Leistungspflicht einer Berufsunfähigkeitsversicherung
Die Leistungspflichten der Berufsunfähigkeitsversicherungen
OLG Celle, 09.04.2018, 8 U 250/17
Die Anforderungen an eine Leistungseinstellung einer Berufsunfähigkeitsversicherung dürfen nicht überspannt werden. Ausreichend ist vielmehr der Vortrag im Rechtsstreit selbst, dass und ab welchem Zeitpunkt der Versicherungsnehmer wieder berufsfähig ist, aus welchen veränderten Umständen sich dies ergibt und dass damit der Anspruch auf weitere Versicherungsleistungen wieder entfallen ist. Wenn der Versicherer das Ende der Berufsunfähigkeit auf eine Gesundheitsbesserung stützt, muss er den aktuellen Gesundheitszustand mit dem Zustand vergleichen, der die Berufsunfähigkeit ursprünglich begründet hatte. In solchen Fällen gehört zu einer ordnungsgemäßen Begründung auch die Darlegung, dass gerade der verbesserte Gesundheitszustand die Berufsunfähigkeit ganz oder teilweise wieder entfallen lässt.
Originalentscheidung in JURION aufrufen:
OLG Celle, 09.04.2018, 8 U 250/17
Sachverhalt:
Der Kläger begehrt Leistungen aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Die Parteien verbindet mit Wirkung ab dem 01.12.2002 eine Versicherung auf den Todes- und Erlebensfall mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung mit Zusatztarif R. Dem Versicherungsvertrag liegen unter anderem die Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BUZ) zugrunde. Mit einer vom 04.03.2013 datierenden Selbstauskunft zur Berufsunfähigkeit teilte der Kläger der Beklagten mit, unter anderem wegen einer rezidivierenden depressiven Störung seiner beruflichen Tätigkeit als I. seit April 2012 nicht mehr nachgehen zu können. Die Beklagte holte daraufhin ein psychiatrisches und ein neuropsychologisches Gutachten ein und lehnte im Anschluss mit Schreiben vom 13.02.2014 Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung ab. Der Kläger hat behauptet, seit dem 21.09.2015 sei er – insoweit unstreitig – wieder berufsfähig und gehe einer Tätigkeit als SAP-Anwendungsbetreuer nach. Das Landgericht hat die Beklagte in der Hauptsache zur Zahlung von 14.400,00 Euro zzgl. Überschussbeteiligung für den Zeitraum Mai 2012 bis April 2013 zzgl. vorgerichtliche Anwaltskosten und Zinsen verurteilt. Darüber hinaus hat das Landgericht festgestellt, dass die Beklagte den Kläger im fraglichen Zeitraum von seiner Pflicht zur Prämienzahlung freizustellen hat. Hiergegen richten sich die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten.
Entscheidungsanalyse:
Der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle hat geurteilt, dass dem Kläger gegen die Beklagte ein weitergehender Anspruch auf Zahlung von Berufsunfähigkeitsleistungen gemäß § 1 Satz 1 VVG in Verbindung mit § 3 BUZ im geltend gemachten Umfang zusteht. Gemäß § 1 (1) BUZ liegt Berufsunfähigkeit vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls voraussichtlich dauernd außerstande ist, ihren zuletzt ausgeübten Beruf zu wenigstens 50 % auszuüben. Hieraus ergebe sich, dass auf die konkret ausgeübte berufliche Tätigkeit des Versicherten vor dem Eintritt der Berufsunfähigkeit abzustellen sei. Maßgeblich sei deshalb die Beschaffenheit des Arbeitsfeldes des Versicherten. Hierzu habe der Versicherte substanziiert vorzutragen und im Falle des Bestreitens Beweis anzubieten. Nach Worten des Senats ist hier das Landgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger ab April 2012 seiner beruflichen Tätigkeit nicht mehr zu wenigstens 50 % habe nachgehen können. Dem eingeholten Gutachten zufolge habe der Kläger ab diesem Zeitpunkt durchgehend unter einer sog. Double-Depression mit einer rezidivierenden mittelgradigen depressiven Episode einerseits und einer Dysthymie anderseits gelitten. Nach Auffassung des OLG ist hier zudem die Beklagte nicht bereits ab Mai 2013 leistungsfrei geworden. Die Voraussetzungen einer Leistungseinstellung ab diesem Zeitpunkt lägen nicht vor. Zwar dürften die Anforderungen an eine Leistungseinstellung auch nicht überspannt werden. Ausreichend sei vielmehr der Vortrag im Rechtsstreit selbst, dass und ab welchem Zeitpunkt der Versicherungsnehmer wieder berufsfähig sei, aus welchen veränderten Umständen sich dies ergebe und dass damit der Anspruch auf weitere Versicherungsleistungen wieder entfallen sei. Im konkreten Fall hat jedoch nach Ansicht des OLG die Beklagte vor dem 21.09.2015 nicht solchen Vortrag gehalten. Wenn der Versicherer das Ende der Berufsunfähigkeit auf eine Gesundheitsbesserung stützt, muss er aus Sicht des Senats den aktuellen Gesundheitszustand mit dem Zustand vergleichen, der die Berufsunfähigkeit ursprünglich begründet hatte. In solchen Fällen gehöre zu einer ordnungsgemäßen Begründung auch die Darlegung, dass gerade der verbesserte Gesundheitszustand die Berufsunfähigkeit ganz oder teilweise wieder entfallen lasse. Der Senat weist außerdem darauf hin, dass hier das Gutachten erst nach der unstreitigen Wiedererlangung der Berufsfähigkeit vorlag. Deshalb habe sich die Beklagte auch frühestens ab Kenntnis vom Inhalt dieses Gutachtens auf ein Ende der Berufsunfähigkeit des Klägers berufen können. Ein automatisches Ende der Leistungspflicht bei Wiedererlangung der Berufsfähigkeit sei in den Versicherungsbedingungen nicht vorgesehen. Im Gegenteil regelt § 9 BUZ nach Worten des OLG, dass der Versicherer seine Leistungspflicht erst nach Ablauf eines Monats nach Absendung der Einstellungsmitteilung an den Versicherungsnehmer einstellen darf. Hieraus ergebe sich, dass die Leistungspflicht der Beklagten auch in zeitlicher Hinsicht an ihre Einstellungsmitteilung geknüpft sei und Letztere deshalb keine auf die Vergangenheit bezogene Wirkung entfalten könne.
Praxishinweis:
Das OLG Celle betont in diesem Urteil auch, dass die Durchführung der nach Anspruchsanmeldung erforderlichen Erhebungen Sache des Versicherers ist. Es ist dementsprechend auch seine Aufgabe, eine bereits wieder eingetretene Berufsfähigkeit im Rahmen seiner Ermittlungen festzustellen und ggf. ein auf den Zeitraum der Berufsunfähigkeit beschränktes Anerkenntnis abzugeben. Trifft er solche Feststellungen aber nicht und nimmt er deshalb auch von einem befristeten Anerkenntnis Abstand, geht dieses Risiko zu seinen Lasten. Der Senat hat hier die Revision zugelassen, da er von einem tragenden abstrakten Rechtssatz in der Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 24.10.2006 – 12 U 109/06 – abweicht. Damit liegt ein Fall der Divergenz im strengen Sinne gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO vor.
Urteil des OLG Celle vom 09.04.2018, Az.: 8 U 250/17