Beweislast für unfallbedingte Invalidität in privater Unfallversicherung
Beweislast für eine unfallbedingte Invalidität in der privaten Unfallversicherung
In der privaten Unfallversicherung obliegt die Beweislast für das Vorliegen einer unfallbedingten Invalidität dem Versicherungsnehmer. Für die konkrete Ausgestaltung des Gesundheitsschadens und seiner Dauerhaftigkeit gilt der Maßstab des § 286 ZPO. Dafür, ob der unfallbedingte Gesundheitsschaden für die bewiesene Invalidität ursächlich war, ist die Beweiserleichterung des § 287 ZPO anwendbar.
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OLG Dresden, 06.09.2023, 4 U 563/23
Sachverhalt:
Der Kläger begehrt Leistungen aus einer bei der Beklagten gehaltenen Unfallversicherung. Nach dem Inhalt des Versicherungsscheins vom Dezember 2014 zahlt die Beklagte 70.000 Euro Invaliditäts-Kapitalleistung (Grundsumme), 245.000,- Euro bei Vollinvalidität durch Progression 350 %, Invaliditätsgrade gemäß Extra-Taxe, 1.000,- Euro pro Monat als lebenslange Unfallrente, 5.000,- Euro für den Todesfall sowie 50,- Euro Krankenhaus-Tagegeld. Der Versicherung lagen die Klausel 0655 und die Bedingungen zur Unfallversicherung „L“ zugrunde. Der Kläger erlitt im August 2017 einen Fahrradunfall, der eine Fraktur eines Brustwirbelkörpers (BWK2) zur Folge hatte. Diese wurde im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthaltes im Uniklinikum L. im Zeitraum vom 14.08.-28.08.2017 operativ behandelt. Ob durch den Sturz über den Fahrradlenker weitere Gesundheitsbeeinträchtigungen eintraten und gegebenenfalls, welche dauerhafte Einschränkungen daraus resultieren, ist zwischen den Parteien streitig. Der Kläger hat den Eintritt der bedingungsgemäßen Vollinvalidität geltend gemacht und begehrt deshalb die Zahlung der infolge Progression erhöhten Grundsumme von 245.000,- Euro sowie einer monatlichen Unfallrente von 1.000,- Euro ab dem Unfallmonat. Die Beklagte hat unter Anerkennung der Verletzung der Brustwirbelsäule einen Invaliditätsgrad von 25 % angenommen und einen Betrag in Höhe von 17.500 Euro sowie weitere 750,- Euro Krankenhaustagegeld ausgezahlt. Das LG hat die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung,
Entscheidungsanalyse:
Der 4. Zivilsenat des OLG Dresden hat entschieden, dass dem klagenden Versicherungsnehmer kein Anspruch aus dem Unfallereignis vom August 2017 über die von der Beklagten bereits geleisteten Zahlungen auf weitere Invaliditätsleistungen aus dem privaten Unfallversicherungsvertrag zusteht. Nach den Versicherungsbedingungen müsse die dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit durch den Unfall herbeigeführt sein. Der Senat erläutert, dass zu Feststellung unfallbedingter Invalidität ein Kausalzusammenhang zwischen der durch das Unfallereignis hervorgerufenen Gesundheitsschädigung und der dauernden Funktionsbeeinträchtigung bestehen muss. Nach Überzeugung des OLG obliegt hierbei die Beweislast für das Vorliegen einer unfallbedingten Invalidität dem Versicherungsnehmer. Nach Worten des Senats gilt für die konkrete Ausgestaltung des Gesundheitsschadens und seiner Dauerhaftigkeit der Maßstab des § 286 ZPO und dafür, ob der unfallbedingte Gesundheitsschaden für die bewiesene Invalidität ursächlich war, die Beweiserleichterung des § 287 ZPO. Für Letzteres genüge eine überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit, dass der Dauerschaden in kausalem Zusammenhang mit dem Unfallereignis steht. Der Senat betont, dass im konkreten Fall alleinige unfallbedingte erste Gesundheitsschädigung die Wirbelkörperfraktur in Form eines Sinterungsbruches des 2. Brustwirbelkörpers ist, die operativ versorgt wurde und wegen der daraus resultierenden dauerhaften Bewegungseinschränkung im Bereich der Brustwirbelsäule nebst festgestellter Höhenminderung zu einer außerhalb der Gliedertaxe zu bemessenden Invalidität im Umfang von 25 % führte. Der Kläger habe hingegen den Eintritt einer unfallbedingten Verletzung der Halswirbelsäule (HWS) als Primärschaden nicht mit dem hierfür erforderlichen Beweismaß des § 286 ZPO nachgewiesen. Aus Sicht des OLG ist dem Kläger auch der ihm nach den oben angeführten Grundsätzen obliegende Beweis nicht gelungen, dass bei ihm im weiteren Verlauf aufgetretene und ggf. noch vorliegende Beschwerden der HWS auf dem Unfallereignis oder einer unfallbedingten Verletzung beruhen. Nach Ansicht des Senats hat der Kläger auch den Eintritt eines Schädel-Hirn-Traumas als eine durch den Fahrradsturz bewirkte Primärschädigung nicht nach § 286 BGB nachgewiesen. Auch habe er nicht nach § 287 BGB nachgewiesen, dass die geltend gemachten beidseits bestehenden Taubheitsempfindungen und Bewegungseinschränkungen von Schultern/Arm/Hals/Nacken sowie des Wurzelreizsyndroms unfallbedingt dauerhaft eingetreten seien. Nach Überzeugung des OLG hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Leistungen wegen der geltend gemachten Schädigung seines Gehörs, des Auftretens von Schwindel und Gleichgewichtsstörungen. Das OLG ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat.
Praxishinweis:
In Bezug auf ein behauptetes Auftreten einer Hochtonstörung mit Tinnitus nach einem Unfall weist das OLG Dresden in dieser Entscheidung auch darauf hin, dass dem Sachverständigen zufolge bestimmte Plausibilitätskriterien erfüllt sein müssen. Danach muss ein Ohrgeräusch unmittelbar nach dem Unfall vorliegen. Es muss konstant sein und nicht nur in Ruhe vorliegen. Das Ohrgeräusch muss außerdem mit Tönen oder Geräuschen über der Hörschwelle verdeckbar sein, und schließlich muss es fixiert d. h. frequenzstabil vorliegen. Nach Auffassung des OLG ist zudem die Bewertung, ob Gesundheitsbeeinträchtigungen beim Versicherungsnehmer vorliegen, dem medizinischen Sachverständigen vorbehalten und nicht im Wege des Zeugenbeweises zu klären (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 19.07.2017 – 5 U 61/17).
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