Suspendierung von Mitbestimmungsrechten
Suspendierung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats im Arbeitskampf
Die Mitbestimmung des Betriebsrats bei der vorübergehenden Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit ist nicht aus arbeitskampfrechtlichen Gründen suspendiert, wenn der Arbeitgeber Mehrarbeit gegenüber allen dienstplanmäßig eingeteilten Arbeitnehmern zur Aufarbeitung streikbedingter Arbeitsrückstände nach Beendigung der Arbeitsniederlegung anordnet.
Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten über ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei einer vorübergehenden Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit im Zusammenhang mit Warnstreikmaßnahmen. Die Arbeitgeberin ist ein bundesweit tätiges Post- und Logistikunternehmen, in deren Betrieb mit dem Betriebsrat eine BV Arbeitszeit vereinbart wurde. Neben konkreten Regelungen zur Arbeitszeit sind hier diesbezügliche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats geregelt. Im April/Mai 2015 kam es zu mehreren Warnstreiks bei der Beklagten, u.a. am Samstag, dem 02.05.2015. Am selben Tag ordnete die Arbeitgeberin Mehrarbeit für den 04.05.2015 an. Der Betriebsrat wurde darüber wie folgt informiert: “ … aufgrund des heute stattfindenden Warnstreiks ordnen wir hiermit 5 Stunden Mehrarbeit am nächsten Montag an, um die Streikfolgen aufzuarbeiten. …“ Am 04.05.2015 wurde die betroffene Niederlassung nicht bestreikt. Der Betriebsrat vertritt die Auffassung, die Arbeitgeberin habe bei der Anordnung von Mehrarbeit für den 04.05.2015 sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG verletzt. Im vorliegenden Beschlussverfahren hat der Betriebsrat u.a. beantragt, der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, Mehrarbeit (Überstunden) an einem Folgetag nach Beendigung eines rechtmäßigen Streiks gegenüber Beschäftigten, die ganz oder teilweise Zustelltätigkeiten ausüben, anzuordnen, zu vereinbaren, entgegenzunehmen oder zu dulden, solange der Betriebsrat seine Zustimmung nicht erteilt hat bzw. die fehlende Zustimmung durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist, es sei denn, es liegen Notfälle im Sinne der Rechtsprechung bzw. gemäß § 7 Abs. 1 und 3 der im Betrieb geltenden „Betriebsvereinbarung Arbeitszeitregelung in der Zustellung“ vor. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Anträge des Betriebsrats abgewiesen. Die Rechtsbeschwerde hat vor dem 1. Senat allerdings Erfolg.
Entscheidungsanalyse:
Dem Betriebsrat steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu. Unabhängig von möglichen Ansprüchen aus einer Verletzung der BV Arbeitszeit, hat der Betriebsrat gegen die Arbeitgeberin wegen zu besorgender Verletzung seines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG einen Anspruch auf Unterlassung des im Antrag beschriebenen, künftigen Verhaltens. Zwar können einzelne Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats während eines Arbeitskampfs eingeschränkt sein. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats muss der Arbeitgeber die Folgen einer gegen ihn gerichteten streikbedingten Arbeitsniederlegung nicht hinnehmen. Er kann vielmehr – abgesehen von Aussperrungsmaßnahmen – versuchen, durch betriebsorganisatorische Gegenmaßnahmen die Folgen der streikbedingten Betriebsstörung zu begrenzen. Ist Gegenstand einer Arbeitskampfmaßnahme des Arbeitgebers der (zeitliche) Mehreinsatz von Arbeitnehmern, muss aber sichergestellt sein, dass von einer entsprechenden Anordnung nicht solche Arbeitnehmer betroffen sind, die dem konkreten gewerkschaftlichen Kampfaufruf Folge leisten. Das wiederum verlangt vom Arbeitgeber, nur auf arbeitswillige Arbeitnehmer zurückzugreifen, die sich für solche – ihre arbeitstägliche Arbeitszeit überschreitenden – Arbeitseinsätze ausdrücklich zur Verfügung stellen. Begrenzt er den einvernehmlichen zeitlichen Einsatz arbeitswilliger Arbeitnehmer auf die Dauer der tatsächlichen warnstreikbedingten Betriebsunterbrechung oder -einschränkung, ist hierbei sowohl das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Dienstplangestaltung als auch bei einer Anordnung von Mehrarbeit für die Dauer der Arbeitsniederlegung suspendiert. Zielt aber der Mehreinsatz von Arbeitnehmern darauf, den wirtschaftlichen Folgen drohender künftiger warnstreikbedingter Betriebsunterbrechungen vorzubeugen, erschließt sich die Anordnung des Mehreinsatzes als Arbeitskampfmaßnahme für dienstplanmäßig eingeteilte Arbeitnehmer nicht ohne weiteres. Hier hat die Arbeitgeberin nicht durch eine entsprechende Erklärung sichergestellt, dass es sich bei der Mehrarbeit um eine Arbeitskampfmaßnahme handelt, an der sich nur solche Arbeitnehmer beteiligen, welche freiwillig dazu bereit sind.
Praxishinweis:
Nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt z.B. die arbeitskampfbedingte Versetzung arbeitswilliger Arbeitnehmer in einen bestreikten Betrieb des Arbeitgebers (vgl. BAG, Urteil vom 13.12.2011 – 1 ABR 2/10). Ebenso bedarf der Arbeitgeber während Arbeitsniederlegungen in seinem Betrieb keiner Zustimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 BetrVG, wenn er für arbeitswillige, einem gewerkschaftlichen Kampfaufruf nicht Folge leistende Arbeitnehmer aus streikbedingten Gründen vorübergehend die betriebsübliche Arbeitszeit verlängern will. Eine Beschränkung der Mitbestimmung ist aber nicht zwingende Folge eines jeden gewerkschaftlichen Streikaufrufs. Vielmehr kommt es auf den Gegenstand des Mitbestimmungsrechts und dessen Auswirkungen auf das jeweilige Kampfgeschehen an.
Beschluss des BAG vom 20.03.2018, Az.: 1 ABR 70/16
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