Für Zeitungsaustragen in Dauernachtarbeit ist ein Zuschlag zu zahlen
Für Zeitungsaustragen in Dauernachtarbeit ist ein Zuschlag zu zahlen
Der nach § 6 Abs. 5 ArbZG für Dauernachtarbeit geschuldete Ausgleich durch einen Zuschlag auf das Bruttoarbeitsentgelt erhöht sich bei Dauernachtarbeit regelmäßig auf 30 %. Der Vertrieb unterfällt bei nächtlicher Zustellung von Tageszeitungen dem Gewährleistungsbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Bei wertender Betrachtung ist es vor dem Hintergrund des Schutzzwecks von § 6 Abs. 5 ArbZG dennoch nicht gerechtfertigt, den Zuschlag unter den für Dauernachtarbeit angemessenen Regelwert von 30 % des Bruttoarbeitsentgelts zu senken.
Originalentscheidung auf Wolters Kluwer Online aufrufen:
BAG, 10.11.2021, 10 AZR 261/20
Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Höhe angemessener Nachtarbeitszuschläge nach § 6 Abs. 5 ArbZG. Die Beklagte ist eine Zeitungsvertriebs- und Servicegesellschaft. Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 2007 als Zeitungszustellerin beschäftigt. Auf Anweisung der Beklagten trug sie werktags bis spätestens 06:00 Uhr Tageszeitungen aus. Donnerstags und samstags stellte sie zudem Anzeigenblätter zu. Im Zeitraum von August bis November 2018 arbeitete sie regelmäßig an allen Werktagen mehr als zwei Stunden in der Zeit zwischen 01:30 Uhr und 06:00 Uhr. Die Beklagte vergütete die Arbeitsleistung mit dem gesetzlichen Mindestlohn. Daneben leistete sie einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 10 % auf den Bruttostundenlohn. Die Klägerin verlangt für die geleistete Nacharbeit insgesamt einen Zuschlag von 30 %. ArbG und LAG haben der Klage stattgegeben. Auch die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.
Entscheidungsanalyse:
Die Arbeitsstunden, die die Klägerin im Zeitraum von August bis November 2018 während der Nachtzeit geleistet hat, sind mit einem Zuschlag von insgesamt 30 % auf das Bruttoarbeitsentgelt zu vergüten. § 6 Abs. 5 ArbZG verpflichtet den Arbeitgeber, soweit eine tarifvertragliche Ausgleichsregelung nicht besteht, dem Nachtarbeitnehmer für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren. Die Regelungen in § 6 ArbZG dienen in erster Linie dem Schutz des Arbeitnehmers vor den schädlichen Folgen der Nacht- und Schichtarbeit. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG stellt ein Zuschlag in Höhe von 25 % auf das jeweilige Bruttostundenentgelt oder die Gewährung einer entsprechenden Zahl von bezahlten freien Tagen regelmäßig einen angemessenen Ausgleich für geleistete Nachtarbeit i.S.v. § 6 Abs. 5 ArbZG dar (vgl. BAG, Urteil vom 15.07.2020 – 10 AZR 123/19). Eine Erhöhung des Regelwerts auf 30 % kommt in Betracht, wenn die Belastung durch die Nachtarbeit unter qualitativen (Art der Tätigkeit) oder quantitativen (Umfang der Nachtarbeit) Gesichtspunkten die gewöhnlich mit der Nachtarbeit verbundene Belastung übersteigt. Ein solcher Fall ist typischerweise bei einer Arbeitsleistung in Dauernachtarbeit gegeben. Die Klägerin leistete im streitgegenständlichen Zeitraum Dauernachtarbeit. In diesem Fall war der angemessene Zuschlag in Höhe von 30 % auch nicht abzusenken, weil es sich bei der Zeitungszustellung um eine sog. leichte Tätigkeit handle. Die Höhe des angemessenen Nachtarbeitszuschlags richtet sich nicht nach der Schwere der vertraglich geschuldeten Tätigkeit. Der Zuschlag knüpft an das dem Nachtarbeitnehmer für die Nachtarbeit „zustehende“ Bruttoarbeitsentgelt an. Die Höhe des Zuschlags richtet sich nach der Gegenleistung, für die sie bestimmt ist. Auch die Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, auf die sich die Beklagte im Streitfall berufen kann, führt nicht dazu, die Zuschläge nach § 6 Abs. 5 ArbZG in der regelmäßig anfallenden Höhe abzusenken. Der 10. Senat hat hier zwar unterstellt, dass der Vertrieb von Tageszeitungen durch Botenzustellung zur Nachtzeit auch noch im Streitzeitraum zu den für funktionierende freie Medien notwendigen Hilfstätigkeiten gehörte und damit dem Gewährleistungsbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG unterfiel. Bei wertender Betrachtung ist es vor dem Hintergrund des Schutzzwecks von § 6 Abs. 5 ArbZG dennoch nicht gerechtfertigt, den Zuschlag unter den für Dauernachtarbeit angemessenen Regelwert von 30 % des Bruttoarbeitsentgelts zu senken. Der Zuschlag von bis zu 30 % dient dem verfassungsrechtlich besonders wichtigen Ziel des Gesundheitsschutzes. Dabei handelt es sich um ein überragend wichtiges Gemeinwohlziel von Verfassungsrang.
Praxishinweis:
Die Angemessenheit des Ausgleichs nach § 6 Abs. 5 ArbZG hängt auch nicht davon ab, ob die Nachtarbeit in Vollzeit oder in Teilzeit ausgeführt wird. Ein Nachtarbeitnehmer i.S.v. § 2 Abs. 2 und 5 ArbZG hat nach § 6 Abs. 5 ArbZG Anspruch auf einen angemessenen Ausgleich immer dann, wenn seine Arbeit mehr als zwei Stunden der in § 2 Abs. 3 ArbZG definierten Nachtzeit umfasst. Auch für die Angemessenheit des Ausgleichs für Dauernachtarbeit kann es deshalb nicht darauf ankommen, ob der Arbeitnehmer während der gesamten Nachtzeit i.S.v. § 2 Abs. 3 ArbZG gearbeitet hat. Die besondere Belastung durch Dauernachtarbeit folgt typischerweise daraus, dass die Nachtarbeit über lange Zeiträume hinweg in Anspruch genommen wird.
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