Anspruch auf Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung
Anspruch auf Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung bei einer Vorentscheidung
Ein Zwischenurteil, das im Streit um Ansprüche aus einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung die Feststellung enthält, die rechtskräftige Zurückweisung des Anspruchs für einen vorausgegangenen Versicherungsfall stehe einer erneuten Klage für einen Anschlusszeitraum nicht entgegen, ist nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz mit der Berufung anfechtbar. Wird mit der Klage behauptet, eine bestehende Erkrankung habe sich soweit verschlimmert, dass nunmehr Berufsunfähigkeit gegeben sei, steht dem die Rechtskraft einer ablehnenden Vorentscheidung auch dann nicht entgegen, wenn es für eine solche Verschlechterung an einer schlüssigen Darlegung fehlt.
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OLG Dresden, 04.07.2023, 4 U 2606/22
Sachverhalt:
Die Klägerin begehrt Leistungen aus einer bei der Beklagten gehaltenen Berufsunfähigkeitsversicherung. Zwischen der 1979 geborenen Klägerin und der Beklagten besteht seit dem 06.03.2003 eine fondsgebundene Lebensversicherung für den Todes- und Erlebensfall mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Dem Vertrag lagen die Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zugrunde. Die als Zahnarzthelferin ausgebildete Klägerin übte von 2008 bis Februar 2013 eine Tätigkeit als leitende Angestellte in einem zahntechnischen Labor aus. Vom 19.03.2012 bis zum 25.04.2012 befand sie sich wegen einer rezidivierenden depressiven Störung sowie einer Panikstörung in teilstationärer Behandlung im städtischen Krankenhaus-Neustadt, Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie. Sie wurde als arbeitsunfähig entlassen und nahm in der Folge ihre Tätigkeit bei dem Dentallabor nicht wieder auf. Im November 2012 nahm sie eine Nebentätigkeit als Klangtherapeutin/Entspannungstrainerin für Kinder auf, die sie bis heute fortführt. Ein weiterer stationärer Aufenthalt erfolgte vom 18.12.2013 – 31.01.2014 im Elblandklinikum unter der Diagnose Angst und depressive Störung. Anschließend wurde die Klägerin dort teilstationär vom 31.01.2014 bis zum 25.06.2014 behandelt. Am 13.03.2014 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Leistungsantrag wegen einer seit Dezember 2013 bestehenden Berufsunfähigkeit. Außerdem begann sie 2014 eine Ausbildung als Osteopathin, die sie im Sommer 2016 abbrach. Zumindest bis zu diesem Zeitpunkt war sie zudem nebenerwerblich bis zu drei Stunden täglich als Assistentin in einer osteopathischen Praxis tätig. Mit ihrer im Vorprozess im August 2015 erhobenen Klage begehrte sie eine monatliche Rentenzahlung ab dem 01.09.2015, Zahlung rückständiger Rente, Feststellung der Befreiung von der Beitragspflicht sowie Rückzahlung seit dem 01.01.2014 gezahlter Beiträge. Auf die Berufung der Beklagten wurde nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens mit dem Urteil des OLG vom 05.11.2019 der Anspruch abgewiesen. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin für den Zeitraum ab dem 01.08.2020 Zahlung rückständiger Rente und fortlaufend monatliche Rentenzahlung ab dem 01.10.2021, Freistellung von der Beitragspflicht sowie Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Das LG hat die Zulässigkeit der Klage mit dem angefochtenen Zwischenurteil gem. § 280 ZPO bejaht und zur Begründung darauf abgestellt, dass die materielle Rechtskraft des im Vorprozess ergangenen Urteils der Zulässigkeit der vorliegenden Klage nicht entgegenstehe. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.
Entscheidungsanalyse:
Der 4. Zivilsenat des OLG Dresden hat geurteilt, dass die Berufung zulässig ist. Nach Auffassung des Senats ist das Zwischenurteil nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz mit der Berufung anfechtbar, da es mit den Ausführungen zur Reichweite der materiellen Rechtskraft der im Vorprozess ergangenen Entscheidung nicht auf die Klärung einer prozessualen Vorfrage i.S.d. § 303 ZPO beschränkt, sondern seinem Inhalt nach eine Entscheidung über den materiellen Streitgegenstand trifft. Die Berufung sei jedoch unbegründet. Nach Überzeugung des OLG steht der Zulässigkeit der Klage auf Zahlung von Versicherungsleistungen aus der zwischen den Parteien bestehenden Berufsunfähigkeitsversicherung ab dem 01.08.2020 das klageabweisende Urteil des OLG vom 05.11.2019 wegen des behaupteten Eintritts eines neuen Versicherungsfalles nicht entgegen. Wenn mit der Klage behauptet wird, eine bestehende Erkrankung habe sich soweit verschlimmert, dass nunmehr Berufsunfähigkeit gegeben sei, steht dem nach Ansicht des Senats die Rechtskraft einer ablehnenden Vorentscheidung auch dann nicht entgegen, wenn es für eine solche Verschlechterung an einer schlüssigen Darlegung fehlt. Ob die mit der Klageschrift behaupteten Gesundheitsbeeinträchtigungen qualitativ und quantitativ gegenüber bereits im Vorprozess behaupteten, streitgegenständlichen Erkrankungen etwas Neues darstellen oder aber identisch und daher als ein Versicherungsfall anzusehen sind, über den bereits rechtskräftig entschieden wurde, kann nach Worten des Senats nur durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens hinreichend sicher beurteilt werden. Allerdings sei eine Beweiserhebung im Rahmen der Prüfung, ob die Klage auf Versicherungsleistungen wegen eines behaupteten neuen Versicherungsfalls zulässig sei, nicht geboten. Ob die Behauptung neuer Krankheiten unschlüssig ist, ist nach Ansicht des Senats keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit der neuen Klage, mit der sich das Zwischenurteil des LG nicht befasst und die daher nicht zu überprüfen ist. Die Berufung der Beklagten habe daher im Ergebnis keinen Erfolg.
Praxishinweis:
Nach der hier vom OLG Dresden vertretenen Auffassung sind grundsätzlich alle Umstände, die der Versicherungsnehmer zur Begründung der Berufsunfähigkeit anführte, von der Rechtskraft eines abweisenden Urteils erfasst, sodass der Versicherungsnehmer mit einer identischen Begründung nicht noch einmal klagen kann. Wird die Berufsunfähigkeit als nicht bewiesen betrachtet, so ist nach Worten des OLG eine neue Klage auf Leistungen für die Zeit nach der letzten mündlichen Verhandlung (nur) mit der Begründung zulässig, nunmehr läge Berufsunfähigkeit vor, weil der Gesundheitszustand sich verschlechtert habe. Dies sei durch Vergleich des früheren Gesundheitszustandes mit dem auf die Verschlechterung zurückzuführenden Gesundheitszustand zu ermitteln. Dagegen begründet allein die Änderung des Klagevortrags über den Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit aus Sicht des OLG noch keinen neuen Versicherungsfall (vgl. BGH, Beschluss vom 16.01.2008 – IV ZR 271/04).
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