Dauer des Anspruchs auf Tagegeld in der Unfallversicherung
Dauer des Anspruchs auf Tagegeld in der Unfallversicherung
Die nach Ziffer 2.5 AUB 2008 für den Anspruch auf Tagegeld in der Unfallversicherung maßgebliche ärztliche Behandlung endet nicht stets mit der letzten Vorstellung beim Arzt. Sie umfasst vielmehr regelmäßig die Dauer der von dem Arzt angeordneten Behandlungsmaßnahmen.
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BGH, 04.11.2020, IV ZR 19/19
Sachverhalt:
Der Kläger nimmt den beklagten Versicherer, bei dem er seit 2011 eine Unfallversicherung unterhält, auf Zahlung weiteren Tagegeldes in Anspruch. Der Kläger erlitt am 04.04.2016 einen bedingungsgemäßen Unfall, bei dem er sich einen Finger verletzte. Ab dem 11.04.2016 war er bei einem Facharzt in Behandlung, dessen Praxis er zuletzt am 16.06.2016 besuchte. Dabei wurde ihm wegen eines andauernden Bewegungsdefizits „10 x Krankengymnastik“ verschrieben. Nachdem der Facharzt von der Beklagten beauftragt worden war, eine gutachterliche Stellungnahme zu fertigen, bestellte er den Kläger in die Praxis ein und untersuchte ihn am 21.09.2016. In der Stellungnahme vom 28.09.2016 antwortete er auf die Frage „Ist die Behandlung abgeschlossen, ggf. wann oder wann voraussichtlich?“: „Die Behandlung wurde am 16.06.2016 abgeschlossen.“ Am 01.02.2017 suchte der Kläger den Facharzt erneut auf, der wegen fortbestehender Bewegungseinschränkungen Physiotherapie verordnete. Die Beklagte leistete Tagegeld für die Zeit bis einschließlich 16.06.2016. Das Landgericht hat der zuletzt auf Zahlung weiteren Tagegeldes in Höhe von 5.655,10 Euro für die Zeit vom 17.06.2016 bis zum 01.02.2017 gerichteten Klage lediglich in Höhe von 9,70 Euro für einen Tag, den 01.02.2017, stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die auf Zahlung weiterer 5.645,40 Euro gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dagegen wendet sich dessen vom Berufungsgericht zugelassene Revision.
Entscheidungsanalyse:
Nach Überzeugung des 4. Zivilsenat des BGH endet die nach Ziffer 2.5 AUB 2008 für den Anspruch auf Tagegeld maßgebliche ärztliche Behandlung nicht stets mit der letzten Vorstellung beim Arzt. Sie umfasst nach Auffassung des Senats vielmehr regelmäßig die Dauer der von dem Arzt angeordneten Behandlungsmaßnahmen. Dies ergebe die Auslegung der Klausel. Hierbei werde sich der Versicherungsnehmer zunächst am Wortlaut von Ziffer 2.5 AUB 2008 orientieren. Er wird nach Worten des BGH erkennen, dass die Klausel nicht auf den (letzten) Arztbesuch abstellt, sondern auf die Dauer der ärztlichen Behandlung (Ziffer 2.5.2 AUB 2008). Nach Ansicht des Senats wird dies der Versicherungsnehmer so verstehen, dass es zwar in erster Linie auf das Handeln des Arztes ankommt, dass aber im Regelfall auch etwaige von dem Arzt angeordnete Behandlungsmaßnahmen, wie die Einnahme eines verschriebenen Medikaments oder die Durchführung einer verordneten Therapie, einzubeziehen sind. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer werde daher die Dauer solcher von der ärztlichen Fürsorge und Verantwortung umfasster Behandlungsmaßnahmen regelmäßig als Teil der ärztlichen Behandlung ansehen, und zwar unabhängig davon ob sie möglicherweise nach dem letzten Arztbesuch erfolgt seien, ob Dritte bei ihrer Durchführung tätig würden und inwieweit der Arzt Maßnahmen selbst spezifiziere oder ihre konkrete Ausgestaltung einem Dritten überlassen habe (wie im Streitfall durch die Verordnung von „10 x Krankengymnastik“). Für dieses Verständnis spreche auch der erkennbare Zweck des Tagegeldes. Ein davon abweichendes Verständnis werde der Versicherungsnehmer auch nicht nach dem Sinnzusammenhang der Klausel in Erwägung ziehen. Aus Sicht des Senats endet daher eine ärztliche Behandlung nicht stets mit dem letzten Arztbesuch. Weder Zwänge eines alltäglichen Massengeschäfts, denen Versicherer auch in anderen Versicherungssparten ausgesetzt seien, noch etwaige Missbrauchsmöglichkeiten durch eigenmächtige Verzögerung des Behandlungsendes erforderten ein solches Verständnis. Der BGH hat daher im Ergebnis das Berufungsurteil ist aufgehoben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit dieses, nachdem es dem Kläger Gelegenheit zu weiterem Vortrag gegeben hat, die noch erforderlichen Feststellungen treffen kann.
Praxishinweis:
Mit dem vorliegenden Urteil nimmt der BGH zu der umstrittenen Frage Stellung, wann die nach Ziffer 2.5 AUB 2008 für den Anspruch auf Tagegeld in der Unfallversicherung maßgebliche ärztliche Behandlung endet. Zur Begründung weist der BGH hier auch darauf hin, dass es der Versicherungsnehmer als von Zufällen des Einzelfalls abhängig und deshalb unerheblich ansehen wird, ob nach der Einnahme des verschriebenen Medikaments oder nach Durchführung der verordneten Therapie ein weiterer Arztbesuch zur Erfolgskontrolle stattfindet, bei dem der Arzt den Versicherten ausdrücklich aus seiner Fürsorge entlässt, oder ob die verordnete Behandlung ohne einen solchen Kontrollbesuch endet.
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