Leiharbeit – Finanzielle Abgeltung für nicht genommenen Urlaub
Leiharbeit – Finanzielle Abgeltung für nicht genommenen Urlaub
Die Leiharbeitnehmern gezahlte Abgeltung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub und das entsprechende Urlaubsgeld muss mindestens der entsprechen, die sie erhalten würden, wenn sie von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz und für die gleiche Beschäftigungsdauer eingestellt worden wären.
Im Oktober 2017 schlossen zwei Arbeitnehmer mit Luso Temp Leiharbeitsverträge, auf deren Grundlage sie dann einem entleihenden Unternehmen überlassen wurden. Die Überlassung endete zwei Jahre später. Die Arbeitnehmer erhoben gegen Luso Temp Klage auf Zahlung der für die Zeit, in der sie bei dieser Gesellschaft beschäftigt waren, als bezahlter Jahresurlaub und Urlaubsgeld geschuldeten, aber nicht gezahlten Beträge. Sie meinen, dass sich der bezahlte Jahresurlaub und das entsprechende Urlaubsgeld nach der allgemeinen Regelung für bezahlten Jahresurlaub richteten. Luso Temp vertritt hingegen die Auffassung, dass insoweit die für Leiharbeitnehmer geltende Spezialregelung für bezahlten Urlaub maßgeblich sei. Danach hätten die Arbeitnehmer Anspruch auf weniger bezahlten Urlaub und Urlaubsgeld als wenn sie von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar für denselben Zeitraum und den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären.
Das Bezirksgericht Braga, Arbeitsgericht Barcelos (Portugal), fragt sich, ob diese Spezialregelung mit der Richtlinie über Leiharbeit (RL 2008/104/EG) vereinbar ist. Es weist insoweit darauf hin, dass die Spezialregelung zwischen Leiharbeitnehmern, die einem entleihenden Unternehmen für einen Zeitraum von zwölf oder mehr Monaten oder für einen Zeitraum, der im Laufe eines Kalenderjahres beginne und erst zwei oder mehr Kalenderjahre später ende, überlassen würden, und den Arbeitnehmern, die von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar eingestellt worden seien, insoweit eine Ungleichbehandlung einführe, als sich der Anspruch der Leiharbeitnehmer auf bezahlten Urlaub und das entsprechende Urlaubsgeld stets anteilig nach der Dauer ihrer Beschäftigung richte, während die Arbeitnehmer, die von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden sind, unter sonst gleichen Bedingungen in den Genuss der günstigeren allgemeinen Regelung kommen könnten. Zu einer solchen Ungleichbehandlung komme es allerdings nicht, wenn die Dauer der Beschäftigung unter zwölf Monaten liege oder wenn das Arbeitsverhältnis im Laufe eines Kalenderjahres beginne und im Laufe des folgenden Kalenderjahres ende.
Die portugiesische Regierung macht geltend, dass die Spezialregelung weder die Modalitäten und spezifischen Regeln für die Berechnung des Urlaubs der Leiharbeitnehmer noch die Auswirkungen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf den Urlaubsanspruch regele. Deshalb komme die allgemeine Regelung zum Tragen, die unabhängig von der Art des Vertragsverhältnisses Anwendung finde, auch auf Leiharbeitnehmer, und hinsichtlich der Berechnung des bezahlten Urlaubs und der Auswirkungen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf den Urlaubsanspruch besondere Fälle vorsehe.
In seinem Urteil entscheidet der Gerichtshof, dass die Richtlinie einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die Abgeltung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub und das entsprechende Urlaubsgeld, auf die Leiharbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit einem entleihenden Unternehmen Anspruch haben, geringer ist als die Abgeltung, auf die sie in einer solchen Situation aus demselben Grund Anspruch hätten, wenn sie von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz und für die gleiche Beschäftigungsdauer eingestellt worden wären.
Der Gerichtshof stellt fest, dass der Begriff „wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ im Sinne der Richtlinie eine Abgeltung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub und das entsprechende Urlaubsgeld, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer wegen der Beendigung des Leiharbeitsverhältnisses zu zahlen hat, umfasst.
Zur Tragweite des Grundsatzes der Gleichbehandlung stellt der Gerichtshof fest, dass für Leiharbeitnehmer nach der Richtlinie während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen zumindest die gleichen wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gelten müssen wie diejenigen, die für sie gelten würden, wenn sie von dem betreffenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären.
Das nationale Gericht wird zu prüfen haben, ob dieser Grundsatz eingehalten wird. Bei der Bestimmung der Höhe der Abgeltung, auf die betreffenden Arbeitnehmer Anspruch haben, wird es in diesem Zusammenhang insbesondere zu prüfen haben, ob im vorliegenden Fall – wie die portugiesische Regierung geltend macht – die allgemeine Urlaubsregelung anwendbar ist, da der Ausdruck „anteilig nach der Dauer ihrer Beschäftigung“ in Verbindung mit den übrigen Vorschriften der allgemeinen Urlaubsregelung zu sehen ist. Wäre dies der Fall, wäre nämlich kein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung festzustellen.
Originalentscheidung auf Wolters Kluwer Online aufrufen:
EuGH, 12.05.2022, C 426/20
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