Zugrundelegung bei kurzer Tätigkeit für Beurteilung der Berufsunfähigkeit
Keine Zugrundelegung einer nur vorübergehenden Tätigkeit für Beurteilung einer Berufsunfähigkeit
Sofern eine Versicherungsnehmerin einer Berufsunfähigkeitsversicherung nach Ablauf des Mutterschutzes zunächst nicht auf ihrem angestammten Arbeitsplatz zurückgekehrt war, sondern zunächst innerhalb des Betriebes für einen von vornherein befristeten Zeitraum auf einer für sie geschaffenen Stelle tätig wurde, darf diese vorübergehende Tätigkeit nicht im Rahmen der Beurteilung einer kurz danach angemeldeten Berufsunfähigkeit zugrunde gelegt werden. Eine solche vorübergehende Tätigkeit ist gerade nicht geeignet, ihre Lebensstellung entsprechend zu prägen. Insofern bleibt die von ihr ausgeübte „Stammtätigkeit“ als ihr „eigentlicher Beruf“ maßgeblich.
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OLG Saarbrücken, 07.07.2021, 5 U 17/19
Sachverhalt:
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Beklagte auf Leistungen aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung in Anspruch genommen. Die im Jahr 1983 geborene Klägerin unterhält bei der Beklagten eine Risiko-Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung und Unfall-Zusatzversicherung; der Versicherungsbeginn war am 01.11.2010, Versicherungsende ist am 01.11.2043. Die monatliche Rente wegen Berufsunfähigkeit beträgt 1.000,- Euro. Dem Vertrag liegen u.a. die Bedingungen der Beklagten für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung Comfort-Schutz zu Grunde (B-BUZ). Die Klägerin war vormals bei der Z., beruflich tätig. Dort arbeitete sie seit März 2008 zunächst an der Ein- und Ausgangswaage für Lkw, wo sie beim Einfahren der Lkw für die Kontrolle der Ladepapiere, nachfolgend für das Wiegen der Lkw sowohl beim Hereinfahren als auch beim Herausfahren und für die weitere Übergabe von Fahrzeugpapieren zuständig war. Dieser Tätigkeit ging sie bis zur Geburt ihres Sohnes im Juni 2011 nach; im Anschluss an die dadurch bedingte Unterbrechung nahm sie im August 2012 ihren Beruf wieder auf, wechselte dann aber auf eigenen Wunsch, von vornherein befristet auf 18 Monate, in die Verwaltung (Bereich Instandhaltung-Controlling), weil sie wegen des Kindes nicht mehr im Schichtdienst arbeiten wollte; danach sollte sie wieder an der Ein- und Ausgangswaage tätig werden. Seit dem 07.10.2013 war sie arbeitsunfähig erkrankt. Am 23.04.2014 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, den diese nach Einholung verschiedener Auskünfte mit Schreiben vom 17.07.2014 ablehnte. Seit 01.03.2016 bezog die Klägerin von der Deutschen Rentenversicherung eine – befristete – Rente wegen voller Erwerbsminderung. Erstinstanzlich hat die Klägerin zuletzt die Zahlung einer monatlichen Rente wegen Berufsunfähigkeit ab Oktober 2013, die Feststellung der Leistungspflicht der Beklagten, die Freistellung von der laufenden Beitragszahlung sowie die Rückzahlung gezahlter Beiträge von Oktober 2013 bis 30.11.2017 geltend gemacht. Das LG hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.
Entscheidungsanalyse:
Der 5. Zivilsenat des OLG Saarbrücken hat geurteilt, dass die Beklagte der Klägerin keine Leistungen aus dem Versicherungsvertrag erbringen muss, weil die Klägerin nicht bewiesen hat, dass sie bedingungsgemäß berufsunfähig ist. Nach Überzeugung des Senats kann nämlich nicht festgestellt werden, dass die Klägerin bedingungsgemäß außerstande wäre, ihrem vormals ausgeübten Beruf in seiner hier maßgeblichen Ausgestaltung „in gesunden Tagen“ weiter nachzugehen. Nach Worten des OLG liegt vollständige Berufsunfähigkeit nach den vereinbarten Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (B-BUZ) vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, bereits sechs Monate ununterbrochen außer Stande gewesen ist oder nach ärztlicher Prognose voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen außer Stande sein wird, ihren zuletzt ausgeübten Beruf – so wie er ohne gesundheitliche Leistungsbeeinträchtigungen ausgestaltet war – auszuüben. Sie liege nicht vor, wenn die versicherte Person eine andere Tätigkeit ausübe, die ihren Kenntnissen und Fähigkeiten sowie ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht (§ 2 Abs. 1 Satz 1 bis 3 B-BUZ). Die Beweislast für diese Voraussetzungen treffe nach allgemeinen Grundsätzen den Versicherungsnehmer, hier: die Klägerin. Der Senat stellt klar, dass hier die Voraussetzungen einer Leistungspflicht der Beklagten nicht vorliegen. Denn die Klägerin habe nicht bewiesen, dass sie aus gesundheitlichen Gründen ihre frühere berufliche Tätigkeit an der Ein- und Ausgangswaage der Firma Z., die bei zutreffender Betrachtung trotz des vorübergehenden befristeten Wechsels der Klägerin in den Innendienst für die Beurteilung der Eintrittspflicht der Beklagten maßgeblich geblieben sei, im bedingungsgemäßen Umfange nicht mehr ausüben könne oder gekonnt habe. Der Senat erläutert, dass zur Beurteilung der Frage, ob Berufsunfähigkeit der Klägerin in ihrem früheren Beruf vorliegt, von der in gesunden Tagen ausgeübten Tätigkeit der Klägerin an der Ein- und Ausgangswaage für Lkw auszugehen ist. Diese und nicht die erst kurz vorher und von vornherein nur für einen vorübergehendenden Zeitraum übernommene Tätigkeit im Innendienst sei für diese Beurteilung entscheidend geblieben. Nach Ansicht des OLG bleibt eine frühere Tätigkeit maßgeblich, wenn der Versicherte sie für die Dauer von Erziehungs- oder Elternzeiten lediglich unterbricht, auch wenn er in dieser Zeit vorübergehend einer anderen Beschäftigung nachgeht. Dies begründet der Senat damit, dass die neue oder geänderte Tätigkeit in einem solchen Fall aus der Sicht des Versicherten nicht oder noch nicht geeignet war, dessen Lebensstellung in erheblicher Weise zu prägen. Nach Auffassung des Senats blieb im konkreten Fall die „Stammtätigkeit“ der Klägerin an der Ein- und Ausgangswaage maßgeblich, weil sie, von der familiär bedingten vorübergehenden Veränderung abgesehen, ihren „eigentlichen“ Beruf darstellte. Nach Überzeugung lässt sich hier jedoch nicht feststellen, dass die Klägerin diese Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. Das OLG hat daher im Ergebnis die Klage abgewiesen.
Praxishinweis:
Nach der hier vom OLG Saarbrücken vertretenen Auffassung ist zwar bei der Feststellung, ob bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorliegt, grundsätzlich die letzte konkrete Berufsausübung des Versicherten maßgebend, so wie sie in gesunden Tagen ausgestaltet war, d.h. solange seine Leistungsfähigkeit noch nicht beeinträchtigt war (BGH, Urteil vom 22.09.1993 – IV ZR 203/92 – sog. „Stichtagsprinzip“).Anderes gilt aber nach Ansicht des OLG, wenn die neue Tätigkeit die Lebensstellung des Versicherten noch gar nicht zu beeinflussen begonnen hat (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 16.01.2013 – 5 U 236/12-28).
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