Gesundheitsfragen bei Abschluss von Berufsunfähigkeitsversicherung
Die Frage im Antragsformular für eine private Berufsunfähigkeitsversicherung, ob in den letzten fünf Jahren „Behandlungen, Beratungen oder Untersuchungen durch Ärzte, sonstige Behandler oder im Krankenhaus“ stattgefunden haben, ist keine unzulässige Globalfrage. Eine Behandlung, die eine Überweisung zum MRT und eine einmonatige Krankschreibung nach sich zieht, ist unabhängig von ihrer Schwere nicht als belanglos anzusehen und darf bei Antragstellung nicht verschwiegen werden.
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OLG Dresden, 10.10.2023, 4 U 789/23
Sachverhalt:
Der Kläger, ein Grundschullehrer, verlangt von der Beklagten Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Der auf Abschluss der Versicherung gerichtete Antrag datiert vom 05.01.2012, die Versicherung wurde mit Wirkung zum 01.02.2012 policiert. Im Versicherungsantrag hatte der Kläger unter anderem folgende Gesundheitsfragen mit „nein“ beantwortet: 8. Bestehen bei Ihnen derzeit dauerhafte Beeinträchtigungen, Erkrankungen oder Störungen der Psyche z. B. Depressionen, Angstzustände, Essstörungen, Suizidversuche oder wurden Sie in den letzten zehn Jahren diesbezüglich beraten, untersucht oder behandelt 10. Fanden in den letzten 5 Jahren Behandlungen, Beratungen oder Untersuchungen durch Ärzte, sonstige Behandler oder im Krankenhaus statt? Wann? Weswegen? Name:Anschrift/Fachrichtung 11. Bestehen oder bestanden bei Ihnen in den letzten 5 Jahren Krankheiten, Gesundheits- oder Funktionsstörungen, Beeinträchtigungen, Beschwerden: 11k des Stütz- und Bewegungsapparates wie der Wirbelsäule, der Bandscheiben, der Knochen. der Gelenke, der Muskeln. der Sehnen oder der Bänder (z. B. Bewegungseinschränkungen, Rückgratverkrümmung, Hexenschuss, Bandscheibenvorfall Meniskusschaden, Sehnenscheidenentzündung, Gelenkentzündungen, Arthrose, Rheuma, Fibromyalgie)?“ Im Mai 2020 stellte der Kläger erstmalig einen Leistungsantrag. In seinem zuletzt ausgeübten Beruf als Grundschullehrer mit 37,5 Wochenstunden könne er wegen psychovegetativer Erschöpfung seit Oktober 2018, einer Anpassungsstörung und einer depressiven Episode nicht mehr arbeiten. Zuvor hatte er im Jahre 2019 unter anderem eine Psychotherapie und vom 10.09. bis zum 15.10.2019 eine Rehabilitation durchlaufen. Der Kläger hat seinen Anspruch auf den Zeitraum vom 20.10.2018 bis zum 19.04.2020 beschränkt. Seit dem 01.07.2020 arbeitet er wieder in Teilzeit (78%) als Lehrer. Die Beklagte erklärte mit Schreiben vom Januar 2021 den Rücktritt vom Vertrag gemäß § 19 Abs. 2 VVG mit der Begründung, durch das Verschweigen der posttraumatischen Belastungsstörung, der Rückenschmerzen und der lumbalen und sonstigen Bandscheibenschäden mit Radikulopathie und damit verbundener Krankschreibung habe der Kläger vorsätzlich seine vorvertraglichen Anzeigepflichten verletzt. Das LG hat die Klage abgewiesen. Bereits aus den Unterlagen ergebe sich, dass der Kläger seine vorvertraglichen Anzeigepflichten arglistig verletzt habe. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Klageziele vollumfänglich weiter.
