspreche – zumindest in aller Regel – nicht nur den Interessen des Versicherers, sondern auch denen des Versicherungsnehmers. Der BGH hat daher entschieden, dass die Revision Erfolg hat und zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht führt.
Praxishinweis:
Der BGH kritisiert hier allerdings die Feststellung des Berufungsgerichts als rechtsfehlerhaft, die Versicherungsnehmerin habe die Beklagte arglistig getäuscht, indem sie ihr die beiden Suizidversuche und die damit in Zusammenhang stehende stationäre Behandlung im Jahr 2001 verschwiegen habe. Denn das Gericht habe die Beweislastverteilung nicht beachtet. Der BGH stellt klar, dass der Versicherer die Beweislast für die Täuschungsabsicht des Versicherungsnehmers trägt (BGH, Urteil vom 11.05.2011 – IV ZR 148/09). Wenn jedoch – wie hier – objektiv falsche Angaben vorliegen, trifft den Versicherungsnehmer eine sekundäre Darlegungslast. Er muss plausibel darlegen, wie und weshalb es zu den objektiv falschen Angaben gekommen ist (BGH, Urteil vom 11.05.2011 – IV ZR 148/09; BGH, Beschluss vom 07.11.2007 – IV ZR 103/06).
Urteil des BGH vom 07.02.2018, Az.: IV ZR 53/17