Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in privater Krankenversicherung
Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in privater Krankenversicherung
Eine Mitteilung im Sinne des § 203 Abs. 5 VVG erfordert die Angabe der Rechnungsgrundlage (Versicherungsleistungen oder Sterbewahrscheinlichkeiten) bezogen auf die konkret in Rede stehende Prämienanpassung. Angegeben werden muss nur, dass eine Veränderung der erforderlichen gegenüber den kalkulierten Versicherungsleistungen oder Sterbewahrscheinlichkeiten die entsprechenden Schwellenwerte überschreitet. Ist ein Beitragsentlastungstarif in der privaten Krankenversicherung akzessorisch zu einer Hauptversicherung, bei welcher das ordentliche Kündigungsrecht des Versicherers gesetzlich oder vertraglich ausgeschlossen ist, so richtet sich eine Beitragsanpassung im Beitragsentlastungstarif nach § 203 Abs. 2 VVG, § 155 VAG.
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OLG Celle, 13.01.2022, 8 U 134/21
Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung des Klägers. Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine private Krankenversicherung mit unter anderem den Tarifen VISION 1, VITAL 750, 806 und BEA-U. Für den Tarif BEA-U ist zum Thema Beitragsanpassung in den Besonderen Bedingungen für die Beitragsentlastung im Alter für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (Hauptversicherung) unter Buchstabe D vereinbart: „Wird auf Grundlage des § 8b Teil 1 der allgemeinen Versicherungsbedingungen in der Pflegepflichtversicherung eine neue Sterbetafel eingeführt, so werden auch im Tarif BEA-U die Rechnungsgrundlagen überprüft und ggf. mit Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders angepasst.“ Der Kläger hat die Beitragserhöhungen für formell unwirksam gehalten. Tatsächlich habe kein Grund für eine Beitragsanpassung vorgelegen. In Bezug auf den Tarif BEA-U stehe der Beklagten bereits in materiell-rechtlicher Hinsicht keine Befugnis zur Beitragserhöhung zu. Die entsprechende Prämienanpassungsklausel unter Buchstabe D der Tarifbedingungen sei gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Das LG hat der Klage teilweise stattgegeben. Es hat die Unwirksamkeit der Beitragserhöhungen im Tarif BEA-U zum 01.01.2019 und zum 01.01.2020 festgestellt sowie die Beklagte zur Zahlung von 677,67 Euro verurteilt. In Bezug auf die vor dem 01.01.2017 erfolgten Beitragsanpassungen greife die Verjährung ein. Gegen dieses Urteil richten sich die fristgerecht eingelegten und begründeten Berufungen beider Parteien, mit denen sie ihre erstinstanzlichen Anträge – der Kläger teilweise – weiterverfolgen.
Entscheidungsanalyse:
Der 8. Zivilsenat des OLG Celle hat geurteilt, dass die Feststellungsklage teilweise begründet ist. Der Senat weist zur Begründung im Ausgangspunkt darauf hin, dass der Versicherer nach § 203 Abs. 3 VVG zur Neufestsetzung der Prämien für bestehende Krankenversicherungsverhältnisse berechtigt ist, wenn sich nach Überprüfung durch einen unabhängigen Treuhänder eine Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage ergeben hat, wobei als maßgebliche Rechnungsgrundlagen die Versicherungsleistungen und die Sterbewahrscheinlichkeiten in Betracht kommen. Die Neufestsetzung richte sich nach § 155 VAG. Nach Worten des Senats erfordert die Mitteilung im Sinne des § 203 Abs. 5 VVG die Angabe der Rechnungsgrundlage (Versicherungsleistungen oder Sterbewahrscheinlichkeiten) bezogen auf die konkret in Rede stehende Prämienanpassung. Es sei nur anzugeben, dass eine Veränderung der erforderlichen gegenüber den kalkulierten Versicherungsleistungen oder Sterbewahrscheinlichkeiten die entsprechenden Schwellenwerte überschreite. Im konkreten Fall seien nur die Prämienerhöhungen im Tarif VISION 1 zum 01.01.2011 und im Tarif VITAL 750 zum 01.01.2015 unwirksam. Der Senat erläutert, dass die „Informationen zu den Beitragsänderungen zum 01.01.2011“ keine konkrete Begründung für die Beitragsanpassung und erst recht keine Aussage dazu enthalten, ob diese auf einer Veränderung der Versicherungsleistungen oder der Sterbewahrscheinlichkeiten beruht. Daher sei diese Beitragserhöhung unwirksam. Aus Sicht des Senats entspricht außerdem die angeführte überproportionale Kostenanstieg im Gesundheitswesen nicht der erforderlichen Angabe der Rechnungsgrundlage, wie sie für eine wirksame Mitteilung im Sinne des § 203 Abs. 5 VVG erforderlich ist. Diese Begründung reiche für eine wirksame Beitragsanpassung nicht aus. Nach Auffassung des Senats ist hingegen die Beitragserhöhung zum 01.01.2020 im Tarif 806 wirksam. Soweit diese Prämienerhöhungen somit unwirksam seien, seien die Begründungsmängel allerdings durch die nachgeholte Begründung in der Klageerwiderung mit Wirkung ex nunc zu Beginn des zweiten Monats nach Zustellung der Klageerwiderung geheilt worden. Das OLG ist außerdem zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beitragsanpassungen im Tarif BEA-U materiell unwirksam sind, weil die genannte Klausel in den Tarifbedingungen eine materiell unwirksame Prämienanpassungsklausel darstellt. Der Senat erläutert, dass die in Buchstabe D der Tarifbedingungen genannten Voraussetzungen nicht den – auf den Tarif anzuwendenden – Vorgaben der § 203 Abs. 2 VVG, § 155 VAG entsprechen. Nach Ansicht des Senats unterfällt der Tarif BEA-hier § 203 Abs. 2 VVG, § 155 VAG, weil (auch) hinsichtlich dieses Tarifs das ordentliche Kündigungsrecht des beklagten Versicherers ausgeschlossen ist. Das OLG ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die Berufung des Klägers teilweise begründet ist.
Praxishinweis:
Das OLG Celle hat in dem vorliegenden Urteil auch entschieden, dass in den Versicherungs- oder Tarifbedingungen enthaltene Beitragsanpassungsklauseln, die von den Vorgaben der § 203 Abs. 2 VVG, § 155 VAG abweichende Voraussetzungen für eine Beitragsanpassung in einem Beitragsentlastungstarif vorsehen (hier: Einführung einer neuen Sterbetafel in der Pflegepflichtversicherung ohne Notwendigkeit der Überschreitung eines Schwellenwerts), gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam sind. Das OLG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zugelassen, da die Frage der Voraussetzungen einer wirksamen Beitragsanpassung in einem Beitragsentlastungstarif bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist.
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