Entscheidungsanalyse:
Der 4. Zivilsenat des OLG Dresden hat geurteilt, dass der klagende Versicherungsnehmer die beklagte Versicherung bei Antragstellung im Hinblick auf den Abschluss der streitgegenständlichen Berufsunfähigkeitsversicherung arglistig getäuscht hat. Die wirksame Anfechtung hat nach Worten des Senats zur Folge, dass der Versicherungsvertrag als von Anfang an nichtig anzusehen ist, sodass der Kläger aus ihm keine Rechte mehr herleiten kann. Nach Überzeugung des OLG ist der Beklagten der ihr obliegende Nachweis der Voraussetzungen für die Arglistanfechtung gelungen. Aus Sicht des Senats hat der Kläger im Versicherungsantrag vom 05.01.2012 die zulässigen Gesundheitsfragen 8, 10 und 11k objektiv falsch beantwortet. Zur Begründung weist der Senat zunächst darauf hin, dass der Kläger die Frage 8 im Antragsformular: „Bestehen bei Ihnen derzeit dauerhafte Beeinträchtigungen, Erkrankungen oder Störungen der Psyche insbesondere Depressionen, Angstzustände, Essstörungen, Suizidversuche oder wurden Sie in den letzten 10 Jahren diesbezüglich beraten, untersucht oder behandelt?“ objektiv falsch beantwortet hat. Nach Auffassung des OLG hat der Kläger auch die Frage 10 objektiv falsch beantwortet, da er einfache Behandlungen unabhängig von ihrem Ergebnis nicht angegeben hat. Der Senat erläutert, dass die Frage 10 im Antragsformular wirksam ist, da es sich bei ihr nicht um eine unzulässige Globalfrage handelt. Nach Worten des Senats ist die Falschbeantwortung der Frage nach „Behandlungen, Beratungen oder Untersuchungen“ innerhalb der letzten fünf Jahre auch relevant, weil die vom Kläger verschwiegenen Umstände jedenfalls nicht von vornherein von ihm als belanglos einzustufen waren. Der Senat betont, dass eine Behandlung, die wie hier im Fall eine Überweisung zum MRT und eine einmonatige Krankschreibung nach sich zieht, unabhängig von ihrer Schwere nicht als belanglos anzusehen ist und bei Antragstellung nicht verschwiegen werden darf. Der Kläger habe außerdem auch die Frage 11k objektiv falsch beantwortet. Rückenschmerzen, die zu einer mehrwöchigen Krankschreibung führten, seien unter Beschwerden des Stütz- und Bewegungsapparates zu subsumieren. Nach Überzeugung des OLG war die Anfechtung der Beklagten wegen arglistiger Täuschung auch wirksam, da sie den ihr obliegenden Beweis geführt hat, dass der Kläger bei der objektiven Falschbeantwortung der Gesundheitsfragen im Antragsformular arglistig gehandelt hat. Der Senat hält es nämlich für ausgeschlossen, dass der Kläger eine nur rund 15 Monate vor dem Versicherungsantrag liegende, über einmonatige Krankschreibung wegen Rückenschmerzen und einer damaligen Erschöpfungssituation, vergessen hat. Das OLG ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die Berufung des Klägers keinen Erfolg hat.
Praxishinweis:
Nach Auffassung des OLG Dresden ist die in Antragsformularen übliche (allgemeine) Frage nach Untersuchungen und Behandlungen in einem konkret eingegrenzten Zeitraum zulässig und verpflichtet den Versicherungsnehmer alle Untersuchungen und/oder Behandlungen anzugeben, sofern diese nicht in Gesundheitsbeeinträchtigungen ihre Ursache haben, die offenkundig belanglos sind oder alsbald vergehen. Auch die Einführung der Frageobliegenheit des Versicherers erlaube einen gewissen Abstraktionsgrad, der unvermeidlich ist, um die relevanten Gefahrumstände zu erfragen (OLG Hamm, Beschluss vom 16.12.2021 – 20 U 316/21).
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