Rückforderung eines Unfallversicherers bei unrichtiger Erstbemessung
Rückforderung eines Unfallversicherers bei unrichtiger Erstbemessung
Ein Unfallversicherer muss sich die Neubemessung der Invalidität nicht vorbehalten haben, wenn er bei später erkannter Unrichtigkeit der Erstbemessung den bereits regulierten Betrag (teilweise) zurückverlangen will.
Originalentscheidung auf Wolters Kluwer Online aufrufen:
OLG Saarbrücken, 09.02.2022, 5 U 53/21
Sachverhalt:
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die teilweise Rückzahlung gewährter Versicherungsleistungen aus einem Unfallversicherungsvertrag. Der Beklagte unterhält bei der Klägerin unter der Versicherungsnummer … einen ursprünglich mit der T., der Rechtsvorgängerin der Klägerin, geschlossenen Unfallversicherungsvertrag. Dem Vertrag liegen u.a. Allgemeine Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 94) sowie Besondere Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel 225 % zugrunde. Die versicherte Grundsumme für den Fall der Invalidität beträgt 115.040,67 Euro. Der Beklagte zeigte der Klägerin ein Unfallereignis in Form eines Treppensturzes vom 14.02.2015, bei dem er sich eine Oberschenkelhalsfraktur rechts zugezogen hatte. In der Folge gab die Klägerin ein Gutachten zur Frage einer Invalidität des Beklagten bei Herrn Dr. med. R. in Auftrag. Dieser stellte eine unfallbedingte Invalidität von 3/10 Beinwert fest. Daraufhin rechnete die Klägerin mit Schreiben vom 10.05.2016 ausgehend von einem Invaliditätsgrad von 21 % eine Invaliditätsleistung in Höhe von 24.159,00 Euro ab und zahlte diesen Betrag an den Beklagten. Nachdem der Beklagte über seinen Versicherungsmakler am 03.02.2017 das Recht auf Neubemessung geltend gemacht hatte, holte die Klägerin eine weitere gutachterliche Stellungnahme bei Herrn Dr. D. ein, der nunmehr eine unfallbedingte Invalidität von nur 2/10 Beinwert annahm. Daraufhin rechnete die Klägerin mit Schreiben vom 04.01.2018 die Invaliditätsleistung ausgehend von einem Invaliditätsgrad von 14 % neu mit 16.105,74 Euro ab und forderte den Beklagten zur Rückzahlung des Differenzbetrages von 8.053,26 Euro auf, was die Prozessbevollmächtigten des Beklagten mit Schreiben vom 29.01.2018 ablehnten. In ihrer auf Zahlung von 8.053,26 Euro nebst Verzugszinsen seit dem 31.01.2018 gerichteten Klage hat die Klägerin die Ansicht vertreten, der Beklagte sei zur teilweisen Rückzahlung der erbrachten Versicherungsleistung verpflichtet, da lediglich eine Invalidität von 2/10 Beinwert bestehe. Das LG hat der Klage in voller Höhe stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er die Abweisung der Klage erstrebt.
Entscheidungsanalyse:
Der 5. Zivilsenat des OLG Saarbrücken hat geurteilt, dass der klagenden Unfallversicherungsgesellschaft gegen den beklagten Versicherungsnehmer ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB auf Zahlung von 8.053,26 Euro zusteht, weil die von ihr erbrachte Invaliditätsleistung in diesem Umfang überhöht war und dem Beklagten bei Zugrundelegung des zutreffenden Invaliditätsgrades von (höchstens) 2/10 Beinwert nicht mehr als 16.106,74 Euro zustanden. Nach Auffassung des Senats steht der einem Rückforderungsanspruch der Klägerin hier nicht ihre Erklärung über ihre Leistungspflicht im Schreiben vom 10.05.2016 entgegen. Wenn die ausgezahlte Invaliditätsleistung vertraglich nicht oder nicht in voller Höhe geschuldet ist, steht dem Unfallversicherer nämlich nach Ansicht des Senats grundsätzlich ein Herausgabeanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zu, wobei es ihm obliegt, dessen Voraussetzungen darzulegen und zu beweisen. Der Rückforderungsanspruch der Klägerin hängt nach Überzeugung des OLG auch nicht davon ab, ob die Klägerin sich das Recht auf Neubemessung der Invalidität gemäß § 11 IV. AUB 94 vorbehalten hat. Der Senat erläutert, dass die Klägerin an die Erstbemessung der Invalidität nicht gebunden ist und daher ihren Rückforderungsanspruch darauf stützen kann, dass bei dem Beklagten von Anfang an tatsächlich ein geringerer Grad der Invalidität vorlag als sie ihrer Regulierungszahlung zugrunde gelegt hatte. Das Fehlen eines Neubemessungsvorbehalts im Sinne von § 11 IV. AUB 94 führe daher nicht zu einer Bindung der Klägerin an die von ihr vorgenommene Erstbemessung der Invalidität. Aus Sicht des Senats hat die Klägerin hier den Nachweis geführt, dass sie bei der Erstbemessung der Invalidität bei dem Beklagten fehlerhaft von einem zu hohen Invaliditätsgrad ausgegangen ist und dieser tatsächlich 2/10 Beinwert nicht übersteigt, weshalb sie die überzahlte Invaliditätsleistung nach Bereicherungsrecht zurückfordern kann. Das OLG ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die Berufung des Beklagten keinen Erfolg hat.
Praxishinweis:
Nach Auffassung des OLG Saarbrücken stellt die Erklärung des Unfallversicherers, ob und in welcher Höhe er einen Anspruch anerkennt, trotz der Verwendung des Begriffs „anerkennen“ nach den Versicherungsbedingungen nur eine einseitige Meinungsäußerung des Versicherers und Information an den Anspruchsberechtigten dar, die die Fälligkeit der anerkannten Entschädigung herbeiführt, aber keine rechtsgeschäftliche, potentiell schuldbegründende oder schuldabändernde Regelung bewirken soll. Weitergehende Wirkungen legen dieser Erklärung nach Ansicht des OLG weder die Bedingungen noch das Gesetz bei (vgl. Urteil vom 11.09.2019 – IV ZR 20/18).
Wenn Sie Fragen zu dem Rückforderungsanspruch eines Unfallversicherers bei unrichtiger Erstbemessung haben, dann nehmen Sie bitte Kontakt mit mir auf.