Beeinträchtigungen bei krankheitsbedingter Kündigung
Darlegung der betrieblichen Beeinträchtigungen bei krankheitsbedingter Kündigungt
Zur Vermeidung betrieblicher Beeinträchtigungen ist bei einer krankheitsbedingten Kündigung grundsätzlich für einen Zweijahreszeitraum eine zur Vertretung befristete Kraft einzustellen, um eine beeinträchtigende dauerhafte Doppelbesetzung zu vermeiden. Im Einzelfall kann aber auch die unbefristete Einstellung arbeitsmarkt- oder aufgabenbedingt erforderlich sein. Dies ist aber zu belegen durch konkrete erfolglose Anstrengungen auf dem Arbeitsmarkt oder konkrete Ausführungen zur Spezifik der geschuldeten Arbeitsleistung, die eine überbrückende Vertretung bis zur wieder dauerhaften Übernahme der Tätigkeiten durch die dann wieder arbeitsfähige Vertretene ausschließt.
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LAG Schleswig-Holstein, 10.01.2024, 3 Sa 74/23
Sachverhalt:
Die Parteien streiten über eine krankheitsbedingte Kündigung. Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 2020 als Bilanzbuchhalterin beschäftigt. Sie ist seit dem 06.12.2021 dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt. Eine Einladung zum betrieblichen Eingliederungsmanagements lehnte die Klägerin im Juni 2022 ab. Vom 24.08.2022 bis 14.10.2022 wurde die Klägerin stationär in einer Klinik behandelt. Eine erneute Einladung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement vom 27.10.2022 nahm die Klägerin ebenfalls nicht an. Am 04.11.2022 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten personenbedingten Kündigung gemäß § 102 BetrVG an. Im Anhörungsschreiben heißt es u.a., dass erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen entstanden seien. Es sei versucht worden, die Aufgaben der Klägerin auf Kollegen umzuverteilen. Die konstant erhöhte Arbeitslast sei für die Kollegen aber dauerhaft nicht tragbar. Der Arbeitsplatz müsse zumindest teilweise ersetzt werden. Nach Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 10.11.2022 zum 31.12.2022. Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Die Beklagte trägt vor, dass durch den langfristigen Ausfall der Klägerin erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen entstanden seien und der Arbeitsmarkt eine befristete Neueinstellung nicht hergäbe und mit der Bedeutung der Tätigkeit auch nicht vereinbar sei. Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat ebenfalls keinen Erfolg.
Entscheidungsanalyse:
Die Kündigung vom 10.11.2022 ist sowohl mangels sozialer Rechtfertigung gemäß § 1 Abs. 1 KSchG als auch aufgrund mangelhafter Betriebsratsanhörung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Die soziale Rechtfertigung von krankheitsbedingten Kündigungen ist in drei Stufen zu prüfen: Negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit, darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen sowie Interessenabwägung (BAG, Urteil vom 13.05.2015 – 2 AZR 565/14). Selbst wenn hier eine negative Prognose angenommen wird, so das LAG Schleswig-Holstein, reichen die in der Betriebsratsanhörung gemachten Angaben für die Annahme erheblicher betrieblicher Beeinträchtigungen nicht aus (zweite Prüfungsstufe). Der Inhalt der Unterrichtung des Betriebsrats zu einer beabsichtigten Kündigung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist grundsätzlich subjektiv determiniert. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben (BAG, Urteil vom 22.09.2016 – 2 AZR 700/15). Das LAG Schleswig-Holstein hat vorliegend festgestellt, dass der eigentliche Grund für die betrieblichen Beeinträchtigungen nach dem Vortrag der Beklagten die angeblich erforderliche dauerhafte Beschäftigung einer anderen Mitarbeiterin auf dem Arbeitsplatz der Klägerin ist. Damit würde eine unbefristete Doppelbesetzung auf einem Arbeitsplatz einhergehen, was in der Tat eine erhebliche betriebliche Beeinträchtigung darstellen würde. Der Vortrag der Beklagten hierzu ist aber nicht ausreichend. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass für einen Zweijahreszeitraum eine zur Vertretung befristete Kraft einzustellen ist, um genau die zuvor beschriebene erheblich beeinträchtigende dauerhafte Doppelbesetzung zu vermeiden (BAG, Urteil vom 13.05.2015, 2 AZR 565/14). Dies mag im Einzelfall arbeitsmarkt- oder aufgabenbedingt nicht in Betracht kommen, ist aber durch konkrete erfolglose Anstrengungen auf dem Arbeitsmarkt oder konkrete Ausführungen zur Spezifik der geschuldeten Arbeitsleistung, die eine überbrückende Vertretung bis zur wieder dauerhaften Übernahme der Tätigkeiten durch die dann wieder arbeitsfähige Vertretene ausschließt, zu belegen. Dem wird der Vortrag der Beklagten hier aber nicht gerecht. Es mag zutreffen, dass bzgl. der Position einer Bilanzbuchhalterin der Arbeitsmarkt eine befristete Einstellung nicht hergibt. Es fehlt aber jeder Vortrag, dass die Beklagte diesbezüglich erfolglos Anstrengungen unternommen hätte. Warum die Stelle als Bilanzbuchhalterin nicht für maximal zwei Jahre durch eine Vertretungskraft besetzt werden kann, wird nicht erklärt.
Praxishinweis:
Die Kündigung ist im Übrigen auch gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam, da der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört wurde. Der notwendige Inhalt der Unterrichtung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG muss den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, sachgerecht, d.h. ggf. zugunsten des Arbeitnehmers auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers einzuwirken. Der Betriebsrat konnte die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe nicht überprüfen und sich über sie auch keine eigene Meinung bilden, weil die Beklagte den ihr bekannten und für sie entscheidenden Baustein (interne dauerhafte Nachbesetzung der Stelle der Klägerin) nicht mitgeteilt hat.
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