Intransparenz der Vorerstreckungsklausel
Intransparenz der so genannten Vorerstreckungsklausel in den ARB 2008
KG Berlin, 17.04.2018, 6 U 121/17
Nach der so genannten Vorerstreckungsklausel des § 4 Abs. 3 Buchst. a) der Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2008) besteht kein Rechtsschutz, wenn eine Willenserklärung oder Rechtshandlung, die vor Beginn des Versicherungsschutzes vorgenommen wurde, den Verstoß nach Absatz 1 c) ausgelöst hat. Diese Klausel ist intransparent und mithin nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam.
Sachverhalt:
Der Kläger begehrt von seinem beklagten Rechtsschutzversicherer die Bestätigung von Versicherungsschutz für die außergerichtliche Interessenwahrnehmung im Streit mit einer Bank um die Wirksamkeit eines Widerrufs seiner auf den Abschluss eines Darlehensvertrages gerichteten Vertragserklärung. Der Kläger ist bei der Beklagten seit April 2010 nach Maßgabe Allgemeiner Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2008) rechtsschutzversichert. In den ARB 2008 heißt es unter anderem: „§ 2 Leistungsarten (3) Es besteht kein Rechtsschutz, wenn a) eine Willenserklärung oder Rechtshandlung, die vor Beginn des Versicherungsschutzes vorgenommen wurde, den Verstoß nach Absatz 1 c) ausgelöst hat; …“ Bereits am 09.07.2008 hatte der Kläger mit einer Bank einen Vertrag über drei Darlehen zur Finanzierung eines Grundstückskaufs abgeschlossen und nachfolgend zunächst die vereinbarten Zins- und Tilgungsraten gezahlt. Mit Anwaltsschreiben vom 10.12.2014 erbat er von der Beklagten eine Deckungszusage für die außergerichtliche Interessenwahrnehmung im Zusammenhang mit dem Widerruf seiner auf Abschluss des Darlehensvertrages gerichteten Vertragserklärungen. Die Beklagte lehnte dies erstmals mit Schreiben vom 13.01.2015, sodann mit weiteren Schreiben – zuletzt vom 03.07.2015 – ab. Mit Schreiben an die Bank vom 20.03.2015 widerrief der Kläger seine auf Abschluss des Darlehensvertrages gerichtete Vertragserklärung und machte dabei geltend, er könne das Widerrufsrecht infolge einer rechtlich unzureichenden Widerrufsbelehrung nach wie vor ausüben. Nachfolgend wies die Bank den Widerruf als verspätet zurück. Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Bestätigung des begehrten Deckungsschutzes verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsanalyse:
Nach Auffassung des 4. Zivilsenats des BGH ist der Rechtsschutzfall erst in versicherter Zeit durch die Weigerung der Bank eingetreten, die Wirksamkeit des vom Kläger erklärten Widerrufs anzuerkennen. Nach Ansicht des Senats scheitert der Deckungsanspruch des Klägers auch nicht an der so genannten Vorerstreckungsklausel des § 4 Abs. 3 Buchst. a) ARB 2008, da diese Klausel intransparent und mithin nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam ist. Der Senat weist zur Begründung zunächst darauf hin, dass die Klausel keine zusätzliche Beschreibung des Rechtsschutzfalles enthält, sondern eine selbständige, zeitlich begrenzte Leistungsausschlussklausel darstellt, die so genannten Zweckabschlüssen von Rechtsschutzversicherungen entgegenwirken soll. Bezogen auf den konkreten Fall kritisiert der BGH, dass die Vorerstreckungsklausel nicht die geforderte hinreichend klare Aussage darüber trifft, inwieweit der in § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c) ARB 2008 versprochene Versicherungsschutz eingeschränkt sein soll. Zweifel bestünden insoweit schon hinsichtlich der Voraussetzung einer vorvertraglichen Willenserklärung oder Rechtshandlung. Aus Sicht des Senats kann jedoch offen bleiben, ob die Vorerstreckungsklausel schon wegen der Voraussetzung einer Rechtshandlung intransparent ist. Denn jedenfalls sei die von der Vorerstreckungsklausel weiter vorausgesetzte Ursächlichkeit der Willenserklärung oder Rechtshandlung für den späteren Verstoß im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c) ARB 2008 nicht klar und durchschaubar beschrieben. Nach dem Klauselwortlaut solle kein Rechtsschutz bestehen, wenn die vor Versicherungsbeginn vorgenommene Willenserklärung oder Rechtshandlung den Verstoß „ausgelöst“ habe. Nach Überzeugung des Senats wird hierdurch dem Versicherungsnehmer nicht nachvollziehbar verdeutlicht, in welchen Fällen kein Versicherungsschutz besteht. Die Revision des Kläger habe daher Erfolg.
Praxishinweis:
Bei Risikoausschlussklauseln wie hier im Fall geht nach Worten des BGH das Interesse des Versicherungsnehmers in der Regel dahin, dass der Versicherungsschutz nicht weiter verkürzt wird, als der erkennbare Zweck der Klausel dies gebietet. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht nicht damit zu rechnen, dass er Lücken im Versicherungsschutz hat, ohne dass die Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht. Deshalb sind Risikoausschlussklauseln nach Auffassung des BGH eng und nicht weiter auszulegen, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert (BGH, Urteil vom 17.12.2008 – IV ZR 9/08).
Urteil des BGH vom 04.07.2018, Az.: IV ZR 200/16