Auswirkungen der Kündigung einer Berufsunfähigkeitsversicherung
Auswirkungen der Kündigung einer Berufsunfähigkeitsversicherung
Die anlässlich einer Umdeckung erklärte „Kündigung“ einer Berufsunfähigkeitsversicherung, deren Wirksamwerden vom Zustandekommen des neuen Vertrages abhängig gemacht wurde, kann als Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages anzusehen sein, auf das der Versicherer durch Annahme der „Kündigung“ und des neuen Antrages eingegangen ist. Dies hat zur Folge, dass sein späterer Rücktritt wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit auch diese Aufhebungsvereinbarung erfasst und zur Wiederherstellung des früheren Versicherungsschutzes führt.
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OLG Saarbrücken, 15.02.2023, 5 U 36/22
Sachverhalt:
Die 1986 geborene Klägerin hat mit ihrer ursprünglich zum AG St. Wendel eingereichten Klage erstinstanzlich die Feststellung begehrt, dass ein im Jahre 2017 abgeschlossener Vertrag über eine Berufsunfähigkeitsversicherung mit der Vers.-Nr. … nicht durch einen auf § 19 Abs. 2 VVG gestützten Rücktritt der Beklagten vom 03.06.2019 beendet worden sei, sondern unverändert fortbestehe; hilfsweise hat sie auf Feststellung des Fortbestehens einer zuvor bei der Beklagten unterhaltenen Berufsunfähigkeitsversicherung mit der Vers.-Nr. … bzw. … angetragen, allein dieser Hilfsantrag ist noch Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens. Der Altvertrag wurde mit Schreiben vom 16.02.2017 – wörtlich – durch die Klägerin „gekündigt“; mit Antragsformular vom 04.03.2017 beantragte die Klägerin bei der Beklagten den Abschluss einer „Berufsunfähigkeits-Vorsorgeversicherung“. Die in dem Antragsformular enthaltenen Gesundheitsfragen 7 bis 10 bejahte die Klägerin nur teilweise. Mit Schreiben vom 18.05.2017 bestätigte die Beklagte der Klägerin außerdem, dass die Kündigung des Vertrages Nr. … zum 01.05.2017 wirksam werde und dieser Vertrag am Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung erlösche und „ohne Wert“ sei. Mit einem Schreiben vom 03.06.2019 erklärte die Beklagte sodann gegenüber der Klägerin den Rücktritt vom Vertrag gemäß § 19 Abs. 2 VVG mit der Begründung, sie habe aufgrund ihr zwischenzeitlich zugegangener Unterlagen der Krankenkasse der Klägerin, die ihr über die Agentur des Zeugen G. eingereicht worden seien, von zahlreichen ärztlichen Behandlungen – u.a. wegen Rückenbeschwerden, Hauterkrankungen, der Augen sowie psychosomatischer Erkrankung – erfahren, die die Klägerin bei Antragstellung am 05.03.2017 vorsätzlich nicht angegeben habe. Eine anwaltliche Aufforderung, die Kündigung zurückzunehmen, blieb erfolglos. Die Klägerin, die mit ihrer Klage nur den Fortbestand des Versicherungsvertrages festgestellt haben möchte, hat sich zur näheren Begründung auf den Standpunkt gestellt, die Gesundheitsfragen wahrheitsgemäß beantwortet zu haben. Das LG hat unter Abweisung der weitergehenden Klage entsprechend dem Hilfsantrag der Klägerin festgestellt, dass die Versicherung Nr. … bzw. …, Versicherungsbeginn 01.12.2003, zwischen der Klägerin und der Beklagten fortbestehe. Mit ihrer Berufung begehrt die Beklagte weiterhin die vollständige Klageabweisung.
