Eintrittspflicht des Rechtsschutzversicherers für Kosten eines Vergleichs
Eintrittspflicht des Rechtsschutzversicherers für Kosten eines Vergleichs
Nach § 3a Abs. (1) ARB 2012 kann der Versicherer den Rechtsschutz ablehnen kann, wenn seiner Auffassung nach die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder mutwillig ist. Der Regelung lässt sich weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Sinn und Zweck die Berechtigung des Versicherers entnehmen, einen bereits gewährten Deckungsschutz im Nachhinein einseitig ganz oder teilweise wieder zu entziehen. Bei einem „auf Vorschlag des Gerichts“ abgeschlossenen Vergleich kann zudem schwerlich von „Mutwilligkeit“ gesprochen werden.
Originalentscheidung auf Wolters Kluwer Online aufrufen:
AG Stuttgart, 16.01.2020, 1 C 3954/1
Sachverhalt:
Der Kläger unterhält bei der beklagten Versicherung einen Rechtsschutzversicherungsvertrag. Zuständiges Schadenabwicklungsunternehmen ist die Beklagte. Inhalt des Vertrages sind u.a. die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2012). Der Kläger verlangt von der Beklagten im Rahmen der Klage im wesentlichen die Freistellung von – im Rahmen eines Rechtsstreits vor dem Landgericht Stuttgart durch den Abschluss eines Vergleiches entstandenen – Rechtsanwaltskosten in Höhe von 481,95 Euro. Die Beklagte verlangt vom Kläger im Rahmen der Widerklage die Rückerstattung einer Überzahlung in Höhe von 348,23 Euro. Der Streit der Parteien dreht sich im wesentlichen um die Frage der Eintrittspflicht der Beklagten für die durch den Vergleich entstandenen Kosten. Die Beklagte erteilte dem Kläger mit Schreiben vom 13.12.2017 zunächst Deckungszusage für das außergerichtliche Verfahren und in der weiteren Folge mit Schreiben vom 29.06.2018 Deckungszusage für das gerichtliche Verfahren I. Instanz. Mit Schreiben vom 10.07.2019 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass der abgeschlossene Vergleich mutwillig sei, da ein vernünftiger, nicht rechtsschutzversicherter Mandant diesen Vergleich mit Blick auf die entstehenden Mehrkosten in Höhe von 633,68 Euro so nicht abgeschlossen hätte.
Entscheidungsanalyse:
Das Amtsgericht Stuttgart hat geurteilt, dass die Klage hinsichtlich des Anspruchs auf Freistellung des Klägers von der Forderung seines Rechtsanwalts bezüglich der Kostenrechnung vom 13.08.2019 in Höhe von 481,95 Euro begründet ist. Denn die Beklagte sei nicht berechtigt, den dem Kläger gewährten Deckungsschutz mit dem Argument eines „mutwillig“ abgeschlossenen Vergleichs einseitig teilweise wieder zu entziehen. Die Rechtsauffassung der Beklagten finde in den maßgeblichen Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2012) keine hinreichende Grundlage. Zur Begründung weist das Gericht darauf hin, dass der Versicherer nach § 3a Abs. (1) ARB 2012 den Rechtsschutz ablehnen kann, wenn seiner Auffassung nach die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen a) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder b) mutwillig ist. Aus Sicht des AG gibt diese Regelung dem Versicherer die Möglichkeit, die Gewährung von Rechtsschutz unter den genannten Voraussetzungen von Anfang an abzulehnen. Von dieser Möglichkeit habe die Beklagte hier aber keinen Gebrauch gemacht. Vielmehr habe sie dem Kläger eine Deckungszusage erteilt und damit zum Ausdruck gebracht, dass sie die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Klägers weder für aussichtslos noch für mutwillig gehalten habe. Nach Auffassung des AG lässt sich der Regelung in § 3a Abs. (1) ARB 2012 jedoch weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Sinn und Zweck die Berechtigung der Beklagten entnehmen, einen bereits gewährten Deckungsschutz im Nachhinein einseitig ganz oder teilweise wieder zu entziehen. Aus Sicht des Gerichts erscheint außerdem das Verhalten des Klägers im Rahmen des Rechtsstreits vor dem Landgericht Stuttgart weder als sinnlos noch als wirtschaftlich in hohem Maße unvernünftig. Nach Worten des AG kann nicht außer acht gelassen werden, dass der seinerzeitige Rechtsstreit durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, durch Erlass eines Urteils und durch die Durchführung eines Berufungsverfahrens zu Lasten der Beklagten noch erheblich teurer hätte werden können. Das AG betont, dass dieser hypothetische Verlauf eines fortgeführten Rechtsstreits durchaus in Betracht zu ziehen ist und nicht nur auf die konkrete prozessuale Ausstiegssituation abzustellen ist. Daher sei es nicht zu beanstanden, dass der Kläger den besagten Vergleich gerade auch zu dem Zweck abgeschlossen habe, um die Kosten des Rechtsstreits gering zu halten. Das Gericht stellt hierzu klar, dass bei einem „auf Vorschlag des Gerichts“ abgeschlossenen Vergleich nicht von „Mutwilligkeit“ gesprochen werden kann.
Praxishinweis:
Das AG Stuttgart macht in diesem Urteil auch deutlich, dass dass der Rechtsschutzversicherer gemäß § 1 ARB 2012 die für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers oder des Versicherten „erforderlichen“ Leistungen im vereinbarten Umfang (Rechtsschutz) erbringt. Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit gilt im Bereich der Rechtsschutzversicherung ein großzügiger Maßstab. Maßstab ist hierbei, was eine nicht versicherte Person in gleicher Lage tun würde, wobei Vergleichsperson ein Unversicherter ist, der keine finanziellen Rücksichten zu nehmen braucht (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 12.12.2018 – 16 U 83/18). Lediglich die Finanzierung sinnloser oder wirtschaftlich in hohem Maße unvernünftiger rechtlicher Maßnahmen Einzelner muss mit Rücksicht auf die Gefahrengemeinschaft der Versicherten ausgeschlossen sein (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 14.07.2016 – 7 U 60/16).
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