Ausgleichsansprüche bei einer Mehrfachversicherung in der privaten Krankenversicherung
Eine Klausel in den Bedingungen einer Auslandsreisekrankenversicherung, wonach Versicherungsschutz nur subsidiär gewährt wird und ein bei einem anderen Versicherer gehaltener Vertrag, der Versicherungsschutz für dieselbe Gefahr bietet, vorgeht, steht dem Ausgleichsanspruch des anderen Versicherers gemäß § 78 Abs. 2 Satz 1 VVG nicht entgegen, wenn sie dem Versicherungsnehmer freistellt, welchem Versicherer er den Schadenfall anzeigt, und ihm auch zusagt, im Falle einer Schadensmeldung in Vorleistung zu treten.
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OLG Saarbrücken, 24.03.2021, 5 U 26/20
Sachverhalt:
Gegenstand der Klage sind Ausgleichsansprüche der Klägerin bei Mehrfachversicherung in der privaten Krankenversicherung. Der Versicherungsnehmer P. B. hatte sowohl bei der Klägerin wie auch bei der Beklagten einen Versicherungsvertrag abgeschlossen, der Versicherungsschutz für medizinisch notwendige ambulante und stationäre Heilbehandlungen im Ausland bietet. Während einer Reise in die Vereinigten Staaten vom 23.06.2016 bis 28.07.2016 musste er sich – was in zweiter Instanz nicht mehr in Streit steht – wegen eines Nierensteins in stationäre ärztliche Behandlung begeben, wofür ihm insgesamt 33.342,11 Euro in Rechnung gestellt wurden. Auf die von dem Versicherungsnehmer beiden Parteien vorgelegten Rechnungen zahlte die Klägerin unter Abzug einer Selbstbeteiligung in Höhe von 75 Euro an den Versicherungsnehmer insgesamt 33.267,11 Euro. Die Beklagte lehnte die Erbringung von Leistungen gegenüber dem Versicherungsnehmer ab. Die von der Klägerin verwendeten Versicherungsbedingungen für den bei ihr bestehenden Versicherungsvertrag enthalten unter I. 3 folgende Bestimmungen: „Mit Ausnahme der Unfallversicherungen gilt folgendes: Die American Express Versicherungen gelten subsidiär, d. h., Voraussetzung für die Erbringung einer Leistung ist, dass ein Dritter (z. B. ein anderer Versicherer oder staatlicher Leistungsträger) – nicht zur Leistung verpflichtet ist oder – seine Leistungspflicht bestreitet oder – seine Leistung erbracht, diese aber zur Begleichung der Kosten nicht ausgereicht hat. Ein Anspruch aus dieser Versicherung besteht somit nicht, soweit Sie bzw. die versicherte Person Ersatz aus einem konkurrierenden, anderen, eigenen oder fremden, vor oder nach Abschluss dieses Vertrages geschlossenen Versicherungsvertrag beanspruchen kann. Dies gilt auch dann, wenn diese Verträge ihrerseits eine Subsidiaritätsklausel enthalten sollten. Im Hinblick auf diese Versicherungsverträge gilt die American Express Sicher Unterwegs Versicherung als die speziellere Versicherung.“ Der zwischen dem Versicherungsnehmer und der Beklagten bestehende Vertrag enthält in den Versicherungsbedingungen für die Auslandsreise-Krankenversicherung (AVB/ARKV Gold2016_150) in Ziffer 7.4 des mit dem Titel „In welchen Fällen besteht kein Versicherungsschutz?“ überschriebenen Abschnitts 7 eine Klausel mit folgendem Wortlaut: „Versicherungsschutz besteht subsidiär zu anderweitig bestehendem Versicherungsschutz, d. h. sofern Versicherungsschutz für dieselbe Gefahr auch bei einem anderen Versicherer besteht, geht der anderweitige Vertrag diesem Vertrag vor. Der versicherten Person steht es frei, welchem Versicherer sie den Schadenfall anzeigt. Meldet sie den Schadenfall der Union Krankenversicherung AG, dann wird diese insoweit auch in Vorleistung treten.“ Den von der Klägerin außergerichtlich erhobenen Anspruch auf Ausgleichszahlung in Höhe von 16.596,05 Euro lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 07.02.2018 und 09.08.2018 ab. Das LG Saarbrücken hat die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.
