Entgeltausfallprinzip gilt auch für Mindestlohnansprüche
BAG, 20.09.2017, 10 AZR 171/16
Das MiLoG gibt dem Arbeitnehmer nur einen Mindestlohnanspruch für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden. Einen eigenen Anspruch auf Lohnersatzleistungen sieht das MiLoG nicht vor. Das Entgeltausfallprinzip gilt aber auch dann, wenn sich die Höhe des Arbeitsentgelts nach dem MiLoG bestimmt. Auch Nachtarbeitszuschläge und zusätzliches Urlaubsgeld müssen mindestens auf Grundlage des Mindestlohns gezahlt werden. Sie vergüten nicht die Arbeitsleistung, sondern werden aufgrund gesetzlicher Vorgaben für besondere Erschwernisse gezahlt (Nachtarbeit) oder dienen dem Zweck, einen besonderen finanziellen Bedarf zu decken (Urlaubsgeld). Sie sind daher auch nicht auf den Mindestlohn anzurechnen.
Beschluss des LAG Hessen vom 31.07.2017, Az.: 16 TaBV 221/16
Originalentscheidung in JURION aufrufen:
BAG, 20.09.2017, 10 AZR 171/16
Sachverhalt:
Die Parteien streiten darüber, auf welcher Grundlage Nachtarbeitszuschläge, Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld sowie Feiertagsvergütung für den Monat Januar 2015 zu berechnen sind und welche Zahlungen auf den Mindestlohn anzurechnen sind. Die Klägerin ist seit 1990 bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft Nachwirkung der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie in der Fassung vom 24.02.2004 (MTV) Anwendung. Dieser sieht unter anderem einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe 25 % und ein Urlaubsgeld in Höhe des 1,5-fachen durchschnittlichen Arbeitsverdienstes vor. Für den Monat Januar 2015 rechnete die Beklagte insgesamt 160 Stunden mit einer Stundenvergütung von 7,00 Euro bzw. 7,15 Euro brutto (0,15 Euro Vorarbeiterzulage), für einen Feiertag 8,25 Stunden zu jeweils 7,00 Euro brutto und für einen Urlaubstag weitere sieben Stunden zu jeweils 7,00 Euro brutto ab. Zusätzlich weist die Abrechnung ein Urlaubsgeld i.H.v. 33,93 Euro brutto aus. Diesen Stundenlohn besserte der Arbeitgeber ab Januar 2015 um eine „Zulage nach MiLoG“ auf, um auf einen Stundenlohn von 8,50 zu kommen. Darüber hinaus zahlte die Beklagte für fünf Stunden einen Nachtarbeitszuschlag i.H.v. 25 % basierend auf einem Stundenlohn von 7,00 Euro an die Klägerin. Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage eine Vergütung aller im Januar 2015 abgerechneten Arbeits-, Urlaubs- und Feiertagsstunden mit 8,50 Euro brutto und meint, auch der Nachtarbeitszuschlag sei auf Grundlage des gesetzlichen Mindestlohns zu berechnen. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hat – abgesehen von einem geringen rechnerischen Teil – keinen Erfolg.
Entscheidungsanalyse:
Die Beklagte hat die Ansprüche der Klägerin auf den gesetzlichen Mindestlohn für im Januar 2015 geleistete Arbeitsstunden nicht vollständig erfüllt. Das Urlaubsgeld ist in diesem Fall genauso wie der Nachtzuschlag nicht auf den Mindestlohn anrechenbar. Beide Ansprüche verfolgen einen arbeitsleistungsunabhängigen Zweck und dienen nicht der Vergütung für geleistete Arbeit (vgl. BAG, Urteil vom 22.07.2014 – 9 AZR 981/12). Die Beklagte hat hier nicht behauptet, es sei eine Urlaubsgeldzahlung vereinbart worden, die unabhängig von der Urlaubsgewährung und vorbehaltlos als Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung erfolgen sollte (vgl. zu diesem Erfordernis BAG, Urteil vom 25.05.2016 – 5 AZR 135/16). Bei der Berechnung des Urlaubsentgeltes ist der Mindestlohn zu berücksichtigen. Das Urlaubsentgelt wird nach dem MTV grundsätzlich nach dem 1,5-fachen durchschnittlichen Arbeitsverdienst in den letzten drei Kalendermonaten vor dem Beginn des Urlaubs. Weiter heißt es im MTV aber, dass bei Verdiensterhöhungen nicht nur vorübergehender Art, die während des Berechnungszeitraums oder des Urlaubs eintreten, für die Höhe des Urlaubsentgelts von diesem erhöhten Verdienst auszugehen ist. Ein solcher Fall lag hinsichtlich des im Januar 2015 genommenen Urlaubstags durch die Einführung des Mindestlohns vor. Auch die Entgeltfortzahlung für einen Feiertag hat eine Bruttovergütung von 8,50 Euro zu berücksichtigen. Dies ergibt sich allerdings nicht aus dem Mindestlohngesetz. Für Zeiten ohne Arbeitsleistung begründet das Mindestlohngesetz keine unmittelbaren Ansprüche (BAG, Urteil vom 25.05.2016 – 5 AZR 135/16). Die Höhe des Entgeltfortzahlungsanspruchs ergibt sich vielmehr für Feiertage aus § 2 Abs. 1 EFZG. Danach hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für die Arbeitszeit, die infolge eines gesetzlichen Feiertags ausfällt, das Arbeitsentgelt zu zahlen, das er ohne den Arbeitsausfall erhalten hätte. Das hiernach maßgebliche Entgeltausfallprinzip verlangt, den Mindestlohn nach § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG als Geldfaktor in die Berechnung des Entgeltfortzahlungsanspruchs einzustellen, soweit nicht aus anderen Rechtsgründen ein höherer Vergütungsanspruch besteht. Eine von § 2 EFZG abweichende Regelung trifft das Mindestlohngesetz nicht. Da zum tatsächlichen Stundenverdienst Ansprüche aus dem MiLoG gehören, ist darüber hinaus auch der tarifliche Nachtarbeitszuschlag von 25 % ab 01.01.2015 mindestens aus einem Bruttostundenverdienst von 8,50 Euro zu berechnen.
Praxishinweis:
Auch § 11 BUrlG verlangt in Abs. 1 Satz 2 die Berücksichtigung von Verdiensterhöhungen nicht nur vorübergehender Art, unabhängig davon, welchen Rechtsgrund diese haben. Der 10. Senat hat daher ergänzend darauf hingewiesen, dass auch – unabhängig vom hier einschlägigen MTV – danach bei der Berechnung des Urlaubsentgelts der gesetzliche Mindestlohn zu berücksichtigen wäre (vgl. BAG, Urteil vom 13.05.2015 – 10 AZR 191/14).
Urteil des BAG vom 20.09.2017, Az.: 10 AZR 171/16