Umfang der Pflicht zur Angabe von Gesundheitsbeeinträchtigungen
Umfang der Pflicht des Versicherungsnehmers zur Angabe von Gesundheitsbeeinträchtigungen
Der künftige Versicherungsnehmer hat die in einem Versicherungsformular gestellten Gesundheitsfragen grundsätzlich erschöpfend zu beantworten. Er darf sich daher bei seiner Antwort weder auf Krankheiten oder Schäden von erheblichem Gewicht beschränken noch sonst eine wertende Auswahl treffen und vermeintlich weniger gewichtige Gesundheitsbeeinträchtigungen verschweigen. Es sind daher auch solche Beeinträchtigungen anzugeben, die noch keinen Krankheitswert haben, denn die Bewertung der Gesundheitsbeeinträchtigung ist Sache des Versicherers. Gesundheitsbeeinträchtigungen sind jedenfalls dann nicht mehr als offenkundig belanglos anzusehen, wenn sie zu einer längeren Krankschreibung und mehrwöchigen Behandlung mit Physiotherapie führen. Sie sind daher in einem Versicherungsantrag auch dann anzugeben, wenn der Antragsteller sie selbst für geringfügig hält.
Originalentscheidung auf Wolters Kluwer Online aufrufen:
OLG Dresden, 26.10.2020, 4 U 1059/20
Sachverhalt:
Der Kläger ist ein handwerklich tätiger Elektromonteur und hatte mit der beklagten Versicherung einen Berufsunfähigkeitszusatzversicherungsvertrag abgeschlossen. Er macht Versicherungsschutz in erster Linie wegen eines behaupteten „Burn-Out-Syndroms“ geltend. Der Kläger ist in dem nach den Versicherungsbedingungen für die Gesundheitsfragen maßgeblichen Zeitraum von fünf Jahren vor Antragstellung am 26.11.2010 – unabhängig von seiner bei ihm vorliegenden Schilddrüsenerkrankung – insgesamt sechsmal in ärztlicher Behandlung gewesen, davon dreimal wegen Beschwerden an Rücken, Schulter und Hand, die jeweils Physiotherapie erforderlich machten und teilweise über mehrere Wochen andauerten, zweimal wegen Durchblutungsstörungen bzw. Kälte und Taubheitsgefühlen in den Händen sowie einmal wegen psychischer Überforderung bzw. Depression mit in diesem Zusammenhang teilweise erforderlichen erheblichen Arbeitsunfähigkeitszeiten. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 20.08.2015 die Anfechtung des Versicherungsvertrags wegen arglistiger Täuschung erklärt. Denn der Kläger habe bei Antragstellung am 26.11.2010 offenbarungspflichtige Beschwerden nicht angegeben, nach denen die Beklagte gefragt habe, und sie hierdurch vorsätzlich und arglistig getäuscht. Das LG hat die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Der Senat hat mit Hinweisbeschluss vom 18.09.2020 darauf hingewiesen, dass er beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch – einstimmig gefassten – Beschluss zurückzuweisen.
