Berufsunfähigkeit eines mitarbeitenden selbständigen Friseurmeisters
Berufsunfähigkeit eines mitarbeitenden selbständigen Friseurmeisters
Eine Umorganisation seines Betriebes, die bei einem mitarbeitenden selbständigen Friseurmeister dazu führt, dass die zuvor in erheblichem Umfang ausgeübte handwerkliche Tätigkeit vollständig wegfällt, ist ihm auch dann nicht zumutbar, wenn es sich um einen größeren Betrieb (hier: bis zu 10 festangestellte Friseure und insgesamt 15-19 Mitarbeiter) handelt.
Originalentscheidung auf Wolters Kluwer Online aufrufen:
OLG Dresden, 22.02.2022, 4 U 1585/21
Sachverhalt:
Der im Jahr 1966 geborene Kläger ist von Beruf Friseurmeister und schloss mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten zum 01.02.2002 eine Berufsunfähigkeitsversicherung ab, die zum 31.01.2027 planmäßig endet. Der Kläger ist seit 1993 als selbständiger Friseurmeister tätig. Zuletzt betrieb er von 2003 bis 2015 einen Salon, in dem er wechselnd ca. 15 bis 19 Mitarbeiter beschäftigte, darunter durchschnittlich drei Lehrlinge pro Jahr, zwei Rezeptionistinnen und eine Kosmetikerin. Zuletzt zahlte er Beiträge in Höhe von 146,49 Euro monatlich und hatte eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.091,00 Euro zzgl. 545,50 Euro Bonusrente zu erwarten. Im Januar 2004 wurde der Kläger an der linken Hand wegen Fibromatose der Strecksehnen (gutartige Bindegewebswucherung) operiert. Am 18.07.2014 stellte er sich u. a. wegen Schmerzen in beiden Armen, die von der Halswirbelsäule bis in die Hände zögen und links stärker seien, bei seinem Hausarzt vor. Es wurde Arbeitsunfähigkeit festgestellt, und seine Krankentagegeldversicherung erbrachte daraufhin Leistungen. Diese teilte im Juli 2015 mit, dass sie die Zahlungen wegen Vorliegens von Berufsunfähigkeit einstellen werde. Der Kläger stellte daraufhin um Juli 2015 einen Antrag bei der Beklagten auf Zahlung von Berufsunfähigkeitsrente. Die Beklagte lehnte ihre Eintrittspflicht mit Schreiben vom 28.09.2015 mit der Begründung ab, es sei dem Kläger eine Umorganisation seiner beruflichen Tätigkeiten möglich. Das LG hat der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.
Entscheidungsanalyse:
Der 4. Zivilsenat des OLG Dresden hat geurteilt, dass dem Kläger gemäß §§ 1, 3 AVB BUV gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente aus der Berufsunfähigkeitsversicherung vom 10.01.2002 in Höhe von 1.636,50 Euro monatlich (1.091,00 Euro und Bonusrente von 545,50 Euro) sowie auf Rückzahlung der monatlichen Beiträge in Höhe von 146,49 Euro für die Zeit der Berufsunfähigkeit seit dem 01.08.2015 zusteht. Nach Überzeugung des Senats ist dem Kläger nämlich der Beweis dafür gelungen, dass bei ihm Berufsunfähigkeit im Juli 2015 eingetreten ist. Er habe sein Berufsbild ebenso wie die Einschränkungen in der Berufsausübung, die sich aus seiner Erkrankung ergeben, schlüssig dargelegt und bewiesen. Aus Sicht des OLG ist dem Kläger auch der Beweis dafür gelungen, dass er seit August 2015 bedingungsgemäß berufsunfähig und zu mindestens 50 % außerstande ist, seinem zuletzt vor Eintritt dieses Zustands ausgeübten Beruf nachzugehen. Der Senat erläutert, dass der Sachverständige hier zwar keine Diagnose nach dem ICD-Schlüssel festgehalten hat. Nach Auffassung des Senats kann die Annahme von Berufsunfähigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen jedoch auch dann auf ein an die konkrete Berufstätigkeit anknüpfendes Gutachten gestützt werden, wenn dieses keine Diagnose nach dem ICD-Schlüssel enthält. Denn nach § 1 Abs. 1 AVB komme es primär auf die Unfähigkeit zur Berufsausübung und nur sekundär auf das genaue Krankheitsbild an. Nach Auffassung des Senats ist dem Kläger darüber hinaus auch eine Umorganisation seines Betriebes nicht zumutbar gewesen. Der Senat weist darauf hin, dass der Kläger im konkreten Fall die handwerklichen Leistungen eines Friseurmeisters nicht erbringen kann und damit 76 % der Leistungen, die er bislang erbracht hat. Eine Umorganisation seines Arbeitsfeldes und Beschränkung seiner Betätigung auf organisatorische Aufgaben und die Rezeption sei ihm nicht zumutbar. Aus Sicht des Senats ist es nämlich einem Friseur als Betriebsinhaber nicht möglich, seine Mitarbeiter zu schulen, qualifiziert fortzubilden und auf die Einhaltung von Qualitätsstandards, insbesondere bei neuen Modetrends, zu achten, wenn er selbst praktisch nicht mehr tätig ist und allenfalls theoretische Anweisungen erteilen kann. Dies schließe eine Umorganisation, für die der zuvor ausschließlich als Friseur tätige Betriebsinhaber auf ausschließlich organisatorische Tätigkeit zurückgeworfen würde, in der Regel aus. Das OLG ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die Berufung der Beklagten keinen Erfolg hat.
Praxishinweis:
Nach der hier vom OLG Dresden vertretenen Auffassung muss der mitarbeitende Betriebsinhaber zur Möglichkeit der Umorganisation vortragen. Die Umorganisation muss aber für ihn zumutbar sein. An der Zumutbarkeit fehlt es nach Auffassung des OLG, wenn die Umorganisation mit auf Dauer ins Gewicht fallenden Einkommenseinbußen verbunden ist (vgl. BGH, Urteil vom 26.02.2003 – IV ZR 238/01). Nach Durchführung der Umorganisation muss noch ein adäquater Arbeitsplatz im Sinne einer „vernünftigen Arbeit“ im Unternehmen verbleiben. Auf eine Umorganisation muss er sich außerdem aus Sicht des OLG nicht verweisen lassen, wenn er damit nur noch einer „Verlegenheitsbeschäftigung“ nachgehen könnte (so OLG Saarbrücken, Urteil vom 27.03.2019 – 5 U 44/17).
Wenn Sie Fragen zu der Berufsunfähigkeit eines mitarbeitenden selbständigen Friseurmeisters haben, dann nehmen Sie bitte Kontakt mit mir auf.