Belehrungspflicht des Rechtsschutzversicherers
Belehrungspflicht des Rechtsschutzversicherers
Der Rechtsschutzversicherer ist auch dann zur Belehrung der Versicherungsnehmerin gemäß § 128 Satz 2 VVG verpflichtet, wenn er seine Leistungspflicht nur teilweise verneint. Der Rechtsschutzversicherer hat sich bei einer Deckungsanfrage zu den geltend gemachten Ansprüchen vollständig und verbindlich zu erklären. Unterlässt der Versicherer eine gemäß § 128 Satz 2 VVG erforderliche Belehrung, gilt das Rechtsschutzbedürfnis des Versicherungsnehmers gemäß § 128 Satz 3 VVG als anerkannt. Der Umstand, dass der Versicherungsnehmer durch einen Anwalt vertreten ist, der Inhalt und Bedeutung der erforderlichen Belehrung kennt, ändert an dieser Wirkung nichts.
Originalentscheidung auf Wolters Kluwer Online aufrufen:
OLG Karlsruhe, 16.07.2019, 9 U 11/18
Sachverhalt:
Die Parteien streiten über Leistungspflichten der Beklagten aus einer Rechtsschutzversicherung. Der Ehemann der Klägerin schloss im Jahr 1999 bei der D. AG eine Rechtsschutzversicherung ab. Die Klägerin ist in diesem Vertrag mit versichert. Die Einzelheiten der vertraglichen Vereinbarungen ergeben sich aus dem Versicherungsschein nebst den allgemeinen Bedingungen für die Rechtschutzversicherung (D. ARB 2000). Die Beklagte ist das vom Versicherer beauftragte Schadensabwicklungsunternehmen im Sinne von § 126 VVG. Die Klägerin hat geltend gemacht: Am 21.05.2014 sei sie in Freiburg mit der Straßenbahn gefahren. Die Straßenbahn sei mit einem von der Schädigerin B. G. geführten Roller kollidiert. Für die Kollision sei allein die Schädigerin verantwortlich. Der Straßenbahnführer habe eine Vollbremsung ausgelöst. Dadurch sei die Klägerin in der Straßenbahn gestürzt. Sie habe sich erhebliche Verletzungen mit gesundheitlichen Dauerfolgen zugezogen. Sie wolle Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen die Schädigerin und deren Haftpflichtversicherung geltend machen. Mit ihrer Klage zum Landgericht hat die Klägerin geltend gemacht, die Beklagte sei in vollem Umfang auch der Höhe nach verpflichtet, eine Deckungszusage abzugeben für die Geltendmachung von Ansprüchen entsprechend dem Entwurfsschreiben vom 23.02.2016. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten.
Entscheidungsanalyse:
Der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat geurteilt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin nach Maßgabe der erstinstanzlichen Entscheidung Rechtsschutz zu gewähren. Nach Überzeugung des Senats folgt der Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Rechtsschutz aus dem Versicherungsvertrag, den der Ehemann der Klägerin im Jahr 1999 mit der D. AG abgeschlossen hat. Nach den vertraglichen Vereinbarungen habe die Beklagte Rechtsschutz auch für die Klägerin als mitversicherte Person zu gewähren. Die in den Rechtsschutzbedingungen angegebenen Leistungsarten umfassten u. a. die Kosten einer außergerichtlichen Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach einem Verkehrsunfall. Nach Auffassung des OLG kann sich die Beklagte hierbei nicht darauf berufen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Klägerin biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg oder sei mutwillig (§ 18 Abs. 1 D. ARB 2000). Denn das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin gilt nach Worten des Senats gemäß § 128 Satz 3 VVG als anerkannt, weil die Beklagte die erforderliche Belehrung gemäß § 128 Satz 2 VVG unterlassen hat. Aus Sicht des Senats liegen hier die Voraussetzungen für eine Belehrungspflicht gemäß § 128 Satz 2 VVG vor. Da die Beklagte ihre Leistungspflicht teilweise abgelehnt habe, sei sie verpflichtet gewesen, die Klägerin auf die Möglichkeit eines Stichentscheids (§ 18 Abs. 2 D. ARB 2000) hinzuweisen. Der Senat betont, dass die Belehrungspflicht gemäß § 128 Satz 2 VVG nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht nur dann gilt, wenn der Versicherer Rechtsschutz vollständig versagt, sondern auch bei einer Teilablehnung. Gemäß § 18 Abs. 1 D. ARB 2000 sei die die Beklagte nach der Deckungsanfrage der Klägerin verpflichtet gewesen, sich zu diesen Ansprüchen vollständig und verbindlich zu erklären. Daher sei das Schreiben der Beklagten vom 19.04.2016 eine Teilablehnung. Der Senat erläutert, dass im Versicherungsvertrag nicht vorgesehene Vorbehalte, Bedingungen oder Einschränkungen bei einer Deckungszusage als Teilablehnung zu werten sind, die die Belehrungspflicht gemäß § 128 Satz 2 VVG auslöst. Der Senat stellt fest, dass die Beklagte ihre Hinweispflicht gemäß § 128 Satz 2 VVG verletzt hat. Nach Ansicht des OLG löst der unterlassene Hinweis die Fiktion einer Anerkennung des Rechtsschutzbedürfnisses gemäß § 128 Satz 3 VVG aus. Der Umstand, dass die Klägerin anwaltlich vertreten gewesen sei, und dass ihre Anwältin die Möglichkeit eines Stichentscheids gekannt habe, stehe dem nicht entgegen. Das OLG ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die Berufung der Beklagten voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat.
Praxishinweis:
Das OLG Karlsruhe macht in diesem Urteil deutlich, dass der Gesichtspunkt von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB dem Anspruch der Klägerin nicht entgegensteht. Dies begründet das OLG damit, dass nach dem Willen des Gesetzgebers eine Kenntnis der Klägerin oder ihrer Anwältin von der Möglichkeit eines Stichentscheids im Rahmen von § 128 Satz 3 VVG nicht von Bedeutung ist. Gesichtspunkte von Treu und Glauben können nicht zu einem Ergebnis führen, das der Regelung in § 128 VVG widersprechen würde.
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