Wegezeiten als Arbeitszeiten in der Personenbeförderung
Wegezeiten als Arbeitszeiten in der Personenbeförderung
Bei Tätigkeiten, die ein Arbeitnehmer außerhalb des Betriebs zu erfüllen hat, gehören die Fahrten zu auswärtigen Arbeitsstellen zu den vertragliche Hauptleistungspflichten. Damit gehört auch die Fahrt zu den jeweiligen Auftragnehmern des Arbeitgebers und wieder zurück für den damit betrauten Arbeitnehmer zu seiner arbeitsvertraglich geschuldeten Dienstleistung, und zwar unabhängig davon, ob der Fahrtantritt oder dessen Ende am Betriebssitz des Arbeitgebers oder aber von der Wohnung des Arbeitnehmers aus erfolgt, was insbesondere dann gilt, wenn der Arbeitnehmer das Fahrzeug mit sich führen muss, um Arbeitsmittel vor Ort zu haben.
Originalentscheidung auf Wolters Kluwer aufrufen:
LAG Hamm, 06.09.2019, 1 Sa 922/19
Sachverhalt:
Die Parteien streiten um Vergütungsansprüche aus einem inzwischen beendeten Arbeitsverhältnis. Die Klägerin war bei der Beklagten als Fahrerin in Teilzeit beschäftigt. Die Aufgabe der Klägerin bestand darin, Kinder und Jugendliche in einem Kleinbus vormittags an vorgegebenen Stellen abzuholen, zu Schulen und Werkstätten zu bringen und nachmittags wieder abzuholen. Es war ein Stundenlohn vereinbart, aber keine konkrete Arbeitszeit. Die Lage der Arbeitszeit richtete sich nach den zugeteilten Touren. Im Arbeitsvertrag vereinbart war, dass neben den geleisteten Lenkzeiten (mit Ausnahme von Wegezeiten von/zu der Wohnung des Arbeitnehmers) die Pflege des Fahrzeugs sowie Vorbereitungs- und Abschlussarbeiten (z.B. Erstellung der Fahrnachweisunterlagen) zur Arbeitszeit zählen. Arbeitsvertraglich vereinbart war auch, dass das Fahrzeug mangels eines ausreichend großen Betriebshofes vorschriftsgemäß auf öffentlichen oder privaten Abstellflächen zu parken ist, und zwar im Nahbereich des zu fahrenden Rundkurses. Der Klägerin wurde darüber hinaus gestattet, dass Fahrzeug an ihrer Wohnung zu parken. Die Klägerin hat unter Vorlage von tourenbezogenen Tagesauflistungen behauptet, sie habe über die von der Beklagten abgerechneten Stunden hinaus weitere 257,72 Arbeitsstunden erbracht. Über die Arbeitszeitnachweise der Beklagten hinausgehende Stunden begründete die Klägerin mit jeweiligen Besonderheiten der Routen. So habe sie auf einer Route darauf achten müssen, dass das im Wege der Einzelbeförderung gefahrene autistische Kind nach Rücksprache mit dessen Mutter keine Autobahnfahrten vertrage. Sie habe die Strecke deshalb in Übereinstimmung mit den Vorstellungen der Mutter anders wählen müssen. Die sodann gewählte Fahrtstrecke habe viele Ampelanlagen aufgewiesen. Dies habe die Fahrt erheblich verzögert. Das Arbeitsgericht hat der Klage auf Vergütung der dargelegten Arbeitszeiten stattgegeben. Auch die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
Entscheidungsanalyse:
