Rückforderung eines Unfallversicherers bei Neubemessung der Invaliditätsleistung
Rückforderung eines Unfallversicherers bei Neubemessung der Invaliditätsleistung
Das Fehlen eines Neubemessungsvorbehalts in der Erklärung des Unfallversicherers über die Leistungspflicht zur Erstbemessung der Invalidität führt nicht zu seiner Bindung an diese Erklärung im Verfahren der Erstbemessung. Der Rückforderung einer Invaliditätsleistung aufgrund geänderter Erstbemessung der Invalidität kann aber der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegenstehen, wenn der Versicherer in der vorgenannten Erklärung den Eindruck erweckt, die Höhe der vertraglich geschuldeten Leistung endgültig klären zu wollen.
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BGH, 11.09.2019, IV ZR 20/18
Sachverhalt:
Die Parteien streiten über einen von der Beklagten im Wege der Widerklage geltend gemachten Anspruch auf teilweise Rückzahlung einer Invaliditätsleistung. Zwischen den Parteien besteht ein Vertrag über eine private Unfallversicherung. Diesem liegen die Allgemeinen UnfallversicherungsBedingungen 1999 (AUB 1999) zugrunde. Der Kläger erlitt im Jahr 2006 eine subdurale Gehirnblutung, die er auf ein Unfallereignis am 05.10.2006 zurückführt und wegen der er eine Invaliditätsleistung bei der Beklagten beanspruchte. Nachdem ärztliche Gutachten eingeholt worden waren, übersandte die Beklagte ihm ein Schreiben vom 22.10.2009. Die Beklagte zahlte die im Schreiben angegebene Leistung an den Kläger aus. Mit der Klage hat er eine weitergehende Invaliditätsleistung gefordert mit der Begründung, dass die Invalidität in Anbetracht seines Gesundheitszustandes, wie er in dem der Abrechnung der Beklagten zugrunde gelegten Gutachten festgehalten wurde, nicht mit 50 %, sondern mit 75 % zu bemessen sei. Das Landgericht hat hierzu Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben, nach dessen Vorlage die Beklagte im Wege der Widerklage Rückerstattung der gezahlten Invaliditätssumme begehrt hat. Das Landgericht hat die Klage und die Widerklage abgewiesen. Hiergegen hat nur die Beklagte Berufung eingelegt, die das Oberlandesgericht zurückgewiesen hat. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte das Widerklagebegehren noch in Höhe von 49.215,- Euro weiter und macht geltend, dass zum Stichtag, am 05.10.2007, eine Invalidität von nur 3,5 % bestanden habe.
Entscheidungsanalyse:
Der 4. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat geurteilt, dass der geltend gemachte Rückforderungsanspruch nicht deswegen ausgeschlossen ist, weil sich die Beklagte im Schreiben vom 22.10.2009 das Recht auf Neubemessung der Invalidität nicht gemäß Ziffer 9.4 Satz 3 AUB 1999 vorbehalten hat. Der Senat erläutert, dass die Erklärung des Unfallversicherers, ob und in welcher Höhe er einen Anspruch anerkennt, nach den Versicherungsbedingungen nur eine einseitige Meinungsäußerung des Versicherers und Information an den Anspruchsberechtigten ist, die die Fälligkeit der anerkannten Entschädigung herbeiführt, im Übrigen aber keine rechtsgeschäftliche, potentiell schuldbegründende oder schuldabändernde Regelung bewirken soll. Rechtsgrund der Invaliditätsleistung sei daher nicht die Erklärung des Unfallversicherers, dass er den Anspruch in einer bestimmten Höhe anerkennt, sondern weiterhin der Versicherungsvertrag. Wenn die ausgezahlte Invaliditätsleistung vertraglich nicht oder nicht in voller Höhe geschuldet ist, steht dem Unfallversicherer nach Worten des BGH daher grundsätzlich ein Herausgabeanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zu. Nach Überzeugung des Senats ist dieser Rückforderungsanspruch hier nicht deswegen ausgeschlossen, weil die Beklagte im Schreiben vom 22.10.2009 das Recht auf Neubemessung der Invalidität nicht gemäß Ziffer 9.4 Satz 3 AUB 1999 ausgeübt bzw. sich vorbehalten hat. Das ergebe die Auslegung von Ziffer 9.1 und 9.4 AUB 1999. Aus Sicht des Senats führt nämlich das Fehlen eines Neubemessungsvorbehalts im Sinne von Ziffer 9.4 Satz 3 AUB 1999 nicht zu einer Bindung des Unfallversicherers an die streitgegenständliche Erstbemessung der Invalidität. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer erkenne, dass das Vorbehaltserfordernis nicht die Erst-, sondern allein die Neubemessung der Invalidität betrifft. Hieraus werde er schließen, dass sich aus dem Vorbehaltserfordernis keine Folgen für die von der Neubemessung gerade zu unterscheidende Erstbemessung ableiten lassen. Bezogen auf den konkreten Fall stellt der BGH klar, dass dem Rückforderungsverlangen der Beklagten jedoch der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung gemäß § 242 BGB entgegensteht. Die Revision der Beklagten habe daher im Ergebnis keinen Erfolg.
Praxishinweis:
Nach der hier vom BGH vertretenen Auffassung kann einer Rückforderung einer Invaliditätsleistung aufgrund geänderter Erstbemessung der Invalidität der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegenstehen, wenn der Versicherer in der Erklärung nach Ziffer 9.1 Satz 1 AUB den Eindruck erweckt hat, die Höhe der vertraglich geschuldeten Leistung endgültig klären zu wollen. Im konkreten Fall hatte der beklagte private Unfallversicherer geschrieben, das ausdrücklich als solches bezeichnete „Abschlussgutachten“ liege nunmehr vor und er rechne den Unfallschaden in der im Schreiben angegebenen Höhe „abschließend“ ab. Mit diesen Formulierungen hat der Versicherer aus Sicht des BGH aktiv einen Vertrauenstatbestand geschaffen, die im Rahmen der Erstbemessung ermittelte Invaliditätsleistung nicht später aufgrund einer anderweitigen Erstbemessung zurückzufordern. Der BGH weist zur Begründung außerdem darauf hin, dass sich der Versicherungsnehmer aufgrund der überlegenen Sach- und Rechtskunde des Unfallversicherers in gesteigerter Weise auf dessen die Invaliditätsleistung betreffenden Erklärungen verlassen können muss.
Wenn Sie Fragen zur Rückforderung eines Unfallversicherers bei Neubemessung der Invaliditätsleistung haben, dann nehmen Sie bitte Kontakt mit mir auf.“