Haftung eines Versicherungsvertreters bei Vermittlung einer Rürup-Rente
Haftung eines Versicherungsvertreters bei Vermittlung einer Rürup-Rente
Bei der Vermittlung einer Rürup-Rente muss der Versicherungsvertreter den Versicherungsnehmer darüber aufklären, dass bei einem solchen Vertrag – anders als bei den meisten anderen privaten Rentenversicherungsverträgen – eine vorzeitige Auszahlung aus dem angesammelten Kapital nicht möglich ist. Für einen 41-jährigen Versicherungsnehmer ist eine Rürup-Rente wegen der fehlenden Flexibilität unter Umständen kein geeignetes Produkt, wenn die wirtschaftliche Situation des Versicherungsnehmers am Beginn seiner Selbständigkeit mit vielen Unsicherheiten und offenen Fragen behaftet ist.
Originalentscheidung auf Wolters Kluwer Online aufrufen:
OLG Karlsruhe, 07.12.2021, 9 U 97/19
Sachverhalt:
Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadensersatz wegen fehlerhafter Beratung beim Abschluss eines Rentenvertrages (Rürup-Rente) im Jahr 2010. Die Beklagte Ziffer 1 ist der Versicherer (Vertragspartner des Klägers), der Beklagte Ziffer 2 hat das Zustandekommen des Versicherungsvertrages als damals für die Beklagte Ziffer 1 tätiger Versicherungsvertreter vermittelt. Auf Antrag des Klägers kam es mit Übersendung des Versicherungsscheines vom 30.09.2010 durch die Beklagte Ziffer 1 an den Kläger zum Abschluss eines Rentenversicherungsvertrages. Versicherungsbeginn war der 01.10.2010. Es sollten Beiträge in Höhe von 200,00 Euro monatlich bis zum 01.10.2036 gezahlt werden. Zu diesem Zeitpunkt sollte die Zahlung einer lebenslangen Altersrente beginnen in Höhe von monatlich 261,80 Euro zuzüglich der bis dahin angesammelten Überschussanteile. In Höhe der Beiträge war eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung eingeschlossen. Es handelte sich um eine sogenannte Rürup-Rente, bei der aus steuerlichen Gründen ein Kapitalzugriff vor dem 01.10.2036 nicht möglich war. Der Vertrag sollte bis zum Beginn der Altersrente nicht kündbar sei; lediglich die Möglichkeit einer Beitragsfreistellung während der Vertragslaufzeit blieb vorbehalten. Dem Abschluss des Vertrages waren Beratungsgespräche des Klägers mit dem Beklagten Ziffer 2 vorausgegangen. Bei welchem Gespräch was besprochen wurde, ist zwischen den Parteien streitig. Insbesondere ist streitig, ob es einen Beratungstermin am 28.09.2010 gab, oder ob der Vertrag ohne einen Beratungstermin an diesem Tag zustande kam. Der Kläger befand sich bei Abschluss des Vertrages mit der Beklagten Ziffer 1 am Ende eines Privatinsolvenzverfahrens. Er machte sich im Jahr 2010 selbstständig. Diese Umstände waren dem Beklagten Ziffer 2 bei der Vermittlung des Versicherungsvertrages bekannt. Der Kläger zahlte in der Folgezeit die vereinbarten monatlichen Beiträge in Höhe von jeweils 200,00 Euro an die Beklagte Ziffer 1. Mit Schreiben vom 18.10.2015 wandte sich der Kläger an die Beklagte Ziffer 1. Er sei bei Abschluss des Vertrages vom Beklagten Ziffer 2 falsch beraten worden, da dieser ihm nicht erklärt habe, dass er als Versicherungsnehmer bis zum Zeitpunkt des Rentenbeginns nie mehr an sein Geld kommen könne. Wenn er das gewusst hätte, hätte er den Vertrag nicht abgeschlossen. Er verlangte von der Beklagten Ziffer 1 eine Rückzahlung seiner Beiträge wegen Falschberatung. Dazu war die Beklagte Ziffer 1 nicht bereit. Der Vertrag wurde ab dem 01.08.2015 beitragsfrei gestellt. Bis zu diesem Zeitpunkt waren vom Kläger an die Beklagte Ziffer 1 insgesamt 11.600,00 Euro Beiträge gezahlt worden. Mit seiner Klage zum LG hat der Kläger von beiden Beklagten Schadensersatz in Höhe von 11.600,00 Euro zuzüglich Zinsen und vorgerichtlicher Anwaltskosten verlangt. Der Beklagte Ziffer 2 habe ihm nicht erklärt, dass der Kläger bei einer Rürup-Rente bis zum Rentenbeginn keine vorzeitigen Auszahlungen verlangen könne. Außerdem sei der vermittelte Vertrag im Hinblick auf die damalige wirtschaftliche Situation des Klägers nicht sinnvoll gewesen. Das LG hat die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.