Entscheidungsanalyse:
Der 5. Zivilsenat des OLG Saarbrücken hat geurteilt, dass der klagenden Auslandsreisekrankenversicherung gegen die beklagte Versicherung ein Anspruch aus § 78 Abs. 2 Satz 1 VVG in Höhe von 16.596,05 Euro zusteht. Der Senat erläutet, dass nach § 78 Abs. 2 Satz 1 VVG, der gemäß § 194 Abs. 1 Satz 1 VVG auf die Krankheitskostenversicherung als Schadensversicherung anwendbar ist, zwischen mehreren Versicherern, bei denen ein Interesse gegen dieselbe Gefahr versichert ist (§ 78 Abs. 1 Satz 1 VVG), eine gesetzliche Ausgleichspflicht zueinander nach Maßgabe der Beträge besteht, die sie dem Versicherungsnehmer nach dem jeweiligen Vertrag zu zahlen haben. Eine Mehrfachversicherung im Sinne von § 78 Abs. 1 Satz 1 VVG habe hier vorgelegen. Nach Auffassung des Senats war daher die Klägerin dem gemeinsamen Versicherungsnehmer der Parteien trotz der von ihr verwendeten Subsidiaritätsklausel zur Leistung verpflichtet. Nach Worten des OLG treffen hier nämlich die Versicherungsbedingungen keine Aussage dazu, dass nur eine berechtigte Leistungsverweigerung des anderen Versicherers die Leistungspflicht der Klägerin auslöst. Daher scheide eine Einstandspflicht der Klägerin nur aus, wenn der andere Versicherer tatsächlich – und in voller Höhe der dem Versicherungsnehmer entstandenen Kosten – Leistungen erbringe. Nach Überzeugung des Senats war allerdings auch die Beklagte dem gemeinsamen Versicherungsnehmer trotz des bei der Klägerin bestehenden weiteren Versicherungsschutzes zur Leistung verpflichtet. Denn die Versicherungsbedingungen der Beklagten enthielten keine sog. qualifizierte Subsidiaritätsklausel, die einen Innenausgleich nach § 78 Abs. 2 Satz 1 VVG ausschließen würde. Zur Begründung verweist der Senat auf die Versicherungsbedingungen der Beklagten, in denen steht: „Der versicherten Person steht es frei, welchem Versicherer sie den Schadenfall anzeigt. Meldet sie den Schadenfall der Union Krankenversicherung AG, dann wird diese insoweit auch in Vorleistung treten.“. Dies kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer aus Sicht des Senats nur so verstehen, dass die Beklagte ihm auch dann Versicherungsschutz gewährt, wenn das bei der Beklagten versicherte Risiko auch bei einem anderen Versicherer versichert ist. Dem Versicherungsnehmer werde hiermit ausdrücklich die Wahl überlassen, welchen Versicherer er wegen des mehrfach versicherten Risikos in Anspruch nimmt. Entscheide er sich dafür, bei der Beklagten Ansprüche geltend zu machen, werde diese bedingungsgemäß Leistungen erbringen. Nach Auffassung des OLG schadet es hierbei nicht, dass die Bedingungen davon sprechen, die Beklagte werde „in Vorleistung treten“. Damit werde nämlich das Leistungsversprechen gegenüber dem Versicherungsnehmer in keiner Weise eingeschränkt. Das OLG ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die Berufung der Klägerin Erfolg hat.
Praxishinweis:
Nach der hier vom OLG Saarbrücken vertretenen Auffassung sind die gesetzlichen Regelungen des § 78 Abs. 2 Satz 1 VVG über den Innenausgleich zwischen mehreren Versicherern grundsätzlich abdingbar. Dies folge aus § 87 VVG. Das betrifft nach Ansicht des OLG jedoch zunächst unmittelbar zwischen den Versicherern wirkende Vereinbarungen. Eine von § 78 Abs. 2 Satz VVG abweichende Regelung ergibt sich aus Sicht des OLG auch nicht (mittelbar) aus kollidierenden Subsidiaritätsklauseln der Versicherungsverträge, wenn diesen kein übereinstimmender Wille der Parteien entnommen werden kann, den Innenausgleich abweichend von den gesetzlichen Regelungen vorzunehmen.
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