Entscheidungsanalyse:
Der 4. Zivilsenat des OLG Dresden hat entschieden, dass der Berufsunfähigkeitszusatzversicherungsvertrag des Klägers bei der Beklagten gemäß § 142 Abs. 1 BGB von Anfang an nichtig ist. Die Beklagte sei gemäß § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB, § 22 VVG zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung berechtigt. Der Senat weist zur Begründung darauf hin, dass der künftige Versicherungsnehmer die in einem Versicherungsformular gestellten Gesundheitsfragen grundsätzlich erschöpfend zu beantworten hat. Er dürfe sich daher bei seiner Antwort weder auf Krankheiten oder Schäden von erheblichem Gewicht beschränken noch sonst eine wertende Auswahl treffen und vermeintlich weniger gewichtige Gesundheitsbeeinträchtigungen verschweigen. Daher seien auch solche Beeinträchtigungen anzugeben, die noch keinen Krankheitswert hätten, denn die Bewertung der Gesundheitsbeeinträchtigung sei Sache des Versicherers. Diese weit gefasste Pflicht zur Offenbarung findet nach Auffassung des OLG ihre Grenze nur bei Gesundheitsbeeinträchtigungen, die offenkundig belanglos sind oder alsbald vergehen. Ob eine bei Antragstellung anzuzeigende Gesundheitsstörung oder eine nicht anzeigepflichtige Befindlichkeitsstörung vorliege, sei unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände zu beurteilen. Maßgeblich ist hierbei nach Worten des Senats das Gesamtbild, das die Erkrankungen über den Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers vermittelt. Nach Auffassung des Senats hat der Kläger im konkreten Fall bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen ihm obliegende Offenbarungspflichten verletzt. Denn er habe die Gesundheitsfragen objektiv falsch mit „nein“ beantwortet. So fielen die im Januar 2010 mittels Physiotherapie behandelten Beschwerden des rechten Handgelenks unter die Gesundheitsfrage Ziff. 6 e), bei der – unter anderem – nach Beschwerden der Gelenke gefragt werde. Der Senat erläutert, dass Gesundheitsbeeinträchtigungen jedenfalls dann nicht mehr als offenkundig belanglos anzusehen sind, wenn sie zu einer längeren Krankschreibung und mehrwöchigen Behandlung mit Physiotherapie führen. Sie sind aus Sicht dse OLG daher in einem Versicherungsantrag auch dann anzugeben, wenn der Antragsteller sie selbst für geringfügig hält. Der Senat stellt außerdem klar, dass bei Fragen nach Beschwerden bzw. Krankheiten der Wirbelsäule Rückenschmerzen auch dann anzugeben sind, wenn ihnen wie hier muskuläre Probleme zugrundeliegen. Der Kläger habe darüber hinaus auch die gestellte Frage nach Beschwerden der Psyche falsch beantwortet. Der Senat ist zudem der Überzeugung, dass dem Kläger hinsichtlich des Verschweigens offenbarungspflichtiger Umstände eine arglistige Täuschung anzulasten ist. Nach Ansicht des Senats hätte sich dem Kläger angesichts der umfassenden Fragestellung, der vorangestellten Hinweise, der Notwendigkeit länger andauernden Behandlungen mit dafür erforderlichen Krankschreibungen und auch im Hinblick auf die ausgeübte Berufstätigkeit aufdrängen müssen, dass die Beschwerden hätten angegeben werden müssen. Das Verschweigen belege indiziell die Annahme einer arglistigen Täuschung, auch wenn die Beschwerden in der Wahrnehmung des Klägers nicht relevant gewesen seien. Denn er hätte nach Worten des Senats erkennen können und müssen, dass sie für die Entscheidung der Beklagten über die Annahme des Versicherungsantrages erheblich waren und die Beklagte bei wahrheitsgemäßer Angabe den Vertrag nicht bzw. nicht ohne Ausschlussklauseln abgeschlossen hätte. Das OLG ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die Berufung keinen Erfolg hat.
Praxishinweis:
Das OLG Dresden macht in dieser Entscheidung auch deutlich, dass es sich bei der Arglist und dem Arglistvorsatz um eine innere Tatsache handelt, sodass der Beweis nur durch Indizien geführt werden kann. Dabei ist auf die konkreten Umstände und insbesondere auf die Art, Schwere und Zweckrichtung der Falschangaben, der Umfang der verschwiegenen Tatsachen, die Dauer der Störungen, die Auswahl der genannten und nicht genannten Befunde sowie die zeitliche Nähe zur Antragstellung abzustellen (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 11.12.2018 – 11 U 72/16; OLG München, Urteil vom 30.03.2012 – 25 U 5453/09). Steht fest, dass Angaben beim Vertragsabschluss objektiv falsch gewesen sind, trifft den Versicherungsnehmer eine sekundäre Darlegungslast, in deren Rahmen er substantiiert und nachvollziehbar vortragen muss, wie und weshalb es dazu gekommen ist (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 11.12.2018 – 11 U 72/16).
Wenn Sie Fragen zu dem Umfang der Pflicht zur Angabe von Gesundheitsbeeinträchtigungen haben, dann nehmen Sie bitte Kontakt mit mir auf.