Prozessführungsbefugnis des Schadensabwicklungsunternehmens
Passive Prozessführungsbefugnis des Schadensabwicklungsunternehmens eines Rechtsschutzversicherers
BGH, 11.07.2018, IV ZR 243/17
Nach § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG können Ansprüche auf die Versicherungsleistung aus einem Vertrag über eine Rechtsschutzversicherung, wenn ein selbständiges Schadensabwicklungsunternehmen mit der Leistungsbearbeitung beauftragt ist, nur gegen dieses geltend gemacht werden. Das Schadensabwicklungsunternehmen eines Rechtsschutzversicherers ist auch dann passiv prozessführungsbefugt gemäß § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG, wenn der Versicherungsnehmer Deckungsschutz im Wege eines auf „Quasideckung“ gerichteten Schadensersatzanspruchs begehrt.
Sachverhalt:
Der Kläger begehrt von dem beklagten Versicherer Schadensersatz wegen fehlerhafter Beratung bei Abschluss einer den Grundstücksrechtsschutz nicht abdeckenden Rechtsschutzversicherung. Der Kläger ist Rechtsanwalt und zusammen mit seiner Ehefrau hälftiger Miteigentümer eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks. Er führte im Jahr 1993 ein selbständiges Beweisverfahren gegen ein Energieunternehmen wegen Rissbildung am Haus infolge unsachgemäßer Verfüllung eines Grabens nach Verlegung von Rohrleitungen. Die Kosten des Verfahrens trug der seinerzeitige Versicherer des Klägers, bei dem er bis zum Wechsel zur Beklagten eine Rechtsschutzversicherung unterhielt, die unter anderem das Risiko „Grundstücksrechtsschutz“ abdeckte. Im Jahr 2005 führte der Kläger Gespräche mit einem Mitarbeiter der Beklagten mit dem Ziel eines Versicherungswechsels. Er schloss im September 2005 bei dieser neben anderen Versicherungen auch eine Rechtsschutzversicherung mit Versicherungsbeginn zum 16.09.2005 ab. Versichert war danach der „Optimal-Privat-, Berufs- und Verkehrs-Rechtsschutz für Nichtselbständige“ gemäß § 26 Abs. 9 der Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen der Beklagten (ARB). Nicht abgedeckt war darin – vom Kläger zunächst unbemerkt – das Risiko „Grundstücksrechtsschutz“ nach § 29 Abs. 1 und 2 ARB. Der Versicherungsschein enthält auf Seite 3 den Hinweis: „Die Schadenregulierung erfolgt für die A. Versicherungs-AG [Versicherer] durch die A. Rechtsschutz-Service GmbH [Schadensabwicklungsunternehmen]: …“ Im September 2009 stellte der Kläger erneute Rissbildung am Haus fest. Mit Schreiben vom 24.01.2012 meldete er deswegen gegenüber dem Energieunternehmen im eigenen Namen und im Namen seiner Ehefrau Ansprüche an und forderte es zur Anerkennung der Haftung dem Grunde nach auf. Mit Schreiben vom selben Tag, gerichtet an die „A. Rechtsschutz Vers. AG – Abt. Schaden – … B. „, bat er in der Angelegenheit um Deckungszusage für seine vorgerichtliche anwaltliche Tätigkeit gegenüber dem Energieunternehmen. Die A. Rechtsschutz-Service GmbH (Schadensabwicklungsunternehmen) teilte dem Kläger mit Schreiben vom 26.01.2012 mit, der zwischen ihm und der Beklagten geschlossene Vertrag umfasse nicht die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Grundstückseigentum und Miete; eine Leistung in der gemeldeten Angelegenheit könne deshalb nicht erbracht werden. Der Kläger beruft sich auf eine Pflichtverletzung der Beklagten bei Abschluss des Rechtsschutzversicherungsvertrages. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren mit der Maßgabe weiter, dass er die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten begehrt, das Schadenabwicklungsunternehmen anzuweisen, dem Kläger tarifgemäßen Deckungsschutz für die Geltendmachung von Ansprüchen gegen das Energieunternehmen zu gewähren.
Entscheidungsanalyse:
Der 4. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat geurteilt, dass der Kläger zur Durchsetzung seines auf Deckungsschutz im Wege der sogenannten „Quasideckung“ gerichteten Schadensersatzanspruchs aus § 6 Abs. 5 VVG bzw. § 311 Abs. 2 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB nicht die Beklagte, sondern nach § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG deren Schadenabwicklungsunternehmen gerichtlich hätte in Anspruch nehmen müssen. Nach dieser Vorschrift können Ansprüche auf die Versicherungsleistung aus einem Vertrag über eine Rechtsschutzversicherung, wenn ein selbständiges Schadensabwicklungsunternehmen mit der Leistungsbearbeitung beauftragt ist, nur gegen dieses geltend gemacht werden. Nach Aufassung des Senats ist eine Anwendung des § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG auch in den Fällen geboten, in denen der Versicherungsnehmer wegen vorvertraglicher Pflichtverletzung des Versicherers von diesem Schadensersatz aus § 6 Abs. 5 VVG bzw. § 311 Abs. 2 i.V.m. § 280 Abs. 1 i.V.m. § 249 BGB im Wege der sogenannten „Quasideckung“ begehrt. Der BGH erläutert, dass der durch die Verletzung der Beratungspflichten nach § 6 Abs. 5 VVG bzw. § 311 Abs. 2, § 280 Abs. 1 i.V.m. § 249 BGB entstandene Schaden darin bestehen kann, dass der Versicherungsnehmer zwar einen Vertrag beim Versicherer abschließt, dieser aber unerkannte Deckungslücken aufweist, die seinen Bedürfnissen zuwiderlaufen. Aus Sicht des Senats kann der Versicherungsnehmer in einem solchen Fall im Wege des Schadensersatzes verlangen, so gestellt zu werden, wie er bei Abschluss eines Versicherungsvertrages mit adäquatem Versicherungsschutz stehen würde. Der Versicherer schulde dann im Wege des Schadensersatzes das, was der Versicherungsnehmer bei richtiger Beratung als Versicherungsschutz erhalten hätte (sogenannte „Quasideckung“). Der Senat weist zudem darauf hin, dass die Klage, soweit sie auf Deckungsschutz im Wege der sogenannten „Quasideckung“ gerichtet ist, nicht wegen fehlender Passivlegitimation der Beklagten unbegründet, sondern wegen fehlender Prozessführungsbefugnis der Beklagten bereits unzulässig ist. Passiv prozessführungsbefugt sei im Anwendungsbereich des § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG allein das Schadenabwicklungsunternehmen, während der Versicherer materiell-rechtlich Verpflichteter aus dem Versicherungsvertragsverhältnis mit dem Versicherungsnehmer bleibe. Da es hier an der passiven Prozessführungsbefugnis der Beklagten und damit an einer Prozessvoraussetzung fehle, sei die Klage als unzulässig abzuweisen. Die Revision des Klägers habe daher keinen Erfolg.
Praxishinweis:
Der BGH weist in diesem Urteil auch darauf hin, dass sich aus § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG nicht eine fehlende Passivlegitimation des beklagten Versicherers ergibt. § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG begründet vielmehr einen Fall gesetzlicher Prozessstandschaft. Als Folge der gesetzlichen Anordnung des § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG wird die Prozessführungsbefugnis des Versicherers durch das von ihm eingesetzte Schadenabwicklungsunternehmen verdrängt, ohne dass dies etwas an der Sachbefugnis des Versicherers ändern kann.
Urteil des BGH vom 11.07.2018, Az.: IV ZR 243/17