Arbeitgeber muss bei Austauschkündigung darlegen und beweisen
Arbeitgeber muss bei Austauschkündigung darlegen und beweisen, dass keine Willkür vorliegt
In Fällen, in denen die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss praktisch deckungsgleich sind, kann die ansonsten berechtigte Vermutung, die fragliche Entscheidung sei aus sachlichen Gründen erfolgt, nicht unbesehen greifen. Kommt zu dieser Deckungsgleichheit hinzu, dass gleichzeitig mit der Entlassung der betroffenen Arbeitnehmerin an anderer Stelle desselben Unternehmensbereichs ein neuer Arbeitnehmer eingestellt wird („N.N.“), fehlt es nicht nur an der besagten Vermutung, sondern es ist vielmehr umgekehrt umso mehr am Arbeitgeber, Tatsachen darzulegen, aus denen sich ergibt, dass die Entscheidung keine auf Willkür fußende Austauschkündigung zum Gegenstand hat.
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LAG Köln, 14.03.2019, 6 Sa 489/18
Sachverhalt:
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung vom 16.01.2018. Die 58-Jährige Klägerin ist seit dem 01.01.2012 bei der Beklagten als „Senior Accountant Anlagenbuchhaltung“ beschäftigt. Nach § 1 Abs. 3 des Arbeitsvertrags ist die Arbeitgeberin berechtigt, der Klägerin auch andere zumutbare Arbeiten zu übertragen. Im Organigramm der Beklagten, in dem die Beklagte noch 2017 aufgeführt war, waren insgesamt 18 Namen/Positionen genannt. Anfang 2018 nahm die Beklagte Umstrukturierungen vor, welche im Ergebnis dazu führten, dass weiterhin 18 Namen/Positionen im Organigramm genannt wurden, nur der Name der Klägerin fehlt und an anderer Stelle eine Position mit „N.N.“ bezeichnet wird. Die in der Arbeitsplatzbeschreibung der Klägerin genannten Aufgaben bzw. Teilaufgaben sind nicht weggefallen. Die Beklagte trägt vor, die Klägerin könne nach der Umstrukturierung nicht mehr eingesetzt werden, weil es ihr an Kenntnissen der englischen Sprache fehle. Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben, sich in den Entscheidungsgründen allerdings im Wesentlichen auf eine fehlerhafte Betriebsratsanhörung berufen. Die Berufung der Beklagten hat vor dem LAG Köln keinen Erfolg.
Entscheidungsanalyse:
Die Kündigung vom 16.01.2018 ist unwirksam. Es fehlt der Kündigung an einem dringenden betrieblichen Erfordernis im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG. Eine unternehmerische Entscheidung ist zwar grundsätzlich nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. In Fällen, in denen die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss praktisch deckungsgleich sind, kann die ansonsten berechtigte Vermutung, die fragliche Entscheidung sei aus sachlichen Gründen erfolgt, nicht unbesehen greifen (vgl. BAG, Urteil vom 20.02. 2014 – 2 AZR 346/12). Kommt zu dieser Deckungsgleichheit hinzu, dass gleichzeitig mit der Entlassung der betroffenen Arbeitnehmerin an anderer Stelle desselben Unternehmensbereichs ein neuer Arbeitnehmer eingestellt wird („N.N.“), fehlt es nicht nur an der besagten Vermutung, sondern es ist vielmehr umgekehrt umso mehr am Arbeitgeber, Tatsachen darzulegen, aus denen sich ergibt, dass die Entscheidung keine auf Willkür fußende Austauschkündigung zum Gegenstand hat. Die Darlegung solcher Tatsachen ist der Beklagten in dem hier entschiedenen Fall nicht gelungen. Aufgrund der Unternehmerentscheidung der Beklagten ist kein Beschäftigungsbedürfnis entfallen. Auch die Entscheidung der Beklagten, das Anforderungsprofil an die Position zu ändern, die die Klägerin bisher innegehabt hatte, ist ebenfalls keine Unternehmerentscheidung, die geeignet wäre, die streitgegenständliche Kündigung zu rechtfertigen. Zwar unterliegt auch die Gestaltung des Anforderungsprofils für einen Arbeitsplatz grundsätzlich der freien unternehmerischen Disposition (vgl. BAG, Urteil vom 02.03.2017 – 2 AZR 546/16). Das Bestreben der Arbeitgeberin, bestimmte Tätigkeiten – nach Möglichkeit – von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit einer bestimmten Qualifikation ausführen zu lassen, ist grundsätzlich zu akzeptieren. Auch dies kann von den Arbeitsgerichten nur auf Willkür und offenbare Unrichtigkeit hin gerichtlich überprüft werden. Sind allerdings die betreffende Organisationsentscheidung und der Kündigungsentschluss der Arbeitgeberin auch hier praktisch deckungsgleich, weil die Arbeitnehmerin dem neuen Anforderungsprofil nicht genügt, kann auch hier die generelle Vermutung, dass eine unternehmerische Entscheidung auf sachlichen Gründen beruht, nicht unbesehen greifen. Die Arbeitgeberin kann sich nicht lediglich auf ihre Entscheidungsfreiheit berufen. Sie muss vielmehr konkret darlegen, wie ihre Entscheidung sich auf die tatsächlichen Möglichkeiten, die Arbeitnehmerin einzusetzen, auswirkt und in welchem Umfang durch sie ein konkreter Änderungs- oder gar Beendigungsbedarf entstanden ist. Es muss sich bei einer geänderten Anforderung an die Qualifikation der Stelleninhaberin nicht nur um eine „wünschenswerte Voraussetzung“ für die Ausführung der Tätigkeit, sondern um ein nachvollziehbares, arbeitsplatzbezogenes Kriterium für die Stellenprofilierung handeln. Dies konnte die Beklagte vorliegend nicht darlegen.
Praxishinweis:
Die Beklagte hatte vorgetragen, dass ihre Geschäftssprache Englisch ist und die Klägerin daher nicht mehr in das Anforderungsprofil passt. Diese Feststellung teilt das LAG Köln nicht. Das zeigt sich nach Auffassung des LAG Köln u.a. bei der Betriebsratsanhörung und bei der Stellungnahme des Betriebsrats. Beide sind in deutscher Sprache gehalten. Gleiches gilt für die zur Akte gereichten Stellenbeschreibungen, Anforderungsprofile und Arbeitsverträge. Alle diese Dokumente sind in deutscher Sprache abgefasst. In einem Betrieb mit Englisch als Geschäftssprache wäre dies anders.
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