Entscheidungsanalyse:
Der 9. Zivilsenat des OLG Karlsruhe hat geurteilt, dass beide Beklagte dem Kläger zum Schadensersatz verpflichtet sind, da die Beratung des Beklagten Ziffer 2 bei der Vermittlung der Rürup-Rente (Ring-Basis-Rente) im Jahr 2010 fehlerhaft war. Der Beklagte Ziffer 2 sei als Versicherungsvertreter dem Kläger zum Schadensersatz in Höhe von 11.600,00 Euro gemäß § 63 VVG verpflichtet. Nach Überzeugung des Senats hat er seine Beratungspflichten gemäß § 61 Abs. 1 VVG verletzt. Aus Sicht des Senats liegt im konkreten Fall keine ordnungsgemäße Beratungsdokumentation vor, die dazu führen würde, dass die Beweislast für Pflichtverletzungen beim Kläger liegen würde. Die Beweislast für die Einhaltung der Dokumentationspflichten obliege vielmehr dem Beklagten Ziffer 2. Aus Sicht des OLG ist nicht nachgewiesen, dass der Kläger die vorgelegte Beratungsdokumentation erhalten hat. Nach Ansicht des Senats hat der Beklagte Ziffer 2 seine Beratungspflicht gegenüber dem Kläger hier in zweifacher Hinsicht verletzt. Nach Worten des Senats war hier ein Hinweis in der Beratung, dass beim Vertrag über eine Rürup-Rente vor dem vereinbarten Rentenbeginn keine Möglichkeit bestand, eine vorzeitige Auszahlung des angesparten Kapitals zu erhalten, wesentlich und erforderlich. Es handele sich dabei um eine grundlegende Information, über welche der Versicherer, bzw. der Versicherungsvertreter, den Versicherungsnehmer vor Abschluss des Vertrages aufklären müsse. Der Beklagte Ziffer 2 habe jedoch nicht nachgewiesen, dass er den Kläger auf den Ausschluss einer vorzeitigen Rückzahlung des Kapitals hingewiesen hat. Nach Ansicht des OLG besteht eine weitere Pflichtverletzung darin, dass die empfohlene Ring-Basis-Rente kein geeignetes Produkt für den Kläger war. Der Senat erläutert, dass sich der 41-jährige Kläger am Beginn einer Selbstständigkeit als Einzelunternehmer und am Ende eines Privatinsolvenzverfahrens befand. Die wirtschaftliche Situation des Klägers war aus Sicht des Senats mit so vielen offenen Fragen für die Zukunft verbunden, dass eine private Rentenversicherung mit einer Festlegung auf 26 Jahre und ohne die Möglichkeit einer vorzeitigen Rückzahlung nicht zweckmäßig war. Der Senat weist zudem darauf hin, dass die Beratungsfehler des Beklagten Ziffer 2 zu einer Beweislastumkehr bei der Frage der Kausalität führen. Darüber hinaus hafte auch die Beklagte Ziffer 1 gemäß § 6 Abs. 1, Abs. 5 VVG auf Schadensersatz in Höhe von 11.600,00 Euro. Der Senat stellt klar, dass nämlich der Versicherer im Rahmen von § 6 Abs. 1, Abs. 5 VVG für Beratungsfehler des Versicherungsvermittlers gemeinsam mit diesem als Gesamtschuldner haftet. Das OLG ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die Berufung des Klägers Erfolg hat.
Praxishinweis:
Nach der hier vom OLG Karlsruhe vertretenen Auffassung muss der Versicherungsvertreter bei einer Schadensersatzklage des Versicherungsnehmers den Inhalt der von ihm behaupteten Beratung beweisen, wenn keine ordnungsgemäße Beratungsdokumentation im Sinne von § 61 Abs. 1 Satz 2 VVG vorliegt. Wenn der Versicherungsvertreter im Rechtsstreit eine schriftliche Beratungsdokumentation vorlegt, so muss er nach Ansicht des OLG im Streitfall auch nachweisen, dass der Versicherungsnehmer diese Dokumentation vor Abschluss des Vertrages erhalten hat.
Wenn Sie Fragen zur Haftung eines Versicherungsvertreters bei Vermittlung einer Rürup-Rente haben, dann nehmen Sie bitte Kontakt mit mir auf.