Aufrechnungsbefugnis eines privaten Krankenversicherers
Aufrechnungsbefugnis eines privaten Krankenversicherers
Der private Krankenversicherer kann nach § 394 Satz 2 BGB mit rückständigen Prämienforderungen aus einer Krankheitskostenversicherung gegen Krankentagegeldansprüche des Versicherungsnehmers aufrechnen.
Originalentscheidung auf Wolters Kluwer Online aufrufen:
BGH, 29.09.2021, IV ZR 99/20
Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung rückständiger Prämien für eine Krankheitskostenversicherung in Anspruch. Der Versicherungsvertrag beinhaltet weiterhin eine Krankentagegeldversicherung sowie eine nicht streitgegenständliche private Pflegeversicherung. Der Beklagte zahlte seit August 2016 keine Beiträge mehr. Mit Schreiben vom 26.10.2016 rechnete die Klägerin gegen einen Krankentagegeldanspruch des Beklagten in Höhe von 5.600 Euro mit einem Teilbetrag der offenen Beitragsforderungen in Höhe von 1.587,65 Euro auf, sodass aus ihrer Sicht kein Beitragsrückstand mehr bestand. Unter dem 09.05.2017 erklärte die Klägerin die Aufrechnung mit Beitragsrückständen in Höhe von 1.779,65 Euro gegen einen weiteren Krankentagegeldanspruch des Beklagten in Höhe von 2.560 Euro. Dabei berechnete sie in der Krankheitskostenversicherung bis April 2017 die volle Monatsprämie in Höhe von 239,59 Euro und für Mai 2017 den Notlagentarif in Höhe von 51,07 Euro. Mit der Klage hat die Klägerin für Juni 2017 Zahlung des Notlagentarifs und für die Monate Juli bis einschließlich November 2017 Zahlung des vollen Tarifs, insgesamt 1.249,02 Euro gefordert. Der Beklagte hält die Aufrechnungen der Klägerin für unwirksam. Er sei zudem spätestens ab März 2017 nur noch im Notlagentarif versichert, der durch die Aufrechnung der Klägerin vom 09.05.2017 mangels Zahlung im Sinne von § 193 Abs. 9 Satz 1 VVG nicht beendet worden sei. Gegen die Klageforderung rechnete er mit einem von ihm geltend gemachten Anspruch auf Erstattung zu viel berechneter Prämien in Höhe von 565,56 Euro auf. Das AG hat den Beklagten zur Zahlung von 1.060,50 Euro nebst einem Prozent Säumniszuschlag je angefangenem Monat aus 102,14 Euro seit 02.07.2017 und aus jeweils 239,59 Euro seit 02.08.2017, 02.09.2017, 02.10.2017 und 02.11.2017 verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Das LG hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt er seinen weitergehenden Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsanalyse:
Der IV. Zivilsenat des BGH hat geurteilt, dass die von der klagenden Krankheitskostenversicherung erklärten Aufrechnungen mit offenen Prämienforderungen aus der Krankheitskostenversicherung gegen die Ansprüche des beklagten Versicherungsnehmers auf Zahlung von Krankentagegeld gemäß § 394 Satz 2 BGB wirksam waren. Der Senat erläutert, dass daher der Klägerin gegen den Beklagten ein Anspruch auf Zahlung rückständiger Beiträge für die Krankheitskostenversicherung zusteht. Aus der genannten Vorschrift ergebe sich die grundsätzliche Zulässigkeit der Aufrechnung mit einer Prämienforderung des Versicherers. Nach § 394 S. 2 BGB können gegen die aus Kranken-, Hilfs- oder Sterbekassen, insbesondere aus Knappschaftskassen und Kassen der Knappschaftsvereine, zu beziehenden Hebungen geschuldete Beiträge aufgerechnet werden. Dies führt nach Ansicht des Senats dazu, dass der Versicherer berechtigt ist, ausnahmsweise auch gegen eigentlich gemäß § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO unpfändbare Forderungen aufzurechnen. Nach Überzeugung des BGH ist § 394 Satz 2 BGB dahingehend auszulegen, dass er dem privaten Krankenversicherer auch die Aufrechnung mit Prämienforderungen aus der Krankheitskostenversicherung gegen Krankentagegeldansprüche des Versicherungsnehmers ermöglicht. Das Gesetz verlange nicht, dass die zur Aufrechnung gestellte Beitragsforderung den Vertrag betreffe, aus dem der Leistungsanspruch des Versicherungsnehmers resultiere. Der Senat weist außerdem darauf hin, dass im konkreten Fall infolge der wirksamen Aufrechnung der Klägerin vom 09.05.2017 gemäß § 193 Abs. 9 Satz 1 VVG das Ruhen der Krankenversicherung endete, sodass der Beklagte ab Juli 2017 wieder zur Zahlung des Normaltarifs verpflichtet war. Nach dieser Vorschrift wird der Vertrag, wenn alle rückständigen Prämienanteile einschließlich der Säumniszuschläge und der Beitreibungskosten gezahlt sind, ab dem ersten Tag des übernächsten Monats in dem Tarif fortgesetzt, in dem der Versicherungsnehmer vor Eintritt des Ruhens versichert war. Der Senat stellt hierzu klar, dass ein voluntatives Element auf Seiten des Versicherungsnehmers für die Rückkehr in den Normaltarif nicht erforderlich ist. Für eine Rückführung des Versicherungsnehmers aus dem Notlagen- in den Normaltarif reiche es daher aus, wenn die Beitragsrückstände durch eine seitens des Versicherers erklärte Aufrechnung getilgt worden seien. Der BGH ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die Revision des Beklagten keinen Erfolg hat.
Praxishinweis:
Nach der hier vom BGH vertretenen Auffassung ist es im Ergebnis möglich, Beitragsforderungen aus verschiedenen Versicherungsverträgen insoweit mittels Aufrechnung zu befriedigen, als sich dieselben Rechtssubjekte im Sinne eines Gegenseitigkeitsverhältnisses gegenüberstehen. Aus Sicht des BGH ist eine einschränkende Auslegung des § 394 Satz 2 BGB dahingehend, dass die Aufrechnung geschuldeter Beiträge nur gegen auf demselben Versicherungsvertrag beruhende und somit konnexe Leistungsansprüche zulässig sein soll, mit dem erkennbaren Regelungszweck der Vorschrift nicht vereinbar. Denn der Forderungsinhaber kann nach Treu und Glauben nach Worten des BGH nicht damit rechnen, die betreffenden Bezüge ungeschmälert ausgezahlt zu bekommen, ohne seine Pflicht zur Entrichtung der laufenden Beiträge zu erfüllen.
Wenn Sie Fragen zu der Aufrechnungsbefugnis eines privaten Krankenversicherers haben, dann nehmen Sie bitte Kontakt mit mir auf.