Berufen auf tarifliche Kündigungseinschränkung
Berufen auf tarifliche Kündigungseinschränkung kann rechtsmissbräuchlich sein
Das Berufen auf eine tarifliche Kündigungseinschränkung kann grundsätzlich rechtsmissbräuchlich sein. Es ist im konkreten Fall nicht rechtsmissbräuchlich, wenn der anwaltlich vertretene Arbeitnehmer vor Jahren anlässlich eines Betriebsübergangs der Auffassung war, dass der betreffende Tarifvertrag nicht zur Geltung käme, nunmehr aber – zutreffend – der Auffassung ist, dass der Tarifvertrag Anwendung findet.
Originalentscheidung auf JURION aufrufen:
LAG Berlin-Brandenburg, 21.09.2018, 2 Sa 774/18
Sachverhalt:
Die Parteien streiten im Wesentlichen um die Wirksamkeit einer ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung. Dabei ist Kernpunkt des Streits der Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit des Klägers gemäß § 29 des Manteltarifvertrages T-Systems International vom 04.11.2014 (im Folgenden: MTV TSI). Der MTV TSI ist unstreitig auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar, da die Beklagte als Tarifpartei und der Kläger als Mitglied der Gewerkschaft ver.di tarifgebunden ist. Die Beklagte meint, der Kläger dürfe sich auf den Ausschluss der ordentlichen Kündigung nicht berufen, weil er im Jahr 2015 durch seinen damaligen Rechtsanwalt anlässlich der damals streitigen Anwendbarkeit des § 7 Abs. 6 MTV TSI explizit habe mitteilen lassen, dass der MTV TSI auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung fände und für ihn allein sein Arbeitsvertrag mit seinem alten Arbeitgeber, der von der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin im Wege des Betriebsübergangs übernommen wurde, gelten würde. Das Arbeitsgericht Berlin hat der Kündigungsschutzklage stattgegegen. Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
Entscheidungsanalyse:
Die Kündigung hat das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. Unstreitig findet der MTV TSI auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Dementsprechend gilt auch der § 29 Abs. 1 und Abs. 2 MTV TSI gemäß § 4 Abs. 1 TVG zwischen den Parteien. Danach ist die ordentliche Kündigung bei einem Mitarbeiter, der zum Zeitpunkt der Kündigung das 50. Lebensjahr und eine Zeit der Betriebszugehörigkeit von 15 Jahren vollendet hat, nur noch aus den dort genannten Gründen möglich. Unstreitig liegen diese Kündigungseinschränkungen für den Kläger vor. Ihm ist ordentlich und nicht aus wichtigem Grund gekündigt worden, gleichfalls unstreitig liegt keine verhaltensbedingte, sondern eine krankheitsbedingte Kündigung vor, die jedoch nicht andauernd im Sinne von § 29 Abs. 2 c MTV TSI ist und auch sonst die Voraussetzungen des § 29 Abs. 2 c MTV TSI nicht erfüllt. Die ordentliche Kündigung des Klägers war daher zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vom 30.08.2017 ausgeschlossen. Der Kläger darf sich auch auf § 29 MTV TSI berufen. Dies ist nicht rechtsmissbräuchlich bzw. ein Verstoß gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor: Der Kläger hat sich im Jahre 2015 auf den rechtlichen Standpunkt gestellt, dass der MTV TSI für ihn nicht gelte, weil er den (neuen) Arbeitsvertrag mit dem Betriebsinhaber, der Vorgängerin der Beklagten, nicht unterschrieben habe. Er hat dabei nicht auf seine Gewerkschaftszugehörigkeit hingewiesen, die ebenfalls zu einer Tarifbindung bereits damals geführt hätte. Dieses Unterlassen der Angabe seiner Gewerkschaftszugehörigkeit ist nicht rechtsmissbräuchlich, denn der Arbeitnehmer hat grundsätzlich keine Pflicht zur Offenbarung von für ihn ungünstigen Umständen. Vielmehr wäre es Sache der Beklagten gewesen, bei einer derartigen Auskunft die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit zu stellen, dies ist nach der Einstellung des Arbeitnehmers möglich. Denn es besteht ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers zu erfahren, ob ein geltender Tarifvertrag dadurch auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet, dass der Arbeitnehmer der tarifschließenden Gewerkschaft angehört. Diese Frage ist unterblieben.
Praxishinweis:
Das LAG Berlin-Brandenburg betont in seiner Entscheidung aber auch, dass der Beklagten die Berufung auf den Rechtsmissbrauch, Arglist oder sonst einen Verstoß gegen § 242 BGB nicht etwa deshalb versagt ist, weil tarifliche Ansprüche grundsätzlich weder verwirken noch verzichtbar sind gemäß § 4 Abs. 4 TVG, denn § 4 Abs. 4 TVG hindert den Arglisteinwand nicht.
Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 21.09.2018, Az.: 2 Sa 774/18
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