Schadensersatzanspruch wegen Verletzung des Maßregelungsverbots
Schadensersatzanspruch wegen Verletzung des Maßregelungsverbots
Ein Verstoß gegen das in § 612a BGB geregelte Maßregelungsverbot kann grundsätzlich Sekundäransprüche auf Schadensersatz begründen. Weigert sich der Arbeitgeber nur deshalb mit einem befristet beschäftigten Arbeitnehmer einen Folgevertrag zu schließen, weil der Arbeitnehmer auf einer Betriebsversammlung gegenüber dem Arbeitgeber Kritik geäußert hat, kommt eine Benachteiligung i.S.d. § 612a BGB in Betracht. Den Arbeitnehmer trifft allerdings die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er wegen seiner Rechtsausübung vom beklagten Arbeitgeber benachteiligt wurde.
Originalentscheidung auf Wolters Kluwer Online aufrufen:
LAG Rheinland-Pfalz, 23.07.2020, 5 Sa 283/19
Sachverhalt:
Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen Verletzung des Maßregelungsverbots, weil die Beklagte ihren sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag nicht bis zu einer Gesamtdauer von zwei Jahre verlängert hat. Die Klägerin war vom 01.06.2017 bis zum 30.11.2018 bei der Beklagten als Hilfskraft in der Produktion angestellt. Der sachgrundlos befristete Arbeitsvertrag wurde für sechs Monate bis zum 30.11.2017 abgeschlossen und erstmalig bis zum 31.05.2018, zuletzt bis zum 30.11.2018 verlängert.
Eine Entfristung oder eine dritte Verlängerung des Arbeitsvertrags für weitere sechs Monate lehnte die Beklagte ab. In einer Abteilungsversammlung äußerte sich die Klägerin kritisch über einen Vorgesetzten. In einem anschließenden Personalgespräch wurde der Klägerin eröffnet, dass die Beklagte den befristeten Arbeitsvertrag nicht verlängern werde. Die Klägerin behauptet, ihr sei in diesem Gespräch außerdem mitgeteilt worden, dass der Vertrag wegen der negativen Äußerungen gegenüber einem Vorgesetzten nicht verlängert werde. Die Klägerin verlangt im Wesentlichen Schadensersetz wegen der entgangenen Vergütung. Das Arbeitsgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme über den Inhalt des Personalgesprächs vom 12.11.2018 die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg.
Entscheidungsanalyse:
Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe des ihr in den sechs Monaten vom 01.11.2018 bis zum 31.05.2019 entgangenen Verdienstes. Ein Verstoß gegen das in § 612a BGB geregelte Maßregelungsverbot kann grundsätzlich i.V.m. § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB oder i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB Sekundäransprüche auf Schadensersatz begründen. Weigert sich der Arbeitgeber nur deshalb mit einem befristet beschäftigten Arbeitnehmer einen Folgevertrag zu schließen, weil der Arbeitnehmer auf einer Betriebsversammlung gegenüber dem Arbeitgeber Kritik geäußert hat, kommt eine Benachteiligung i.S.d. § 612a BGB in Betracht.
Den Arbeitnehmer trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er wegen seiner Rechtsausübung vom beklagten Arbeitgeber benachteiligt wurde (vgl. BAG, Urteil vom 21.09.2011 – 7 AZR 150/10). Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben, ob die Beklagte das sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnis mit der Klägerin nur deshalb nicht zum dritten Mal verlängert hat, weil sich die Klägerin in einer Betriebsversammlung kritisch über ihren Vorgesetzten geäußert hat. Das Arbeitsgericht ist auf der Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass die Äußerungen der Klägerin auf der Betriebsversammlung, die dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unterfallen, nicht das wesentliche Motiv für die Entscheidung der Beklagten waren, den Vertrag nicht erneut zu verlängern.
Nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme ist auch die Berufungskammer nicht davon überzeugt, dass die Meinungsäußerung der Klägerin auf der Betriebsversammlung für die Beklagte der tragende Beweggrund dafür gewesen ist, den bis zum 31.10.2018 befristeten Arbeitsvertrag nicht erneut zu verlängern. Die Beklagte war – unabhängig von den Äußerungen auf der Betriebsversammlung – mit der Klägerin nicht zufrieden. Die Klägerin war aus Sicht der Beklagten überdurchschnittlich häufig krank.
Zu den häufigen Kurzerkrankungen kam hinzu, dass der Produktionsleiter die Klägerin im Betrieb nur noch begrenzt in der Endfertigung einsetzen konnte, weil sich Arbeitskollegen aus anderen Abteilungen über die Klägerin beschwert hatten. Die Klägerin konnte letztendlich nicht beweisen, dass ihre Meinungsäußerung auf der Betriebsversammlung wesentliches Motiv für die Nichtverlängerung ihres Arbeitsvertrags war. Ihr steht gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch zu.
Praxishinweis:
Ist eine zulässige Rechtsausübung des Arbeitnehmers das tragende Motiv des Arbeitgebers, mit dem Arbeitnehmer nach dem Ende eines befristeten Arbeitsvertrags kein unbefristetes Folgearbeitsverhältnis zu begründen, handelt es sich um eine verbotene Maßregelung i.S.v. § 612a BGB. Der Arbeitgeber übt nicht lediglich in zulässiger Weise seine Vertragsfreiheit aus. Es besteht allerdings kein Anspruch auf Abschluss eines Folgevertrags. Einem Anspruch auf Abschluss eines Arbeitsvertrags steht die entsprechende Anwendung von § 15 Abs. 6 AGG entgegen.
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