Anrechnung anderweitigen Verdienstes bei Freistellung
Anrechnung anderweitigen Verdienstes bei Freistellung
Wird ein Arbeitnehmer bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Fortzahlung der Vergütung, jedoch unter Anrechnung von Urlaub und Freizeitausgleich, einvernehmlich freigestellt, ohne dass eine ausdrückliche Regelung zur Anrechnung während der Freistellung anderweitig erzielten Verdienstes getroffen wird, ergibt sich auch aus einer ebenfalls vereinbarten „Sprinterklausel“ allein keine Anrechnung.
Originalentscheidung auf Wolters Kluwer Online aufrufen:
LAG Hamm, 13.05.2020, 6 Sa 1940/19
Sachverhalt:
Die Parteien streiten im Rahmen einer Vergütungsklage über die Frage, ob sich der Kläger während eines vertraglich vereinbarten Freistellungszeitraums anderweitig erzielten Verdienst anrechnen lassen muss. Der Kläger war seit 1982 bei der Beklagten beschäftigt. Zum 30.04.2019 vereinbarten die Parteien die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses. Im Aufhebungsvertrag vom 12.09.2018 war u.a. vereinbart, dass der Kläger ab dem 21.09.2018 unter Anrechnung aller noch bestehenden Urlaubsansprüche sowie Zeitguthaben aus dem Arbeitszeitkonto unter Fortzahlung des monatlichen Entgelts unwiderruflich von der Arbeit freigestellt wird. In Ziffer 5 des Aufhebungsvertrages wurde außerdem eine so genannte Sprinterklausel vereinbart, wonach der Kläger vorzeitig ausscheiden konnte und einen Teil der Vergütung, die noch zu zahlen wäre, als Abfindung erhält. Ab dem 07.01.2019 nahm der Kläger eine Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber auf und teilte dies der Beklagten zuvor mit. Der Kläger erzielt insoweit monatlich ein höheres Einkommen als bei der Beklagten. Die Beklagte zahlte für Januar 2019 bis April 2019 keine Vergütung. Über diese Vergütungsansprüche streiten die Parteien. Das Arbeitsgericht hat der Zahlungsklage des Klägers stattgegeben. Auch die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
Entscheidungsanalyse:
Der Kläger hat für die Monate Januar bis April 2019 Anspruch auf Vergütung in Höhe der vereinbarten Bruttomonatsvergütung. Der Kläger muss sich den Verdienst aus dem zum 07.01.2019 begründeten Arbeitsverhältnis nicht gemäß § 615 Satz 2 BGB anrechnen lassen. Auf Grundlage des Aufhebungsvertrages war der Kläger ab 21.09.2018 bis zum Ablauf des 30.04.2019 unter Anrechnung aller noch bestehenden Urlaubsansprüche sowie Zeitguthaben aus dem Arbeitszeitkonto unter Fortzahlung des monatlichen Entgelts in Höhe eines ausdrücklich bezifferten Betrags bezahlt von der Arbeit freigestellt. Dementsprechend folgt der monatliche Vergütungsanspruch des Klägers direkt aus dem Aufhebungsvertrag und nicht aus § 615 Satz 1 BGB. Da der Kläger aufgrund der vereinbarten Freistellung nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet gewesen ist, befand sich die Beklagte im Zeitraum vom 21.09.2018 bis zum Ablauf des 30.04.2019 nicht in Annahmeverzug. Eine Anwendbarkeit der Regelung in § 615 Satz 2 BGB scheidet demnach aus. Außerhalb des Anwendungsbereichs der Regelung in § 615 Satz 2 BGB haben die Parteien vertraglich keine Anrechnung anderweitig erzielten Verdienstes vereinbart. Wird vertraglich eine Freistellung des Arbeitnehmers bestimmt, kommt es für die Frage der Anrechnung eines anderweitigen Verdienstes vorrangig auf die Auslegung des Vertrags an (BAG, Urteil vom 17.10.2012 – 10 AZR 809/11). Dem Wortlaut des Aufhebungsvertrags ist hier bzgl. der Frage der Anrechnung anderweitig erzielten Einkommens nichts zu entnehmen, weder ausdrücklich noch konkludent. Auch die im Aufhebungsvertrag vereinbarte Sprinterklausel spricht nicht für eine Anrechnung. Trotz der Sprinterklausel stand es dem Kläger frei, nicht von der vorzeitigen Beendigungsmöglichkeit Gebrauch zu machen, sondern das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Beendigungsfrist am 30.04.2019 bestehen zu lassen und ohne Auswirkungen auf die Vergütungspflicht der Beklagten parallel während der Freistellungsphase ein neues Anstellungsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber zu begründen.
Praxishinweis:
Der Aufhebungsvertrag enthielt hier keine Pflicht, im Falle des Antritts einer Anschlussbeschäftigung in jedem Fall das Arbeitsverhältnis zur Beklagten aufzulösen. Aus der Sprinterklausel des Aufhebungsvertrages ergibt sich, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers im Falle der vorzeitigen Aufnahme einer Anschlussbeschäftigung nicht vorzeitig enden musste. Vielmehr ist mit der Sprinterklausel eine Option geregelt. Es ist gerade eben nicht eine Pflicht geregelt, sondern lediglich ein Recht. Jedenfalls als Optionsregelung enthält die Sprinterklausel keinen hinreichend deutlichen Hinweis darauf, dass sich der Kläger bei Nichtnutzung der Option anderweitigen Verdienst entgegen der im Übrigen getroffenen Freistellungsvereinbarung anrechnen lassen musste.
Wenn Sie Fragen zur Anrechnung anderweitigen Verdienstes bei Freistellung haben, dann nehmen Sie bitte Kontakt mit mir auf.