Keine Verpflichtung zur Angabe eines bloßen Lampenfiebers
Keine Verpflichtung zur Angabe eines bloßen Lampenfiebers
Das Erfordernis einer gesonderten Belehrung über die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung bei Beantragung einer Berufsunfähigkeitsversicherung ist nur dann gewahrt, wenn die Belehrung in unmittelbarer Nähe zu den Gesundheitsfragen erfolgt und so gefasst ist, dass sie ein durchschnittlich aufmerksamer Versicherungsnehmer schlechterdings nicht übersehen kann. Fragt der Versicherer nach „Krankheiten oder Beschwerden“, so muss ein bloßes Lampenfieber unterhalb der Schwelle zur krankhaften Prüfungsangst nicht angegeben werden, auch wenn es Anlass dafür war, einen Arzt aufzusuchen.
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OLG Dresden, 06.12.2022, 4 U 1215/22
Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Leistungen aus einer am 25.06.2013 policierten Berufsunfähigkeitszusatzversicherung in Anspruch. Am 18.06.2013 beantragte sie bei der Beklagten den Abschluss einer Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeit-Zusatzversicherung. Die Klägerin vermittelte sich diesen Vertrag selbst und füllte den Antrag auch selbst aus, wobei sie die Gesundheitsfragen jeweils verneinte. Die Beklagte nahm Ermittlungen zu ihrem Gesundheitszustand auf und sprach mit Schreiben vom 10.10.2016 eine rückwirkende Vertragsanpassung aus, mit der Ansprüche wegen Berufsunfähigkeit rückwirkend ab Vertragsbeginn aus dem Versicherungsschutz ausgeschlossen wurden, sofern psychische und/oder psychosomatische Erkrankungen oder nachgewiesene Folgen dieses Leidens die Ursache der Berufsunfähigkeit bilden. Das LG hat Beweis u.a. durch Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens sowie schriftliche Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte erhoben und die Beklagte im Anschluss hieran vollumfänglich zur Leistung aus dem Versicherungsvertrag verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin als sei auf der Grundlage der Feststellungen des Sachverständigen als bedingungsgemäß berufsunfähig wegen einer psychischen Erkrankung anzusehen. Sie habe zwar objektiv Falschangaben im Rahmen des Versicherungsantrages gemacht, indem sie verschwiegen habe, dass sie, als damals 18-jährige Abiturientin im Zeitraum zwischen Juni und September 2008, und damit im nach den Antragsunterlagen maßgeblichen Fünf-Jahres-Zeitraum von ihrer Hausärztin eine Überweisung zu einem Psychotherapeuten erhalten und von diesem anschließend in fünf probatorischen Sitzungen untersucht worden sei, bevor dieser entschieden habe, dass eine Behandlung des Lampenfiebers, das Anlass für die Überweisung gewesen sei, nicht erforderlich sei. Hierin liege eine nach den Antragsfragen mitteilungspflichtige Behandlung. Die Klägerin sei auch ordnungsgemäß über ihre vorvertragliche Anzeigepflicht belehrt worden. Die Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflichten sei aber gemäß § 19 Abs. 4 S. 2 VVG unverschuldet erfolgt. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.
Entscheidungsanalyse:
Der 4. Zivilsenat des OLG Dresden hat geurteilt, dass der Klägerin der geltend gemachte Anspruch aus dem Versicherungsvertrag zusteht. Zur Begründung weist der Senat zunächst darauf hin, dass die Klägerin infolge einer posttraumatischen Belastungsstörung auf Dauer zu mehr als 50% in ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt und damit berufsunfähig im Sinne der Versicherungsbedingungen ist. Dies stehe aufgrund der Beweisaufnahme fest. Der Senat betont zudem, dass die von der Beklagten ausgesprochene Vertragsänderung nicht rückwirkend zu einer Anpassung des Versicherungsvertrages mit Wirkung auch für den streitgegenständlichen Leistungsfall geführt hat. Nach Ansicht des OLG liegen hier zwar die formellen Voraussetzungen für eine solche Anpassung vor. Das Erfordernis einer gesonderten Mitteilung über die Folgen einer Anzeigeverletzung ist bei einer Belehrung auf dem Antragsformular nach Worten des Senats nur gewahrt, wenn die Belehrung in unmittelbarer Nähe zu den Gesundheitsfragen erfolgt und drucktechnisch so hervorgehoben wird, dass sie ein durchschnittlich aufmerksamer Versicherungsnehmer schlechterdings nicht übersehen kann. Dies sei hier der Fall. Aus Sicht des Senats fehlt es hier jedoch an einem Anpassungsgrund im Sinne des § 19 Abs. 4 S. 2 VVG. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme sei außerdem bereits zweifelhaft, ob der Klägerin eine unzutreffende Beantwortung der Frage 6.14 nach “ Krankheiten, Funktionsstörungen, Beschwerden, Behandlungen der Psyche“ zur Last falle. Wenn der Versicherer nach „Krankheiten oder Beschwerden“ fragt, muss ein bloßes Lampenfieber unterhalb der Schwelle zur krankhaften Prüfungsangst nach Ansicht des OLG nicht angegeben werden, auch wenn es Anlass dafür war, einen Arzt aufzusuchen. Ein alterstypisch ausgeprägtes „Lampenfieber“ einer Abiturientin unterhalb der Schwelle zur krankhaften Prüfungsangst stelle keine Krankheit im Sinne der Berufsunfähigkeitsversicherung und keine „Beschwerde“ der Psyche dar. Der Senat weist zudem darauf hin, dass die Klägerin hier zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft gemacht hat, den in der Vergangenheit erfolgten Arztkontakt bei einer Psychologin vergessen zu haben. Daher kann ihr aus Sicht des Senats auch dann keine Verletzung der Anzeigepflicht vorgeworfen werden, wenn sie es fahrlässig unterlassen hat, ihr Erinnerungsvermögen durch Einsicht in vorhandene Unterlagen oder Rückfragen bei Dritten angespannt zu haben. Die Berufung der Beklagten habe daher im Ergebnis keinen Erfolg.
Praxishinweis:
Das OLG Dresden macht in diesem Urteil auch deutlich, dass ein Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht nicht bereits dann verletzt, wenn er einen Umstand nicht angibt, der ihm aufgrund von Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist (BGH, Hinweisbeschluss vom 25.09.2019 – IV ZR 247/18). Fahrlässige Unkenntnis, wie sie hier möglicherweise vorliegt, kann daher die fehlende Kenntnis eines anzeigepflichtigen Umstandes nicht ersetzen.
Wenn Sie Fragen zum Thema: Keine Verpflichtung eines Versicherungsnehmers zur Angabe eines bloßen Lampenfiebers haben, dann nehmen Sie bitte Kontakt mit mir auf.