Neuwertentschädigung in der Sachversicherung
Voraussetzungen einer Neuwertentschädigung in der Sachversicherung
Ein Versicherungsnehmer und Landwirt, der eine sog. Agrarpolice unterhält, die eine Feuerversicherung umfasst, hat bei einem Brandschaden keinen Anspruch auf Ersatz des Versicherungswerts einer Heuballenpresse unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalls, wenn die Heuballenpresse nicht als zerstört i.S.v. E 12.2.1 Buchst. a der AVB, sondern als beschädigt i.S.v. E 12.2.1 Buchst. b der AVB anzusehen ist. Aus E 12.2.1 Buchst. b der AVB ersieht der durchschnittliche Versicherungsnehmer, dass im Falle der technischen Reparaturfähigkeit eine Zerstörung so lange nicht vorliegt, wie die notwendigen Reparaturkosten zuzüglich einer Wertminderung, die durch den Versicherungsfall entstanden und durch die Reparatur nicht auszugleichen ist, den Versicherungswert unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalls nicht übersteigen.
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OLG Karlsruhe, 18.01.2019, 12 U 129/18
Sachverhalt:
Die Parteien streiten um restliche Leistungsansprüche des Klägers aus einer Sachversicherung wegen des Brandschadens an einer Heuballenpresse. Der Kläger, ein zum Vorsteuerabzug berechtigter Landwirt, unterhält bei der Beklagten eine sog. Agrarpolice, die eine Feuerversicherung umfasst. Versichert ist u.a. die landwirtschaftliche Betriebseinrichtung zum Neuwert. Dem Vertrag liegen „Allgemeine Bedingungen für die …-AgrarPolice (…-AGP 2008)“ der Beklagten (AVB) zugrunde. Am 09.06.2014 erlitt die Heurundballenpresse des Klägers während ihres Betriebs einen Brandschaden. Der Eintritt des Versicherungsfalls ist zwischen den Parteien unstreitig. Im Rahmen der Leistungsprüfung holte die Beklagte ein Gutachten zum erstattungsfähigen Schaden durch den Dipl.-Ing. F. ein, der zu einem Neuwert der Rundballenpresse am Schadenstag von 29.000 Euro, einem Zeitwert von 12.760 Euro und einem erstattungsfähigen Instandsetzungsaufwand von 6.414,10 Euro gelangte. Letztgenannten Betrag zahlte die Beklagte an den Kläger, der indes die Regulierung des Neuwerts begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, durch die er sein erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiterverfolgt.
Entscheidungsanalyse:
Der 12. Zivilsenat des OLG Karlsruhe hat geurteilt, dass die vom Kläger erhobene Feststellungsklage zulässig, aber unbegründet ist. Der Senat erläutert, dass eine Feststellungsklage ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis betreffen muss. Ein solches liegt aus Sicht des Senats auch dann vor, wenn die Verpflichtung des Sachversicherers zur Schadensregulierung nach den Bedingungen der Neuwertentschädigung festgestellt werden soll, der Versicherungsnehmer die Voraussetzungen einer strengen Wiederherstellungsklausel aber noch nicht erfüllt hat. Denn die Möglichkeit zur Leistungsklage stehe dem Kläger schon wegen der vereinbarten strengen Wiederherstellungsklausel nicht zur Verfügung. Nach Auffassung des OLG hat der Kläger jedoch gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Ersatz des Versicherungswerts der Heuballenpresse unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalls. Nach E 12.2.1 Buchst. a der AVB hat der Versicherer den Versicherungswert einer versicherten Sache zu ersetzen, wenn sie zerstört wurde oder infolge eines Versicherungsfalls abhanden kam. Dagegen schuldet er gemäß E 12.2.1 Buchst. b der AVB im Falle der bloßen Beschädigung den Ersatz der notwendigen Reparaturkosten zuzüglich einer etwaigen Wertminderung. Der Senat stellt klar, dass die Heuballenpresse nicht als zerstört i.S.v. E 12.2.1 Buchst. a der AVB, sondern als beschädigt i.S.v. E 12.2.1 Buchst. b der AVB anzusehen ist. Nach Auslegung der in den Versicherungsvertrag des Klägers einbezogenen Versicherungsbedingungen sei unabhängig von der generellen Definition des wirtschaftlichen Totalschadens keine Zerstörung der Rundballenpresse anzunehmen, sodass eine Schadensregulierung nach Maßgabe von E 12.2.1 Buchst. a der AVB von vornherein ausscheide. Nach Auffassung des Senats kann daher der Kläger im Streitfall nur eine Schadensregulierung auf Reparaturkostenbasis verlangen. Nach seinem eigenen Vortrag lägen die erforderlichen Reparaturkosten zuzüglich der nicht auszugleichenden Wertminderung unter dem Versicherungswert der Rundballenpresse. Die Berufung habe daher im Ergebnis keinen Erfolg.
Praxishinweis:
Das OLG Karlsruhe betont in dieser Entscheidung, dass jedenfalls bis zum Erreichen der Entschädigungsgrenze der Zerstörung der versicherten Sache – unabhängig von der Wirtschaftlichkeit einer Reparatur – von einer Beschädigung und nicht von einer Zerstörung im Sinne der Bedingungen auszugehen ist. Dies wird aus Sicht des OLG durch den allgemeinen Sprachgebrauch bestätigt. Denn auch danach ist eine Sache nicht immer schon dann als zerstört anzusehen, wenn sie – wie beispielsweise ein PKW mit einem geplatzten Reifen – unrepariert nicht gebrauchsfähig ist. Ein solches Fahrzeug ist nach allgemeinem Verständnis nicht zerstört, sondern nur beschädigt.
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