Entscheidungsanalyse:
Der 5. Zivilsenat des OLG Saarbrücken hat geurteilt, dass der von der Klägerin zuletzt unterhaltene ursprüngliche Versicherungsvertrag aus dem Jahre 2003 mit den im Jahre 2014 erfolgten Erweiterungen infolge des von der Beklagten mit Schreiben vom 03.06.2019 erklärten Rücktritts vom – späteren – Versicherungsvertrag Nr. … wiederaufgelebt ist und daher jetzt unverändert fortbesteht. Zur Begründung weist der Senat darauf hin, dass nach dem erkennbaren Parteiwillen (§§ 133, 157 BGB) tatsächlich gerade keine einseitige Beendigung des bisherigen Versicherungsvertrages gewollt war, sondern vielmehr seine einvernehmliche Aufhebung und unmittelbar daran anschließende Ersetzung durch einen neuen Vertrag mit vermeintlich „besseren“ Bedingungen. Das OLG meint, dass die Parteien hier in Wahrheit eine einvernehmliche Aufhebung des früheren Versicherungsvertrages Nr. … vereinbart haben, um diesen nahtlos durch den neuen Versicherungsvertrag Nr. … zu ersetzen. Es dürfe nicht wörtlich verstanden werden, dass die Klägerin schriftlich eine – ausdrücklich so bezeichnete – „Kündigung“ erklärt habe, deren Wirksamkeit die Beklagte zum Zeitpunkt der Annahme des parallel beantragten neuen Vertrages bestätigt habe. Nach Auffassung des Senats geht vielmehr aus den schriftlichen Unterlagen zum Versicherungswechsel eindeutig hervor, dass es der Klägerin nicht darum ging, den früheren Vertrag einseitig aufzukündigen, sondern einvernehmlich durch den neuen Vertrag zu ersetzen. Für die Beklagte müsse daher eindeutig sein, dass unbeschadet der gewählten Formulierung aus Gründen der Wahrung des status quo eine einvernehmliche Aufhebung bei rechtsbeständigem Zustandekommen eines neuen Versicherungsvertrages beabsichtigt war. Nach Auffassung des OLG wäre die Beklagte auch unter Schadensersatzgesichtspunkten gehalten, die Klägerin entsprechend der ursprünglichen Vertragssituation so zu behandeln, als bestehe der frühere Vertrag unverändert fort (§ 6 Abs. 5 VVG; § 242 BGB). Nach Worten des Senats wäre es der Beklagten daher hier auch nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) versagt, sich gegenüber der Klägerin auf die Rechtswirkungen der Kündigung und den daraus folgenden Wegfall dieses früheren Vertrages zu berufen. Das OLG ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die Berufung der Beklagten keinen Erfolg hat.
Praxishinweis:
Nach Auffassung des OLG Saarbrücken kann ein Berufsunfähigkeitsversicherer außerdem im Rahmen seiner Beratungspflicht gemäß § 6 Abs. 1 VVG verpflichtet sein, den Versicherungsnehmer anlässlich einer Umdeckung darauf aufmerksam zu machen, dass die gewählte Art der Vertragsgestaltung – hier: Neuabschluss unter Kündigung des Altvertrages – den bestehenden Versicherungsschutz wegen der dann nachteiligeren Folgen eines etwaigen Rücktritts stärker gefährdet, als ein statt dessen in Betracht zu ziehender Aufhebungsvertrag. Denn wenn dem Versicherungsnehmer eine „Umdeckung“ vorschlagen wird, muss ihm nach Worten des OLG deutlich gemacht werden, dass eine vorzeitige Kündigung mit gravierenden Nachteilen – einer Einschränkung des Versicherungsschutzes oder gar dem vollständigen Verlust – verbunden sein kann (OLG Saarbrücken, Urteil vom 26.04.2017 – 5 U 36/16). Bei einem unterlassenem Hinweis muss der Versicherer den Versicherungsnehmer so stellen, als sei ein solcher Aufhebungsvertrag tatsächlich abgeschlossen worden.
Wenn Sie Fragen zu dem Thema Auswirkungen einer „Kündigung“ einer Berufsunfähigkeitsversicherung anlässlich einer Umdeckung haben, dann nehmen Sie bitte Kontakt mit mir auf.