Keine Obliegenheit zum Abdrehen des Hauptwasserhahns nach Verlassen der Wohnung
Keine Obliegenheit zum Abdrehen des Hauptwasserhahns nach Verlassen der Wohnung
Ein grob fahrlässiges Verhalten des Versicherungsnehmers kann zu einem anspruchsmindernden, ggf. sogar anspruchsausschließenden, Mitverschulden führen, das der Schuldner dem Versicherer entgegenhalten kann. Das Abdrehen des Hauptwasserhahns stellt keine Obliegenheit dar, die der Versicherungsnehmer nach dem Verlassen einer Wohnung vornehmen muss, um einem Schaden aus einem Rohrbruch entgegenzuwirken, wenn keinerlei Anhaltspunkte für einen drohenden Schaden bestehen.
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OLG Celle, 07.04.2021, 14 U 135/20
Sachverhalt:
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz und die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeden weiteren auf die Klägerin übergegangenen Schaden aus dem Leitungswasserschadensereignis vom 27.07.2018 zu ersetzen. Die Klägerin ist die Inhalts- und Betriebsunterbrechungsversicherung der Zahnarztpraxis Dr. S. F. Versichert sind auch Leitungswasserschäden. Der Versicherungsnehmer der Klägerin, Dr. S. F. (Versicherungsnehmer), beauftragte die Beklagte, ein Unternehmen, mit der Installation einer Desinfektionsanlage in seiner Zahnarztpraxis. Die Desinfektionsanlage wurde zusammen mit den an die Anlage anschließenden Rohrleitungen von der Beklagten am 27.10.2016 installiert. Im Nachgang zu der Installation der Anlage war die Beklagte auch mit der Wartung der Desinfektionsanlage beauftragt. Die letzte Wartung der Anlage erfolgte am 15.11.2017. Der Versicherungsnehmer schloss seine Praxis urlaubsbedingt für drei Wochen seit dem 06.07.2018. Das Hauptwasserventil für die Praxis wurde nicht abgesperrt. Am Abend des 27.07.2018 gegen 19 Uhr verließen die Zeuginnen S. und G. das Haus, in dem der Versicherungsnehmer seine Praxis im zweiten Obergeschoß hat. Zu diesem Zeitpunkt bemerkten die Zeuginnen noch kein Wasser im Treppenhaus. Als sie am Morgen des 28.07.2018 gegen 7 Uhr zurückkamen, bemerkten sie gleich beim Betreten des Treppenhauses schwallartiges Wasser, das aus der Praxis des Versicherungsnehmers herauslief. Das Treppenhaus war zu diesem Zeitpunkt bereits überflutet. Die herbeigerufene Feuerwehr stellte fest, dass die streitgegenständliche Rohrleitung einige Stunden vor der Entdeckung des Schadens undicht geworden sein müsse. Der Wasseraustritt erfolgte in einem Praxisraum, aus dem durch die Beklagte installierten Wasserrohr. Dort hatte sich ein Verbindungsstück (Winkelfitting) an dem mit der Desinfektionsanlage verbundenen Wasserrohr gelöst. Die Klägerin regulierte den Inhaltsschaden ihres Versicherungsnehmers und begehrt aus übergegangenem Recht von der Beklagten Schadensersatz sowie die Feststellung, dass die Beklagte auch zum Ersatz des weiteren Schadens verpflichtet sei. Das Landgericht hat zunächst in einem Zwischenurteil über den Anspruchsgrund entschieden und dabei eine Mitverschuldensquote von 50 % für den Versicherungsnehmer der Klägerin berücksichtigt. Das Landgericht hat unter Bezugnahme auf die Feststellungen des Sachverständigen S.-K. ausgeführt, dass der Leitungswasserschaden durch die fehlerhafte Montage der Rohrleitung zur Desinfektionsanlage verursacht worden sei. Gegen dieses Urteil wenden sich beide Parteien mit ihrer Berufung.
