Formulierung „erhöhte“ Kraftanstrengung nicht intransparent
Formulierung „erhöhte“ Kraftanstrengung nicht intransparent
Die Formulierung „erhöhte“ Kraftanstrengung in Ziffer 1.4 der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen 2010 ist nicht intransparent. Der Vergleichsmaßstab der „erhöhten“ Kraftanstrengung bleibt nicht unklar.
Originalentscheidung auf Wolters Kluwer Online aufrufen:
BGH, 20.11.2019, IV ZR 159/18
Sachverhalt:
Der Kläger, ein als qualifizierte Einrichtung im Sinne von § 4 UKlaG eingetragener Verein, nimmt den beklagten Versicherer auf Unterlassung der Verwendung der Formulierung „erhöhte“ Kraftanstrengung in dessen Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 2010) in Anspruch. In Ziffer 1 AUB 2010 heißt es unter der Überschrift „Der Versicherungsumfang“: „1. Was ist versichert? 1.1 Wir bieten Versicherungsschutz bei Unfällen, die der versicherten Person während der Wirksamkeit des Vertrages zustoßen. … 1.3 Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. 1.4 Als Unfall gilt auch, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule – ein Gelenk verrenkt wird oder – Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden …“. Der Kläger hält die Formulierung „erhöhte“ Kraftanstrengung in Ziffer 1.4 AUB 2010 für unwirksam wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot. Er forderte die Beklagte zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf, was diese ablehnte. Seine Klage – gerichtet auf Verurteilung der Beklagten, es bei Vermeidung eines festzusetzenden Ordnungsgeldes, ersatzweise Ordnungshaft, zu unterlassen, beim Abschluss von Verträgen über Unfallversicherungen die in Ziffer 1.4 AUB 2010 genannte Versicherungsbedingung hinsichtlich der Formulierung „erhöhte“ oder eine inhaltsgleiche Versicherungsbedingung zu verwenden oder sich gegenüber Versicherungsnehmern auf diese zu berufen – hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsanalyse:
Der 4. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat geurteilt, dass die angegriffene Regelung in Ziffer 1.4 AUB 2010 über den Versicherungsschutz bei „erhöhter Kraftanstrengung“ dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB genügt. Danach ist der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Maßgebend seien die Verständnismöglichkeiten des typischerweise bei Verträgen der geregelten Art zu erwartenden Durchschnittskunden. Anstrengung sei nach allgemeinem Sprachgebrauch eine starke Beanspruchung der Kräfte. Der Versicherungsnehmer werde erkennen, dass die Klausel den Einsatz von Muskelkraft verlange, und zwar – wie ihm das vorangestellte Wort „erhöhte“ verdeutlicht – eine qualifizierte Form von Muskeleinsatz. Aus Sicht des BGH wird er dies dahingehend verstehen, dass der Einsatz von Muskelkraft gesteigert sein muss, einerseits also denjenigen, der mit einer normalen körperlichen Bewegung oder Tätigkeit des täglichen Lebens naturgemäß verbunden ist, übersteigen muss, andererseits aber auch kein völlig außergewöhnlicher oder extremer Krafteinsatz erforderlich ist. Nicht erfasst seien daher erkennbar normale körperliche Bewegungen oder Tätigkeiten des täglichen Lebens, die zwar einen gewissen Muskeleinsatz, aber nach allgemeiner Lebenserfahrung keine bemerkenswerte Anstrengung erfordern, wie z.B. Gehen, Laufen, Aufstehen, Hocken oder Bücken. Nach Ansicht des Senats bleibt hierbei der Vergleichsmaßstab der „erhöhten“ Kraftanstrengung nicht unklar. Nach dem Wortlaut der Klausel komme es darauf an, dass (und inwieweit) sich der Versicherte angestrengt hat. Daraus werde ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer schließen, dass für die Frage, ob ein Bewegungsablauf oder eine Tätigkeit eine erhöhte Kraftanstrengung im Vergleich zu normalen Abläufen des täglichen Lebens erfordert, auf die individuellen körperlichen Verhältnisse abzustellen ist. Er werde also einen subjektiven Maßstab anlegen. Eine objektive, auf einen durchschnittlichen Versicherten abstellende Betrachtung werde er als fernliegend erachten. Entscheidend für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist nach Worten des BGH daher allein, inwieweit der konkrete Muskeleinsatz gemessen an der individuellen (möglicherweise – was der Feststellung im Einzelfall bedarf – durch häufige Vornahme gestärkten) körperlichen Konstitution über denjenigen von normalen Bewegungsabläufen oder Tätigkeiten des täglichen Lebens hinausgeht. Die für den jeweiligen Sport oder Beruf typischen Abläufe werde er dagegen nicht als Vergleichsmaßstab ansehen. Der BGH ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die Revision keinen Erfolg hat.
Praxishinweis:
Nach der hier vom BGH vertretenen Auffassung sprechen auch die systematische Zusammenhang sowie Sinn und Zweck der Klausel für das gefundene Ergebnis. Aus Sicht des BGH wird der der Versicherungsnehmer aus der Formulierung „gilt auch“ folgern, dass Ziffer 1.4 AUB 2010 den in Ziffer 1.3 definierten Unfallbegriff und damit auch den Versicherungsschutz erweitert. Er wird hierdurch und durch die Formulierung „erhöhte“ Kraftanstrengung erkennen, dass der Unfallfiktion nur solche Gesundheitsbeeinträchtigungen unterfallen sollen, die durch eine für ihn das normale Maß übersteigende Beanspruchung auftreten. Der BGH weist außerdem darauf hin, dass weder in der obergerichtlichen Rechtsprechung noch – von Einzelstimmen abgesehen – im Schrifttum Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser oder einer vergleichbaren Klausel unter dem Gesichtspunkt des Transparenzgebotes erhoben werden.
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