Der Klägerin steht ein – im rechnerischen Ergebnis zwischen den Parteien unstreitiger – Anspruch auf Zahlung des geltend gemachten Betrages zu. Die Klägerin ist ihrer Darlegungslast zu geleisteten Arbeitsstunden, die noch nicht vergütet wurden, ausreichend nachgekommen. Beansprucht ein Arbeitnehmer gestützt auf § 612 Abs. 1 BGB eine weitere Vergütung, die über diejenige für die Normalarbeitszeit hinausgeht, so trifft ihn die Darlegungs- und Beweislast sowohl dafür, über die vereinbarte Normalarbeitszeit hinaus gearbeitet zu haben, als auch für den Umstand, dass die Überstunden vom Arbeitgeber veranlasst wurden oder sie ihm zumindest zuzurechnen sind (BAG, Urteil vom 21.12.2016 – 5 AZR 363/16). Dazu ist es ausreichend, trägt der klagende Arbeitnehmer vor, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich dazu bereitgehalten hat, auf Weisung des Arbeitgebers Arbeit aufzunehmen. Diesen Anforderungen hat die Klägerin genügt. So hat sie unter Vorlage ihrer Aufzeichnungen dargelegt an welchen Tagen sie während des bestehenden Arbeitsverhältnisses die ihr von der Beklagten jeweils zugewiesenen Touren unternommen und welche Arbeitszeiten sie dazu konkret aufgebracht hat. Die von der Klägerin vorgebrachten Arbeitszeiten je Tour sind einschließlich der von der Klägerin aufgebrachten Fahrtzeiten von ihrem Wohnort zu den einzelnen Touren zu berechnen. Bei Tätigkeiten, die ein Arbeitnehmer außerhalb des Betriebs zu erfüllen hat, gehören die Fahrten zu auswärtigen Arbeitsstellen zu den vertragliche Hauptleistungspflichten, weil das wirtschaftliche Ziel der Gesamttätigkeit darauf ausgerichtet ist, dort die Personenbeförderung als Dienstleistung zu erbringen. Damit gehört auch die Fahrt zu den jeweiligen Auftragnehmern des Arbeitgebers und wieder zurück für den damit betrauten Arbeitnehmer zu seiner arbeitsvertraglich geschuldeten Dienstleistung, und zwar unabhängig davon, ob der Fahrtantritt oder dessen Ende am Betriebssitz des Arbeitgebers oder aber von der Wohnung des Arbeitnehmers aus erfolgt, was insbesondere dann gilt, wenn der Arbeitnehmer das Fahrzeug mit sich führen muss, um Arbeitsmittel vor Ort zu haben (vgl. BAG, Urteil vom 25.04.2018 – 5 AZR 424/17). Das gilt erst recht, wenn das Fahrzeug für sich gesehen das Arbeitsmittel ist, das benötigt wird, um die Arbeiten – hier die Personenbeförderung – auszuführen. Auf die Darlegungen der Klägerin zu geleisteten weiteren Arbeitszeiten musste die Beklagte im Rahmen einer gestuften Darlegungslast substantiiert erwidern. Hier ist die Beklagte dem Sachvortrag der Klägerin nicht konkret entgegengetreten. Die von der Klägerin geschilderten und als zugestanden geltenden Umstände sind übliche, mit dem Personennahverkehr und seiner taktgebundenen Planung verbundene Störungen, die typischerweise zu einer Verlängerung der pauschal kalkulierten Arbeitszeiten führen.
Praxishinweis:
Es ist Sache der beklagten Arbeitgeberin, den für die Erledigung der konkret angefallenen Arbeiten anfallenden Zeitaufwand allgemein oder im konkreten Einzelfall zu ermitteln. Misstraut der Arbeitgeber der Redlichkeit seines Beschäftigten, obliegt es ihm, durch geeignete organisatorische Maßnahmen oder Erkundigungen seine Kenntnis vom Umfang der tatsächlich geleisteten Arbeiten sicherzustellen. Dies ist letztlich Ausdruck des prozessualen Grundsatzes, dass nicht nur Handlungen und Wahrnehmungen der gesetzlichen Vertreter einer Partei, sondern auch Vorgänge im eigenen Geschäfts- oder Verantwortungsbereich den eigenen Handlungen oder Wahrnehmungen i.S.v. § 138 Abs. 4 ZPO gleichzustellen sind. Eine Partei kann sich demgemäß nicht durch eine arbeitsteilige Organisation ihren prozessualen Erklärungspflichten entziehen (vgl. BAG, Urteil vom 17.08.2011 – 5 AZR 490/10).
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