Entscheidungsanalyse:
Der 14. Zivilsenat des OLG Celle hat geurteilt, dass der Klägerin ein voller Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 631, 280 Abs. 1 BGB i.V.m. 86 VVG zusteht. Nach Überzeugung des Senats hat die Klägerin nämlich bewiesen, dass die Beklagte aufgrund der fehlerhaften Installation eines Rohres dem Grunde nach für den entstandenen Schaden verantwortlich ist. Der Senat erläutert, dass der Mitarbeiter der Beklagten, dessen Verhalten sie sich gem. § 278 BGB zurechnen lassen muss, nicht ausreichend und gleichmäßig Klebstoff auf beide Seiten des Rohres aufgebracht und zudem das Rohr nicht tief genug in die Muffe hineingeschoben hat. Daher hebe es sich schließlich gelöst, und das Wasser sei ausgetreten. Nach Auffassung des Senats liegt außerdem kein Mitverschulden des Versicherungsnehmers der Klägerin gem. § 254 Abs. 1 BGB vor. Das OLG weist darauf hin, dass ein grob fahrlässiges Verhalten des eigenen Versicherungsnehmers zu einem anspruchsmindernden, u U. sogar anspruchsausschließenden Mitverschulden führen kann, das der Regressschuldner auch dem Versicherer entgegenhalten kann. Im konkreten Fall habe der Versicherungsnehmer der Klägerin keine Obliegenheitsverletzung begangen, die zu einem Mitverschulden der Klägerin führe. Nach Auffassung des Senats begründet die dreiwöchige Betriebsschließung ohne Absperren des Hauptwasserhahns begründet bereits deswegen keine Obliegenheitsverletzung, weil die Beklagte nicht beweisen konnte, dass die dreiwöchige Betriebsschließung überhaupt kausal für den eingetretenen Schaden gewesen ist. Nach Ansicht des Senats hat der Versicherungsnehmer der Klägerin auch keine Obliegenheitsverletzung begangen, indem er abends nach Praxisschluss nicht den Hauptwasserhahn abgesperrt hat. Denn das OLG hält die Anforderung, der Hauptwasserhahn müsse bei Verlassen der Praxis zugesperrt werden, um der Gefahr von Rohrbrüchen vorzubeugen, für überspannt. Das das Abdrehen eines Hauptwasserhahnes nach dem Verlassen einer Wohnung, um einen Rohrbruch zu verhindern, sei weder üblich, noch könne es von einem vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Menschen nach Treu und Glauben verlangt werden. Da im konkreten Fall kein konkretes Risiko eines Rohrbruchs, zum Beispiel aufgrund des Alters der Sanitäranlagen, bestanden hat, war ein Absperren des Hauptwasserhahns bei alleiniger nächtlicher Abwesenheit nach Worten des Senats nicht erforderlich. Das Rohr sei vielmehr neu gewesen. Gegen mangelhafte Werkleistungen müsse ein Versicherungsnehmer aber keine Vorkehrungen treffen. Das OLG ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass nur die Berufung der Klägerin Erfolg hat.
Praxishinweis:
Welche Maßnahmen zur Verhinderung eines Wasserschadens zu treffen sind, richtet sich aus Sicht des OLG Celle nach den Umständen des Einzelfalls, zum Beispiel nach dem Alter des Anwesens und seinen Versorgungsleitungen, nach der Aufteilung der Wohneinheiten, nach der Umgebung des Hauses sowie nach der jeweiligen jahreszeitlichen Witterung (BGH, Urteil vom 25.01.2018 – VII ZR 74/15). Schutz- und Obliegenheitspflichten, die ein Mitverschulden begründen, müssen danach der Vermeidung realistisch drohender Schäden dienen. Nicht jede denkbare, mögliche und ggf. sogar sinnvolle Schutzmaßnahme führt nach Auffassung des OLG bei ihrem Unterlassen zu einem Mitverschulden des Versicherungsnehmers, wenn im Gegenzug der Schadenseintritt denkbar unrealistisch ist.
Wenn Sie Fragen zum Thema: Keine Obliegenheit zum Abdrehen des Hauptwasserhahns nach Verlassen der Wohnung haben, dann nehmen Sie bitte Kontakt mit mir auf.