Bindungswirkung einer Verurteilung im Adhäsionsverfahren
Bindungswirkung einer Verurteilung des Versicherungsnehmers im Adhäsionsverfahren
Eine Verurteilung des Versicherungsnehmers im strafprozessualen Adhäsionsverfahren ist für den Versicherer im Deckungsprozess ebenso bindend wie ein Urteil im Zivilprozess. Der Versicherer kann sich im Deckungsprozess nicht auf einen Haftungsausschluss wegen Vorsatz berufen, wenn der Versicherungsnehmer im Adhäsionsprozess (nur) wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt wurde.
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OLG Karlsruhe, 31.10.2019, 9 U 77/17
Sachverhalt:
Die Ehefrau des Klägers, A. B., hat mit der Beklagten einen Haftpflichtversicherungs-Vertrag abgeschlossen. Nach den vertraglichen Vereinbarungen ist auch die Haftpflicht des Klägers mitversichert. Die Beklagte hat nach dem Vertrag Versicherungsschutz zu gewähren u. a. bei Schadensersatzansprüchen, die ein Dritter auf Grund einer unerlaubten Handlung der versicherten Personen geltend macht. Der Kläger verlangt im Rechtsstreit von der Beklagten die Gewährung von Versicherungsschutz für seine Haftung aus einem Vorfall vom 04.10.2014, bei dem der Kläger den Zeugen H. R. körperlich verletzt hatte. Der Kläger meint, der Beklagte sei eintrittspflichtig sowohl wegen der Ansprüche, welche dem Zeugen H. R. im Urteil des Amtsgerichts Singen vom 03.09.2015 zuerkannt wurden, als auch wegen weiterer zukünftiger Schadensersatzansprüche des Zeugen. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts Singen im Strafverfahren sei von einem vorsätzlichen Handeln des Klägers auszugehen. Daher sei die Beklagte gemäß § 103 VVG nicht zur Leistung verpflichtet. Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung mehrerer Zeugen und mit Urteil vom 21.04.2017 die Klage abgewiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers.
Entscheidungsanalyse:
Der 9. Zivilsenat des OLG Karlsruhe hat geurteilt, dass die Beklagte dem Kläger Versicherungsschutz zu gewähren hat wegen der Schadensersatzansprüche, die von dem Zeugen H. R. wegen des Vorfalls vom 04.10.2014 gegen den Kläger geltend gemacht werden. Der Anspruch des Klägers ergebe sich aus dem Versicherungsvertrag zwischen seiner Ehefrau und der Beklagten. Die Beklagte habe Deckungsschutz zu gewähren für Schadensersatzansprüche Dritter, insbesondere gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 229 StGB, also bei einer fahrlässigen Körperverletzung. Der Senat erläutert, dass die Voraussetzungen für eine Leistungspflicht der Beklagten aus dem Versicherungsvertrag vorliegen. Der Kläger sei zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen wegen einer Körperverletzung ausgesetzt. Der Versicherungsvertrag verpflichte die Beklagte zur Leistung bei derartigen Ansprüchen Dritter. Nach Überzeugung des Senats kann sich die Beklagte hierbei auch nicht auf einen Leistungsausschluss gemäß § 103 VVG berufen. Denn dem Schaden, welchen der Kläger dem Zeugen H. R. zugefügt hat, liege kein vorsätzliches Verhalten zugrunde. Dies ergebe sich aus der Entscheidung des Amtsgerichts Singen im Urteil vom 03.09.2015 über die Adhäsionsanträge des Zeugen R. Nach Auffassung des OLG entfaltet nämlich die Entscheidung über die Adhäsionsanträge Bindungswirkungen im Deckungsprozess gegen den Versicherer. Zur Begründung verweist der Senat auf § 406 Abs. 3 Satz 1 StPO. Danach steht die Entscheidung im Adhäsionsverfahren über Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche einer rechtskräftigen Entscheidung in einem zivilrechtlichen Haftungsprozess gleich. Aus Sicht des Senats gilt diese Bindungswirkung jedoch nur für diejenigen Feststellungen aus dem Haftpflichtprozess – bzw. aus dem Adhäsionsverfahren -, für welche eine sogenannte Voraussetzungsidentität vorliegt. Das bedeutet nach Worten des OLG, dass das Gericht im Deckungsprozess zu Gunsten des Versicherungsnehmers (bzw. des Versicherten) insoweit an die Feststellungen im vorausgegangenen Haftpflichtprozess gebunden ist, als dieselben Feststellungen auch im Haftpflichtprozess entscheidungserheblich waren. Die Voraussetzungsidentität sei hier gegeben. Das Amtsgericht Singen habe hier die Haftung des Klägers bei der Entscheidung über die Adhäsionsanträge darauf gestützt, dass der Kläger (fahrlässig) einen Sturz des Zeugen H. R. verursacht habe, der zu den Verletzungen des Zeugen führte. Dies sei Gegenstand des Deckungsprozesses. Eine von der fahrlässigen Verursachung des Sturzes zu unterscheidende Pflichtverletzung des Klägers durch ein „Herumspringen“ auf dem Fahrrad des Zeugen, wie vom Landgericht angenommen, habe das Amtsgericht Singen hingegen nicht festgestellt. Daher sei ein vorsätzliches „Herumspringen“ auf dem Fahrrad nicht Gegenstand des Deckungsprozesses. Die Beklagte könne im Deckungsprozess den Einwand eines vorsätzlichen Verhaltens des Klägers nicht auf einen solchen abweichenden Sachverhalt stützen. Der Senat betont außerdem, dass die Feststellungen des Amtsgerichts Singen zum Verschulden des Klägers im Adhäsionsverfahren entscheidungserheblich waren. Das OLG ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die Berufung des Klägers begründet ist.
Praxishinweis:
Das OLG Karlsruhe weist hier zur Begründung auch darauf hin, dass der Versicherer durch die Bindung an die im Adhäsionsverfahren festgestellte Schuldform keinen Nachteil erleidet. Denn wenn der Versicherer – im Rahmen der üblichen Versicherungsbedingungen – einen zivilrechtlichen Haftungsprozess für den Versicherungsnehmer geführt hätte, so hätte er nach Ansicht des OLG selbst in Wahrnehmung der Interessen des Versicherungsnehmers dem Vorwurf des Vorsatzes entgegentreten müssen (vgl. BGH, Urteil vom 30.09.1992 – IV ZR 314/91).
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