Stichtagsregelung für Sonderzahlung in AVR Caritas
Stichtagsregelung für Sonderzahlung in AVR Caritas
Stichtagsregelungen für Sonderzahlungen in kirchlichen Arbeitsvertragsregelungen, die auf dem Dritten Weg ausgehandelt worden sind, unterliegen mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG denselben Grenzen wie entsprechende Regelungen in Tarifverträgen.
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BAG, 08.09.2021, 10 AZR 322/19
Sachverhalt:
Die Parteien streiten nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses über eine anteilige Jahressonderzahlung. Der Kläger ist examinierter Altenpfleger. Er war vom 15.03.2010 bis zum 31.07.2017 als Wohnbereichsleiter bei der Beklagten beschäftigt. Nach § 2 des Arbeitsvertrags gelten für das Arbeitsverhältnis die „Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes“ (AVR Caritas) in ihrer jeweiligen Fassung. Nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten begründete der Kläger ohne zeitliche Unterbrechung ein Arbeitsverhältnis mit dem Caritasverband W. Der Arbeitsvertrag mit dem neuen Arbeitgeber nimmt ebenfalls Bezug auf die AVR Caritas in ihrer jeweils geltenden Fassung. Die Beklagte wendet auf das Arbeitsverhältnis die Besonderen Regelungen für Mitarbeiter im Pflegedienst in sonstigen Einrichtungen in Anlage 32 zu den AVR Caritas an. Nach § 16 Abs. 1 der Anlage 32 zu den AVR Caritas haben Mitarbeiter, die am 01.12. im Dienstverhältnis stehen, Anspruch auf eine Jahressonderzahlung. Die Zentrale Kommission der Zentral-KODA beschloss am 23.11.2016 die Ordnung über die Rechtsfolgen eines Dienstgeberwechsels im Geltungsbereich der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse. Danach soll bei jedem Wechsel von einem Dienstgeber im Bereich der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse zu einem anderen Dienstgeber im Bereich der Grundordnung, für den ein anderer arbeitsrechtlicher Regelungsbereich gilt (Wechsel in der Zuständigkeit der nach Art. 7 Grundordnung gebildeten Kommission), der oder die Beschäftigte auf Antrag vom bisherigen Dienstgeber die Jahressonderzahlung bzw. das Weihnachtsgeld beim Ausscheiden anteilig auch dann erhalten, wenn das Arbeitsverhältnis vor einem festgelegten Stichtag endet. Mit Schreiben vom 02.10.2017 beantragte der Kläger bei der Beklagten erfolglos eine anteilige Sonderzahlung für das Jahr 2017. ArbG und LAG haben die anschließende Klage abgewiesen. Auch die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
Entscheidungsanalyse:
Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf eine anteilige Jahressonderzahlung für das Jahr 2017. In § 2 des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrags sind die AVR Caritas wirksam in Bezug genommen. Auf das Arbeitsverhältnis sind die besonderen Regelungen der Anlage 32 zu den AVR Caritas anzuwenden. § 16 Abs. 1 der Anlage 32 zu den AVR Caritas enthält eine Stichtagsregelung, nach der Arbeitnehmer von dem Anspruch auf eine Jahressonderzahlung ausgenommen sind, die am 1. Dezember des betreffenden Jahres nicht in einem Dienstverhältnis stehen. Ein Anspruch auf eine anteilige Jahressonderzahlung ergibt sich auch nicht aus dem Beschluss der Zentralen Kommission der Zentral-KODA vom 23.11.2016. Die Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der neue Dienstgeber gehört zwar ebenfalls zum Bereich der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse. Für den neuen Dienstgeber des Klägers gilt jedoch kein anderer arbeitsrechtlicher Regelungsbereich iSd. Beschlusses der Zentralen Kommission der Zentral-KODA vom 23.11.2016. Ein Wechsel in der Zuständigkeit der nach Art. 7 Grundordnung gebildeten Kommission ist nicht gegeben. Der neue Dienstgeber gehört derselben Arbeitsrechtlichen Kommission an wie die Beklagte. Ein Wechsel des Dienstgebers ohne einen Wechsel der zuständigen Arbeitsrechtlichen Kommission wird vom Beschluss vom 23.11.2016 nicht erfasst. Die Stichtagsregelung in § 16 Abs. 1 der Anlage 32 zu den AVR Caritas verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 oder Art. 12 Abs. 1 GG. Stichtagsregelungen für Sonderzahlungen in kirchlichen Arbeitsvertragsregelungen, die auf dem Dritten Weg ausgehandelt worden sind, unterliegen denselben Grenzen wie entsprechende Regelungen in Tarifverträgen. Der Arbeitsrechtlichen Kommission kommt wie den Tarifvertragsparteien eine Einschätzungsprärogative zu. Sie bezieht sich auf die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen. Auch die Arbeitsrechtliche Kommission verfügt über einen weiten Gestaltungsspielraum für die inhaltliche Ausformung ihrer Regelungen, dessen Reichweite im Einzelfall von den Differenzierungsmerkmalen abhängt. Es ist nicht Sache der Gerichte zu prüfen, ob die Arbeitsrechtliche Kommission jeweils die gerechteste oder zweckmäßigste Regelung gefunden hat (BAG, Urteil vom 14.03.2019 – 6 AZR 90/18). Jedenfalls ist eine unterschiedliche Behandlung von Mitarbeitergruppen hier nach Auffassung des 10. Senats sachlich gerechtfertigt.
Praxishinweis:
Es kam hier nicht darauf an, ob die Parteien ein Schlichtungsverfahren nach § 22 Abs. 1 des Allgemeinen Teils der AVR Caritas durchgeführt haben. Nach § 22 Abs. 1 des Allgemeinen Teils der AVR Caritas sind Dienstgeber und Mitarbeiter verpflichtet, bei Meinungsverschiedenheiten, die sich bei der Anwendung der AVR Caritas oder aus dem Dienstverhältnis ergeben, zunächst die bei dem zuständigen Diözesancaritasverband errichtete Schlichtungsstelle anzurufen. Wird das Schlichtungsverfahren nicht durchgeführt, wäre eine Klage allenfalls unzulässig, wenn die Beklagte eine entsprechende Rüge erhoben hätte. Einen solchen Angriff hat die Beklagte hier nicht geführt. Es ist deshalb anzunehmen, dass die Parteien auf die Einhaltung des Schlichtungsverfahrens jedenfalls konkludent verzichtet haben (vgl. BAG, Urteil vom 11.11.2015 – 10 AZR 719/14).
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