Ordentliche Kündigung wegen Arbeitszeitmanipulation
Ordentliche Kündigung wegen Arbeitszeitmanipulation
Der dringende Verdacht einer fehlerhaften Arbeitszeiterfassung kann eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen, wenn sich ein Arbeitnehmer aller Wahrscheinlichkeit nach von zu Hause aus im Zeiterfassungssystem eingebucht hat, die Arbeit aber erst später im Dienstgebäude aufnimmt.
Originalentscheidung auf Wolters Kluwer Online aufrufen:
LAG Mecklenburg-Vorpommern, 28.03.2023, 5 Sa 128/22
Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung wegen des Verdachts der Arbeitszeitmanipulation. Der Kläger war seit 2005 im beklagten Jobcenter beschäftigt. Der Kläger wohnt zusammen mit seiner Lebensgefährtin, die ebenfalls bei der Beklagten beschäftigt ist. Seine Lebensgefährtin erbringt ihre Arbeitsleistung überwiegend im Homeoffice. Der Kläger arbeitete grundsätzlich im Dienstgebäude der Beklagten. Er arbeitet in Gleitzeit. Die Arbeitszeiterfassung bei der Beklagten erfolgt grundsätzlich für alle Beschäftigten am Zeiterfassungsgerät im Dienstgebäude oder online am PC. Aufgrund eines hohen Negativsaldos des Klägers auf dem Arbeitszeitkonto führte der Geschäftsführer der Beklagten Anfang des Jahres 2020 mit ihm ein Mitarbeitergespräch und vereinbarte den Ausgleich des Negativsaldos binnen eines bestimmten Zeitraums. Nachdem der teilzeitbeschäftigten Teamleiterin des Klägers aufgefallen war, dass der Kläger trotz Vollbeschäftigung häufig später zur Arbeit erschien als sie, den Arbeitsplatz allerdings wiederum früher verließ, prüfte sie nach Einschaltung der Personalvertretung seine Zeiterfassung. Es wurden erhebliche Differenzen zwischen den gebuchten Zeiten und den tatsächlichen Anwesenheitszeiten des Klägers festgestellt. Am 11.01.2022 wurde der Kläger angehört und mit dem Verdacht konfrontiert, sich von zu Hause aus über den Zugang seiner Lebensgefährtin eingebucht zu haben. Nach Anhörung des Personalrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 30.09.2022. Das ArbG hat den Geschäftsführer des Jobcenters zu dem Inhalt der Gespräche am 11.01.2022 vernommen und im Anschluss an die Beweisaufnahme die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat ebenfalls keinen Erfolg.
Entscheidungsanalyse:
Die Kündigung des Klägers ist wirksam. Eine ordentliche Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist (BAG, Urteil vom 16.12.2021 – 2 AZR 356/21). Eine Verdachtskündigung ist als ordentliche Kündigung sozial nur gerechtfertigt ist, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Dies gilt für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch. Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit der am Gleitzeitmodell teilnehmenden Arbeitnehmer vertrauen können. Bei dem Kläger besteht der dringende Verdacht, dass er an mehreren Tagen frühmorgens Arbeitszeiten von zu Hause aus gebucht hat, ohne die Arbeit tatsächlich aufzunehmen. Obwohl sich der Kläger z.B. am 25.10.2021 um 06:24 Uhr online eingebucht hatte, war er bis 08:09 Uhr im Büro nicht anzutreffen. Ausgebucht hatte er sich in diesem Zeitraum nicht. Die Teamleiterin hatte in der Zeit von 07:35 bis 08:09 Uhr das Büro des Klägers mehrfach aufgesucht und dies verschlossen vorgefunden. Im Büro waren in diesem Zeitraum keinerlei Veränderungen festzustellen, die auf eine Anwesenheit bzw. Arbeitstätigkeit des Klägers hindeuteten. Ähnliche Diskrepanzen gab es an weiteren Tagen. Da der Kläger an diesen Tagen mangels Absprache mit der Teamleiterin nicht mobil arbeiten konnte, gibt es keine andere Erklärung hierfür, als dass der Kläger sich bereits von zu Hause aus eingebucht hat. Einer Abmahnung bedurfte es nicht. Die Pflichtverletzung ist so schwerwiegend, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch die Beklagte nach objektiven Maßstäben unzumutbar und auch für den Kläger erkennbar ausgeschlossen war. Trotz der 16-jährigen Beschäftigungszeit viele die abschließende Interessenabwägung zu Lasten des Klägers aus.
Praxishinweis:
Eine Kündigung in derartigen Fällen nur aus, wenn schon mildere Mittel – wie etwa eine Abmahnung – geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i.V.m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 16.12.2021 – 2 AZR 356/21).
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