Bedeutung einer großen dynamischen Bezugnahmeklausel bei Tarifwechsel
Bedeutung einer großen dynamischen Bezugnahmeklausel bei Tarifwechsel
Eine Klausel im Arbeitsvertrag, wonach „im Übrigen die Bestimmungen des jeweils für das Unternehmen gültigen Tarifvertrages“ gelten sollen, ist in aller Regel als sogenannte große dynamische Bezugnahmeklausel auszulegen. Diese Bezugnahmeklauseln, die auch als Tarifwechselklauseln bezeichnet werden, sind im Arbeitsleben als Gestaltungsinstrument so weit verbreitet, dass ihre Aufnahme in Formulararbeitsverträge nicht überraschend ist. Sie verstoßen weder gegen das Transparenzgebot noch gegen das Nachweisgesetz. Vielmehr reicht die Bestimmbarkeit der anwendbaren Regelungen im Zeitpunkt der Anwendung.
Originalentscheidung auf Wolters Kluwer Online aufrufen:
LAG Thüringen, 17.01.2023, 1 Sa 273/21
Sachverhalt:
Die Parteien streiten um den Umfang der geschuldeten wöchentlichen Arbeitszeit sowie die Höhe der Bruttovergütung nach einem Tarifwechsel auf Arbeitgeberseite. Die Klägerin ist seit 1997 bei der Beklagten beschäftigt. Der Arbeitsvertrag verweist auf einen zur Zeit des Vertragsschlusses geltenden Tarifvertrag, der zum 30.09.2020 gekündigt wurde. Im Arbeitsvertrag heißt es außerdem: „Im Übrigen gelten die Bestimmungen des jeweils für das Unternehmen gültigen Tarifvertrages“. Die Festlegungen zur wöchentlichen Arbeitszeit (38,5 Stunden) und zum Tarifentgelt entsprachen den seinerzeit einschlägigen tariflichen Regelungen. Zum 04.12.2020 trat die Beklagte in den Landesverband Thüringen des Verkehrsgewerbes e.V. ein. Seit diesem Zeitpunkt ist sie an die von diesem Landesverband und ver.di, unter anderem für den Logistikbereich abgeschlossenen Tarifverträge gebunden. Nach diesem Manteltarifvertrag gilt eine regelmäßige monatliche Arbeitszeit von 173 Stunden. Sowohl im Manteltarifvertrag als auch im Entgelttarifvertrag ist eine Besitzstandsklausel geregelt. Nach dem Tarifwechsel betrug die regelmäßige Wochenarbeitszeit der Klägerin 40 Stunden und sie erhielt ein niedrigeres Gehalt. Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie ab dem 01.04.2021 weiterhin mit 38,5 Stunden wöchentlich zu beschäftigen und ihr weiterhin die bisherige Vergütung zu zahlen ist. Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg. Das LAG Thüringen hat allerdings die Revision zugelassen.
Entscheidungsanalyse:
Die Beklagte ist nicht verpflichtet, die Klägerin über den 01.04.2021 hinaus mit 38,5 Stunden wöchentlich zu beschäftigen. Sie kann auch nicht ihre vorherige Bruttovergütung verlangen. Denn bereits seit 04.12.2020 finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme die Tarifverträge für das Verkehrsgewerbe Anwendung. Durch die Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag finden mit Beitritt der Beklagten in den Landesverband Thüringen des Verkehrsgewerbes e.V. der MTV und der ETV mit den dort geregelten Arbeitszeitvolumina und Tarifentgelten Anwendung. Eine Klausel im Arbeitsvertrag, wonach „im Übrigen die Bestimmungen des jeweils für das Unternehmen gültigen Tarifvertrages“ gelten sollen, ist in aller Regel als sogenannte große dynamische Bezugnahmeklausel auszulegen. Diese Bezugnahmeklauseln, die auch als Tarifwechselklauseln bezeichnet werden, sind im Arbeitsleben als Gestaltungsinstrument so weit verbreitet, dass ihre Aufnahme in Formulararbeitsverträge nicht überraschend ist. Sie verstoßen weder gegen das Transparenzgebot noch gegen die Vorgaben aus § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 15 Nachweisgesetz. Danach genügt ein in allgemeiner Form gehaltener Hinweis auf die Tarifverträge, die auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sind. Die Bezugnahme auf einen konkret anzuwendenden Tarifvertrag ist dabei nicht erforderlich. Die im Zeitpunkt der jeweiligen Anwendung geltenden, in Bezug genommenen Regelungen sind durch die dynamische Bezugnahmeklausel bestimmbar, was für die Vorgaben des Nachweisgesetzes ausreichend ist (BAG, Urteil vom 20.06.2018 – 7 AZR 689/16). Eine detaillierte Angabe aller auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträge soll auch nach dem Willen des Gesetzgebers nicht erforderlich sein. Zur Begründung ihres Anspruchs auf Beibehaltung der bisherigen Bedingungen kann sich die Klägerin auch nicht auf die Besitzstandsklausel in § 22 MTV und § 7 ETV berufen. Diese Besitzstandsklauseln finden auf den vorliegenden Sachverhalt keine Anwendung. Sie erfassen solche Sachverhalte nicht, in denen diese Tarifverträge erst nachträglich aufgrund eines arbeitgeberseitigen Verbandswechsels kraft einzelvertraglicher Tarifwechselklausel im Arbeitsverhältnis Geltung erlangen.
Praxishinweis:
Mit der Klausel, wonach die „jeweils für das Unternehmen gültigen Tarifverträge“ gelten sollen, ist eine übliche Formulierung in Arbeitsverträgen. Das zeit- und inhaltsdynamische Element ergibt sich aus dem Wort „jeweils“. Es wird gerade nicht das Tarifwerk einer bestimmten Branche in Bezug genommen, sondern ersichtlich soll jeweils das Tarifwerk im Arbeitsverhältnis zur Anwendung kommen, welches für das Unternehmen „gültig“ ist. Diesem Verständnis steht die Formulierung „im übrigen“ am Satzanfang nicht entgegen. Allenfalls da, wo im Arbeitsvertrag von den tariflichen Regelungen abweichendes vereinbart ist, kann dies Bedeutung erlangen.