Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers
Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers
In dem Fall geht es um die krankheitsbedingte außerordentliche Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers
Eine mit Auslauffrist ausgesprochene außerordentliche Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnisses kann gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer krankheitsbedingt auf Dauer außerstande ist, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Sofern eine dauernde Leistungsunfähigkeit nicht medizinisch festgestellt ist, bedarf es einer entsprechenden Negativprognose, die sich wiederum aus einer langanhaltenden Arbeitsunfähigkeit ergeben kann. Der Rückschluss von einer langanhaltenden Arbeitsunfähigkeit auf eine voraussichtlich dauernde Leistungsunfähigkeit ist im Regelfall erst dann möglich, wenn der Arbeitnehmer etwa 18 Monate ununterbrochen krank war.
Originalentscheidung auf Wolters Kluwer Online aufrufen:
LAG Mecklenburg-Vorpommern, 21.06.2022, 5 Sa 259/21
Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist. Der Kläger ist seit 2001 bei dem Beklagten beschäftigt. Laut Dienstvertrag gelten für das Dienstverhältnis die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR-DD) in der jeweils gültigen Fassung. Nach den AVR ist der Kläger ordentlich unkündbar. Der Kläger war ab dem Jahr 2011 aufgrund Krankheit mehrfach arbeitsunfähig (2011: 38 Tage; 2013: 66 Tage; 2015: 30 Tage; 2019: 236 Tage). Seit dem 04.06.2019 ist der Kläger ununterbrochen infolge Krankheit arbeitsunfähig. Mit den Schreiben vom 17.07.2019 und 04.10.2019 bot der Beklagte ihm ein betriebliches Eingliederungsmanagement an. Der Kläger antwortete nicht hierauf. Mit Schreiben vom 12.12.2019 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos mit Auslauffrist zum 30.06.2020, hilfsweise ordentlich zum nächstzulässigen Termin. Der Kläger ist der Auffassung, dass die Kündigung unwirksam ist, da eine anhaltende Erkrankung von rund 6 Monaten eine Kündigung nicht rechtfertigt, schon gar nicht unter Berücksichtigung des besonderen Kündigungsschutzes des Klägers. Das ArbG hat der Kündigungsschutzklage des Klägers stattgegeben. Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg.
Entscheidungsanalyse:
Die mit Auslauffrist ausgesprochene außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 12.12.2019 ist unwirksam, da ein wichtiger Grund im Sinne von § 32 Abs. 1 AVR-DD, § 626 Abs. 1 BGB nicht vorliegt. Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung ist ebenfalls unwirksam, da eine solche Kündigung gemäß § 30 Abs. 3 AVR-DD ausgeschlossen ist. Nach § 32 Abs. 1 AVR-DD kann das Dienstverhältnis bei Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne von § 626 BGB ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB kann sich auch aus einer Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ergeben. Danach kann die außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist eines ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer krankheitsbedingt auf Dauer außerstande ist, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen (BAG, Urteil vom 25.04.2018 – 2 AZR 6/18). Dieser Maßstab ist auch bei einer Kündigung nach § 32 AVR-DD heranzuziehen. Steht fest, dass der Arbeitnehmer in Zukunft die geschuldete Arbeitsleistung überhaupt nicht mehr erbringen kann, so ist schon aus diesem Grund das Arbeitsverhältnis auf Dauer ganz erheblich gestört. Sofern eine dauernde Leistungsunfähigkeit nicht medizinisch festgestellt ist, beispielsweise als Folge eines schweren Unfalls, bedarf es einer entsprechenden Negativprognose, die sich wiederum aus einer langanhaltenden Arbeitsunfähigkeit ergeben kann. Der Rückschluss von einer langanhaltenden Arbeitsunfähigkeit auf eine voraussichtlich dauernde Leistungsunfähigkeit ist im Regelfall erst dann möglich, wenn der Arbeitnehmer etwa 18 Monate ununterbrochen krank war (vgl. BAG, Urteil vom 13.05.2015 – 2 AZR 565/14). Zum Kündigungszeitpunkt war der Kläger noch nicht in einem Umfang von etwa 18 Monaten ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Vielmehr beliefen sich seine Fehlzeiten bei Zugang der Kündigung erst auf rund 6 Monate. Die Rechtmäßigkeit einer Kündigung ist anhand der zum Zeitpunkt des Zugangs gegebenen objektiven Verhältnisse zu beurteilen. Das gilt auch im Falle einer Kündigung, die auf eine Langzeiterkrankung gestützt wird. Die tatsächliche Entwicklung nach Kündigungsausspruch bis zum Ende der mündlichen Verhandlung kann nicht zur Bestätigung oder Korrektur der Prognose verwertet werden (BAG, Urteil vom 21.02.2001 – 2 AZR 558/99).
Praxishinweis:
Hat der Arbeitgeber im Falle einer langanhaltenden Arbeitsunfähigkeit durchgängige Fehlzeiten im Umfang von etwa 18 Monaten dargelegt, die eine dauernde Leistungsunfähigkeit indizieren, kann der Arbeitnehmer demgegenüber einwenden, dass nach ärztlicher Einschätzung jedenfalls in den nächsten 24 Monaten mit einer Genesung zu rechnen sei. Ist hingegen in den nächsten 24 Monaten eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nicht zu erwarten, kann von einer dauernden Leistungsunfähigkeit ausgegangen werden.
Wenn Sie Fragen zu einer Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers haben, dann nehmen Sie bitte Kontakt mit mir auf.